Podiumsgespräch mit „Jungen Bürgermeister*innen“

Hass-Kommentare nicht erdulden, sondern öffentlich machen

Uwe Roth13. November 2022
Nicht wegducken, sondern konsequent die rote Linie aufzeigen – Mitglieder des Vereins Junge Bürgermeister*innen haben in einem Podiumsgespräch in Ludwigsburg berichtet, welche Lehren sie aus Hass-Attacken und Bedrohungen ziehen.

Schlimmste Beleidigungen anzuhören oder in Emails zu lesen, das gehört inzwischen wohl beinahe zum beruflichen Alltag von Bürgermeister*innen. Im Frühjahr dieses Jahres hatten sich 27 Amtsträger*innen aus dem Netzwerk Junge Bürgermeister*innen, darunter zahlreiche mit einem SPD-Parteibuch, öffentlich zur Wehr gesetzt und eine Debatte ins Rollen gebracht. „Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele stellt grundsätzlich einen Angriff auf unsere offene Gesellschaft dar“, schrieben sie gemeinsam in einer Stellungnahme. Der beste Weg, um Gewaltbereite in Schach zu halten, sei der in die Öffentlichkeit, sind sie überzeugt. Angriffe jeglicher Art bekannt zu machen, nach außen zu tragen, lautet ihr Rezept, sich nicht zu verstecken, auch wenn das manchmal Mut erfordere.

In Ludwigsburg sprachen in einer hybriden Veranstaltung Vertreter*innen der Initiative nicht nur miteinander über den Umgang mit solchen Bedrohungen, die oft genug die Familien einbeziehen, sondern auch mit Studierenden aus der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen. In Baden-Württemberg ist die Hochschuleinrichtung eine der wichtigsten Ausbildungsstätten für kommunale Führungskräfte.

Angriffe gegen die eigene Familie belasten besonders

Zu den Diskutant*innen gehörten: Daniela Harsch, Sozialbürgermeisterin in Tübingen, Benedikt Paulowitsch, Bürgermeister der Gemeinde Kernen (Rems-Murr-Kreis), Bürgermeister Sebastian Dippold Neustadt a. d. Waldnaab, Julia Samtleben, Bürgermeisterin der Gemeinde Stockelsdorf (Landkreis Ostholstein) und erste stellvertretende Bundesvorsitzenden im Netzwerk (alle SPD) sowie Christian Eiberger (parteilos), Bürgermeister der Stadt Asperg (Landkreis Ludwigsburg).

Sie haben bislang zum Glück keine körperlichen Attacken erfahren, wie sie berichteten. Doch mündliche und schriftliche Angriffe - bis hin zu eindeutigen Morddrohungen (zum Beispiel auf einer Trauerkarte) - haben alle zu genüge abbekommen. Besonders stark ist die psychische Belastung, wenn die anonymen Täter*innen mit unglaublicher verbaler Brutalität die Familie der Mandatsträger*innen in ihre Hetze und Bedrohung einbeziehen. Bei Frauen kommen sexistische Angriffe hinzu. Daniela Harsch musste sich schon einiges gefallen lassen, was unter die Gürtellinie zielte.

Staatsanwaltschaft stellte nach verbalen Angriff Verfahren ein

Die Tübinger Bürgermeisterin hat mit solchen Verletzungen schlechte Erfahrung in doppelter Hinsicht gemacht: So lief eine Anzeige ins Leere, da die Staatsanwaltschaft zu ihrer Verblüffung das Verfahren einstellte. Begründung lautete „mangelndes öffentliches Interesse“. Ihr sei geraten worden, die vermuteten Täter privatrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Harsch akzeptierte das nicht: „Die Beleidigungen standen alle im Zusammenhang mit meinem Beruf. Sie gingen alle an meine Rathausadresse und betrafen nicht mein Privatleben.“ Der Kampf gegen Hass und Hetze, so lautete eine Feststellung auf dem Podium, hänge von der Unterstützung des Polizeiapparats und der angeschlossenen Strafbehörden ab. Und die kann von Ort zu Ort unterschiedlich sein. „Man muss gucken, dass der Staatsschutz gut funktioniert“, forderte Dippold.

Die Diskutant*innen waren sich einig, dass man sich Beleidigungen nicht gefallen lassen darf („nicht in diesem Ton“). Man müsse aber unterscheiden lernen, welcher Angreifer tatsächlich bösartig oder wer schlicht unfähig ist, sich differenziert auszudrücken. „Manche haben ja ein durchaus berechtigtes Anliegen“, so Paulowitsch. „Reden hilft oft“, so die immer wieder gemachte Erkenntnis. Die Bürgermeister*innen vermissen oftmals die Solidarität der Bürgerschaft. Die Wütenden sind in der Minderheit und machten in den sozialen Netzwerken aber umso lauter Krawall. Die Mehrheit schweige, bekäme die Angriffe meistens gar nicht mit. Schon deshalb sei es wichtig, Hass, Hetze und Bedrohungen öffentlich zu machen.

Schweigende Mehrheit in der Bürgerschaft aktivieren

Ein Zuhörer aus dem Publikum stellte für sich fest, dass ein Leserbrief sinnvoll sein könne, um beleidigenden Angriffen gegen die Verwaltung etwas entgegenzusetzen. Das funktioniere auch in den sozialen Medien, wie Julia Samtleben erläuterte. Ein einziger Widerspruch gegen Hetze in einem Kommentar könne dazu beitragen, dass sich die Lage beruhige. Die Bürgermeisterin erklärte da so: In den Sozialen Netzen gibt es viele stille Mitleser, die Hass-Kommentare ablehnen, diese aber widerspruchslos zur Kenntnis nehmen. Ein positiver Kommentar, der sich gegen die Hetze richtet, gibt Mitlesenden Gelegenheit, sich ohne großen Aufwand mit einem „Gefällt mir“ zustimmend zu äußern. Kommen viele Likes zusammen, spürt „die andere Seite“ den Widerstand. „Wir müssen eine Allianz der Vernünftigen bilden“, erklärten die Bürgermeister*innen abschließend zum Auftrag.

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