Interview mit Franziska Giffey

„Gute Politik braucht eine starke Verwaltung”

Carl-Friedrich Höck10. August 2021
Franziska Giffey
Franziska Giffey will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Im Interview mit der DEMO spricht sie über ihre Ziele und erklärt, wie ihre Zeit in der Kommunalpolitik sie beeinflusst hat.

Ihr politischer Aufstieg begann als Stadträtin und Bürgermeisterin in Berlin-Neukölln. Inwiefern hat diese Zeit Sie politisch geprägt?

Ich habe angefangen, Politik zu machen, weil ich mich dafür einsetzen wollte, dass alle Kinder die gleichen Chancen bekommen. Deshalb bin ich mit 29 Jahren in die SPD eingetreten. Fünf Jahre lang habe ich mich als Bezirksstadträtin um Schule, Bildung, Kultur und Sport gekümmert und als Bezirksbürgermeisterin drei Jahre lang um ganz Neukölln. Mich hat immer beschäftigt, wie viele Kinder, wie viele Familien in sehr schwierigen sozialen Verhältnissen leben und was wir dagegen tun können. Diese Kinder sind doch nicht weniger talentiert als andere, die wohlbehütet aufwachsen. Wir können es uns nicht leisten, dass sie nicht ihren Weg machen. Ich wollte meinen Beitrag dazu zu leisten, dass alle Kinder erfolgreich sein können, egal ob aus armen oder reichen Verhältnissen, egal ob die Eltern deutsch sprechen, lesen und schreiben können oder nicht. Für diese Kinder konkret etwas zu schaffen, das hat mich als Stadträtin und Bezirksbürgermeisterin angetrieben und geprägt. Und dabei habe ich auch erlebt, wie wichtig ein starker Staat ist, der auch die Mittel hat, Dinge anzugehen.

Politiker*innen aus mehreren Parteien fordern eine Reform, um die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken neu zu regeln. Sehen Sie ebenfalls Handlungsbedarf? Wenn ja, wo sehen Sie Probleme und welche Lösung schlagen Sie vor?

Die bezirklichen Entscheidungsträger*innen und die Bezirksverwaltungen sind wichtig. Schließlich sind die 12 Berliner Bezirke auch 12 Großstädte für sich. Es gibt aber genauso eine gesamtstädtische Verantwortung des Senats. Eine der Kernaufgaben der Senatsverwaltungen ist die gesamtstädtische Steuerung. Hier besteht in etlichen Bereichen Nachholbedarf, zum Beispiel bei der Verwaltung. Zwar setzt die Berliner Verfassung den Steuerungsmöglichkeiten des Senats gegenüber den Bezirken Grenzen, die aber wenig genutzt werden. Der Zukunftspakt Verwaltung, den der Senat und alle Bezirksbürgermeister*innen geschlossen haben, stellt die Weichen für eine klare Verantwortung und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirken. Die SPD will darauf aufbauen und den nächsten Schritt gehen, indem wir über eine Verfassungsänderung eine zeitgemäße Steuerung und klare und effiziente Strukturen verankern. In einem parteiübergreifenden Verfassungskonvent werden wir das künftige Verhältnis zwischen Senat und Bezirken neu definieren. Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung der Bezirksverwaltungen und der Senatsverwaltungen müssen eindeutig geregelt und zugeordnet werden. Dies gilt auch und vor allem für die politische Verantwortung in den Bezirksämtern, bei den Bezirksbürgermeister*innen und den Bezirksverordnetenversammlungen.

Was wollen Sie in der nächsten Wahlperiode für starke und handlungsfähige Bezirke tun? Und inwiefern unterscheidet die SPD sich bei dem Thema von den politischen Mitbewerbern?

Als ehemalige Bezirksbürgermeisterin kenne ich die Herausforderungen und Anforderungen in unseren Bezirksverwaltungen gut. Deshalb war es mir wichtig, die funktionierende Verwaltung als Dienstleister für die Berlinerinnen und Berliner zu den Kernthemen unseres Wahlkampfs zu machen. Für mich ist klar: Gute Politik braucht eine starke Verwaltung. Und die braucht das beste Personal. Arbeiten für die beste Stadt der Welt ist nicht bloß ein Job. Das setzt Wertschätzung der Beschäftigten und ihrer beruflichen Interessen voraus. Dazu gehören die Berlin-Zulage, faire, familienfreundliche und moderne Arbeitsbedingungen, duale Studienangebote, Nachwuchskräfteprogramme sowie eine flexible und mobile Arbeitsorganisation mit einer guten Ausstattung.

