Zusammenhalt in den Kommunen

Wie Heilbronn die Jugendarbeit mit Muslimen stärkt

Uwe Roth26. Februar 2020
Junge Musliminnen aus Heilbronn haben das Demokratielernspiel „Quararo“ entwickelt. Im Vordergrund ganz rechts: Roswitha Keicher, Leiterin der Stabsstelle Partizipation und Integration.
Heilbronn will ein respektvolles Miteinander fördern. Deshalb hat sich die Stadt am Pilotvorhaben „Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken“ beteiligt. Heraus kamen zahlreiche Ideen und preisgekrönte Projekte.

Heilbronn hat 126.000 Einwohnerinnen und Einwohner aus 150 Nationen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat einen ­Migrationshintergrund. Bei den Kindern und Jugendlichen sind es sogar mehr als 70 Prozent. Die jungen Leute bleiben vielfach unter sich, auch wenn sie bereits in dritter Generation hier leben und einen deutschen Pass haben. In den Gruppen, in denen sie regelmäßig zusammenkommen, definieren sich die Teilnehmenden weniger über die Länderherkunft ihrer Eltern oder Großeltern, sondern vielmehr über ihre gemeinsame Religion, den Islam. Angesichts hoher Migrationsraten rückten die Aktivitäten der jungen Menschen auch in den Fokus der Kommunalpolitik.

Anfrage aus Berlin

Die Anfrage aus Berlin, ob sich die Stadt am Pilotprojekt „Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken“ beteiligen wolle, sei vor Jahren wie gerufen gekommen, erinnert sich Roswitha ­Keicher, Leiterin der Stabsstelle Partizipation und Integration. Schon vor mehr als sechs Jahren ist Tanja El Ghadouini vom Verein Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie, kurz RAA, auf sie zugekommen. Berlin, wo der Verein seinen Sitz hat, war für die Projektteilnahme gesetzt. Nun suchte El Ghadouini eine weitere Kommune und fand sie in Heilbronn. Zwischen 2015 und 2019 lief das Projekt, das im Rahmen des Programms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert worden war.

Auch Heilbronns Oberbürgermeister Harry ­Mergel (SPD) begrüßte die Herangehensweise: „Es ist nicht unser Anliegen, Religionspolitik zu machen. Wir wollen vielmehr die Religionsgemeinschaften als wichtige Partner der Stadtverwaltung sehen und diesen Prozess moderieren.“ Ihm sei es wichtig, „gemeinsam für ein respektvolles Miteinander einzutreten und zusammen Impulse zu setzen.“

Jugendliche mit vielen Ideen

Das Vorhaben war, Projekte mit Themen einer demokratischen Gesellschaft zu initiieren, die die muslimische Jugend beschäftigten. Mitstreiter in bestehenden Gruppen außerhalb islamischer Organisationen zu finden, sei von Beginn an überhaupt kein Problem gewesen, so die Integrationsbeauftragte. Im Gegenteil: „Ich hatte das Gefühl, dass die Jugendlichen geradezu darauf gewartet haben, mit ihren Ideen an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Keicher. Viele seien es leid, auf den Islam reduziert und für alles verantwortlich gemacht zu werden, was im Namen ihrer Religion in der Welt an Gewalttaten passiert. Sie wollten einfach dazugehören.

Nach Projektstart ging es Schlag auf Schlag: „Ich habe mir einen Vormittag Zeit genommen. Die Jugendlichen haben mir je eine halbe Stunde lang ihre Ideen präsentiert, und ich habe mein ­Adressverzeichnis gezückt und sie mit den richtigen Leuten zusammengebracht“, beschreibt die städtische Mitarbeiterin die Startphase. Sie ist eine Netzwerkerin mit vielen Kontakten im Landkreis Heilbronn und in der Landeshauptstadt Stuttgart. Darüber fand sie immer neue Unterstützer wie die Landeszentrale für politische Bildung. Ein eigenes Budget aus dem kommunalen Haushalt habe sie dafür nicht benötigt. Teil eines überregionalen Projekts zu sein, habe sicher als Türöffner geholfen.

Theater „Déjavu“

Die Workshops haben schnell eine Eigendynamik entwickelt. Die Motivation hat trotz der langen Laufzeit nicht nachgelassen. Am Ende standen Projektergebnisse, die aufhorchen lassen: Mädchen und Jungen vom Freitagskreis Heilbronn im Alter zwischen neun und 14 Jahren haben ein Theaterstück mit Namen „Déjàvu“ für ältere Menschen auf die Beine gestellt. Dazu recherchierten sie in Altenheimen und befragten Bewohner. Das baden-württembergischen Sozialministerium prämierte das Projekt mit dem ersten Jugendbildungspreis. Als gutes Beispiel nennt sie auch drei junge Musliminnen aus Heilbronn, die ein Demokratielernspiel entwickelt haben, das sie „Quararo“ nennen. Das Wort leitet sich vom türkischen Wort „karare“ oder dem arabischen Wort „qarar“ ab und bedeutet „Entscheidung“. Bis zu 15 Personen können mitspielen. Das Spiel hat gute Chancen, auf den Markt zu kommen.

„Jedes Projekt hat inzwischen einen Preis erhalten“, sagt Keicher stolz. Besonders erfreut ist sie darüber, dass Gruppen nach Projektende weiter existieren. Die Jugendgruppe vom Freitagskreis investierte ihr Preisgeld in ein Buchprojekt zum Thema „Inklusion für muslimische Jugendliche mit und ohne Behinderung“.

Mehr Informationen
jugendarbeit-staerken.de/heilbronn