Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Die Grundsteuer muss reformiert werden

Christian Rath16. Januar 2018
Wie relevant die Lage eines Grundstücks ist, zeigt auch das Beispiel Berlin. Grundstücke in Mauernähe – der Verlauf ist durch Stelen gekennzeichnet – waren 1964 nicht viel wert, sind heute aber Filetstücke in der Innenstadt.
Die Grundsteuer muss wohl bald neu berechnet werden. Die Orientierung an uralten Grundstückswerten ist verfassungswidrig. Das zeichnete sich nach der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht ab.

Von der Grundsteuer ist jeder betroffen: Eigentümer, die ihr Grundstück selbst nutzen, aber auch Mieter, weil Grundsteuer-Zahlungen als Nebenkosten umgelegt werden können.

Gundsteuer-Berechnung in drei Schritten

Die Berechnung der Grundsteuer erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird der Wert des Grundstücks bestimmt. In Westdeutschland liegen der Berechnung Einheitswerte von 1964 zugrunde, in Ostdeutschland stammen die Einheitswerte sogar von 1935. Dieser Wert wird mit einer Steuermesszahl – je nach Art der Bebauung – multipliziert und dabei auch korrigiert. Im Osten ist die Messzahl höher als im Westen.Im dritten Schritt wird dieser Betrag nun mit einem Hebesatz multipliziert, den die örtliche Kommune festlegt. Die Hebesätze unterscheiden sich stark und liegen zwischen 90 und 950 Prozent.

Verfassungsrechtlich umstritten ist nur der erste Schritt, die Nutzung der uralten Einheitswerte. Der Bundesfinanzhof (das höchste deutsche Finanzgericht) hält diese Bewertung für verfassungswidrig und hat Karlsruhe um Prüfung gebeten. Schließlich konnte sich der Wert von zwei Grundstücken, die 1964 gleich teuer waren, in den nachfolgenden Jahrzehnten ganz anders entwickeln – je nach Lage. Denn das eine Dorf blieb ländlich, das andere wurde in die Stadt eingemeindet, weshalb dann die Grundstückpreise explodierten.

Lage, Lage, Lage

Wie relevant die Lage eines Grundstücks ist, zeigt auch das Beispiel Berlin. Grundstücke in Mauernähe waren 1964 nicht viel wert, sind heute aber Filetstücke in der Innenstadt. Diese "Wertverzerrung" führe zu fast schon willkürlich ungleicher Besteuerung, so der Bundesfinanzhof. Dagegen ist es rechtlich kein Problem, dass die alten Werte heute viel zu niedrig sind. Denn bei der Grundsteuer geht es nicht um eine Ungleichbehandlung mit Bargeld, Schmuck und anderem Vermögen, wie bei der Erbschaftssteuer. Dort wurden die alten Einheitswerte schon 1995 von den Verfassungsrichtern gekippt.

In der Karlsruher Verhandlung hielt nur die Bundesregierung die Orientierung an den alten Werten noch für zulässig. Die Wertverzerrung sei nicht schlimm, weil es ja um eher geringe Summen gehe. Nur 0,5 Prozent des Haushaltseinkommens fließe im Schnitt in die Grundsteuer, rechnete Finanzstaatssekretär Michael Meister (CDU) vor. Dagegen wäre der Aufwand für die Kommunen gewaltig, wenn sie den Wert von 36 Millionen Grundstücken neu bestimmen müssten.

Diskussion um Reformfrist

Die Verfassungsrichter ließen aber keinen Zweifel daran, dass sie das Bewertungsgesetz kippen werden. „Ab 1964 sollte alle sechs Jahre der Wert neu bestimmt werden", erinnerte Ferdinand Kirchhof, der Vorsitzende des Ersten Senats, "und 53 Jahre später ist das immer noch nichtgelungen." Diskutiert wurde in Karlsruhe fast nur darüber, wie lange der Gesetzgeber Zeit für eine Reform bekommt. Bund und Länder forderten eine Frist von mindestens zehn Jahren. Zunächst müsse das Bewertungsgesetz geändert werden. Dann müsse die Wertermittlung automatisiert werden. Die Katasterämter könnten die Größe der Grundstücke zuliefern, die Grundbuchämter die Eigentümer melden und von den bundesweit rund 1000 Gutachterausschüssen für Bodenrichtwerte kämen die Informationen zur Wertentwicklung. Diese EDV-Reform dauere allein sechs Jahre. Und dann müssten überall die Steuermesszahlen und Hebesätze neu angepasst werden, denn die Reform soll unter dem Strich aufkommensneutral sein.

Richter Kirchhof bezeichnete es zwar als "Zumutung", dass die Verfassungsrichter einen verfassungswidrigen Zustand noch zehn Jahre hinnehmen sollen. Aber wenn die Frist zu kurz ist, besteht die Gefahr, dass die Kommunen auf die Grundsteuer verzichten müssten. Mit 14 Mrd. Euro pro Jahr ist sie nach Gewerbesteuer und dem Kommunalanteil an der Einkommenssteuer die drittwichtigste Finanzquelle der Städte und Gemeinden. Vermutlich werden die Richter deshalb doch eine lange Übergangsfrist gewähren.

Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

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