Sie waren zuletzt Bundesfamilienministerin. Viele Familien und Bezirkspolitiker*innen haben Angst, dass die Schulen wegen Corona nach der Wahl noch einmal geschlossen werden müssen. Wie möchten Sie das als Bürgermeisterin verhindern?

Wir sind mittlerweile in einer Phase, in der alle, die es möchten, einen Impftermin bekommen können. Die Ausrede, keine Möglichkeit zum Impfen zu haben, gilt nicht mehr. Es geht jetzt darum, nachdrücklich an die Solidarität, die Vernunft und die Verantwortung aller Erwachsenen zu appellieren. Gerade beim Kita- und Schulpersonal ist es wichtig, dass sich möglichst alle impfen lassen. Jede und jeder sollte im persönlichen Umfeld auf die Bedeutung eines hohen Impfschutzes aufmerksam machen. Jetzt geht es darum, die Kokon-Strategie auch wirklich umzusetzen: Alle Erwachsenen, die mit Kindern in Kontakt sind, sollten geimpft sein, um das Risiko einer Ansteckung zu reduzieren und die Kinder zu schützen. Wir sollten alles tun, um den Präsenzunterricht aufrecht zu erhalten.

Die Themen Bauen und Wohnen spielen eine besondere Rolle im Berliner Wahlkampf. Was werden Sie unternehmen, um den Neubau zu fördern und die Preisentwicklung auf dem Mietmarkt zu bremsen?

Der Wohnungsneubau in Berlin wird mit mir zu Chefinnensache. Alle Akteure müssen an einem Strang ziehen und eng zusammenarbeiten. Deshalb ist eines der 5 B’s für Berlin, mit denen wir in den Wahlkampf ziehen, „Bauen“. Gemeinsam mit genossenschaftlichem und privatwirtschaftlichem Wohnungsbau wollen wir bis 2030 insgesamt 200.000 neue Wohnungen in Berlin schaffen. Zudem werden die Wohnungsunternehmen Bestandswohnungen ankaufen. Mindestens 400.000 Wohnungen sollen schon im Jahr 2026 in öffentlicher Hand sein. Unser Ziel sind 500.000 landeseigene Wohnungen in den 2030er-Jahren.

Dafür will ich einen Runden Tisch Wohnungsbau wie in Hamburg einberufen, an dem schnell Vorhaben, aber auch Probleme besprochen und gelöst werden können. Wenn wir wollen, dass es mit dem Neubau zügig vorangeht, dann müssen wir auch ausreichende Planungskapazitäten in der Verwaltung sicherstellen und ein Anreizsystem für zügige Planungsverfahren schaffen. Wir werden beim Neubau alle Möglichkeiten ausloten, die Berlin zu bieten hat. Ich denke dabei zum Beispiel auch an die Aufstockung von Discountern mit Wohnraum. Auch über die Randbebauung des Tempelhofer Feldes sollte in der Stadtgesellschaft neu diskutiert werden. Wir müssen bei allen Bemühungen zur Wohnraumschaffung aber auch dafür sorgen, dass die bereits hier lebenden Berlinerinnen und Berliner nicht aus ihren Mietwohnungen verdrängt werden und der Mieterschutz überall ernst genommen wird.

Viele Städte befürchten Leerstand im Ortskern, anders in Berlin: Hier wird eher über zu hohe Gewerbemieten und die Verdrängung von Kleingewerbe und sozialen Einrichtungen geklagt. Welche Antworten hat die SPD für dieses Thema?

Die steigenden Gewerbemieten in Berlin und der lückenhafte Rechtsschutz durch das Gewerbemietgesetz des Bundes stellen eine weitere Herausforderung für Berlin dar. Wir wollen daher die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in die Lage versetzen, Kleingewerbe stärker in ihrem Gebäudebestand zu fördern. Um Kleingewerbetreibende, soziale und kulturelle Einrichtungen besser vor Kündigung und Mieterhöhungen zu schützen, treten wir im Bund für ein neues Gewerbemietrecht ein.

 

Dieses Interview wurde Ende Juli für die DEMO-Ausgabe 07/08 2021 geführt.

weiterführender Artikel