SGB II-Leistungen

Heil: Jobcenter sollen auf Rückforderungen wegen 9-Euro-Ticket verzichten

Carl-Friedrich Höck20. Juni 2022
Schülerinnen und Schüler warten am Bahnsteig auf den Zug (Archivbild): Wegen des 9-Euro-Tickets werden Fahren potenziell günstiger.
In zwei Bundesländern sollen Hartz IV-Beziehende Geld für Schülerfahrkarten zurückzahlen. Grund ist das 9-Euro-Ticket. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil drängt darauf, auf Rückforderungen zu verzichten.

Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) appelliert an die Länder, von Sozialleistungs-Beziehenden kein Geld zurückzuverlangen, weil diese durch das 9-Euro-Ticket Geld einsparen. Seine entsprechende Rechtsauffassung hat das BMAS in einem Schreiben allen zuständigen Landesministerien dargelegt und darum gebeten, diese zu berücksichtigen.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) teilte auf Twitter auch eine Erklärung der niedersächsischen kommunalen Spitzenverbände, auf Rückforderungen zu verzichten. „Niedersachsen und fast alle Bundesländer gehen den richtigen Weg“, schrieb Heil dazu.

„Grotesk”: SPD kritisiert die Linie von Baden-Württemberg

Zuvor hatte Baden-Württembergs Wirtschaftsministerium erklärt, dass die Jobcenter nur die tatsächlich anfallenden Ticketkosten übernehmen sollen. Konkret geht es um Schülerfahrkarten, die den Grundsicherungs-Beziehenden in mehreren Ländern aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bezahlt werden. Laut Medienberichten hält das Ministerium es für eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ der SGB II-Beziehenden, wenn die Jobcenter auf die Rückforderung des Geldes verzichten würden. „Grotesk und gewissenlos“ findet das die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke.

Auf DEMO-Nachfrage stellt eine Sprecherin des Ministeriums in Baden-Württemberg klar: „Im Rahmen der Rechtsaufsicht im Bereich der Bildungs- und Teilhabeleistungen können wir als Wirtschaftsministerium die Jobcenter lediglich darauf hinweisen, welche Handlungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind. Die Entscheidung im Einzelfall trifft dann das Jobcenter vor Ort.“

Auch das Bundesarbeitsministerium verweist auf die Zuständigkeit der Kommunen, welche das Bildungs- und Teilhabepaket und somit auch die Schülerbeförderung umsetzen müssten. Das gelte auch dann, wenn das Jobcenter die Leistungen auszahle. Aber: „Die Aufsicht haben die Länder“, so ein Sprecher. „Sie müssen die Anwendungsfragen im Zweifel jeweils verbindlich entscheiden. Die Rechtsauffassung des BMAS ist nicht bindend für Länder und Kommunen.“ Normalerweise versuchen die Länder in solchen Fällen, sich untereinander auf eine einheitliche Vorgehensweise zu verständigen. Das ist beim 9-Euro-Ticket bisher offenbar nicht erfolgt.

Arbeitsministerium argumentiert sozialpolitisch und rechtlich

Aus Sicht des Bundesarbeitsministeriums wäre es „sozialpolitisch sachgerecht“, auf die Rückforderung zu verzichten. Es sieht diese Vorgehensweise auch im rechtlich im Einklang mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) II: „Nach § 40 Abs. 6 Satz 3 SGB II soll eine Rückzahlung von Leistungen nicht gefordert werden, wenn es nur um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket geht. Dies wäre bei Leistungen der Schülerbeförderung gegeben.“

Weiter argumentiert das BMAS, das 9-Euro-Ticket komme allen Bürgern zugute und sei gar nicht spezifisch dafür gedacht, die Kosten von Schülerbeförderung zu senken. „Wie sich durch dieses Ticket eine nicht ‚zweckentsprechende Verwendung‘ bereits bewilligter Leistungen der Schülerbeförderung ergeben soll, ist aus hiesiger Sicht nicht erkennbar.”

Neben Baden-Württemberg will auch Bayern Rückforderungen erheben. In Niedersachsen dagegen haben sich Landkreistag, Städtetag und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) darauf verständigt, auf Rückzahlungen zu verzichten. „Ziel des 9-Euro-Tickets ist eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV und eine Entlastung der Menschen mit geringem Einkommen“, betont Landkreistag-Präsident Sven Ambrosy. Das solle nicht untergraben werden. Der Präsident des Niedersächsischen Städtetages Frank Klingebiel verweist auch auf den hohen Verwaltungsaufwand, der mit einer Rückforderung verbunden wäre. Ministerpräsident Weil ergänzt, man sei gemeinsam der Überzeugung, dass „die Menschen in der aktuellen Situation nicht noch durch mögliche Rückforderungen der Behörden belastet werden sollen.“

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