Interview mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks

Hendricks: „Wir haben einen Durchbruch beim sozialen Wohnungsbau erzielt“

Karin BillanitschCarl-Friedrich Höck17. Januar 2018
Bundesministerin Barbara Hendricks (SPD) sagt mit Blick auf die vergangene Legislaturperiode: „Ohne die Sozialdemokratie wäre für die Kommunen erheblich weniger Positives geschehen.“
Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, hat die Sondierungsergebnisse als eine gute Grundlage für Koalitionsverhandlungen bezeichnet. Die Ministerin betonte, insbesondere die Kommunen würden von den Ergebnissen profitieren.

Frau Dr. Hendricks, sind Sie mit den Sondierungsergebnissen zufrieden?

Ja, das ist wirklich eine gute Grundlage für Koalitionsverhandlungen, um die es jetzt geht. Natürlich wird es noch Diskussionen geben. Wir haben ja eine etwas durchwachsene Stimmung in der SPD. Ich hoffe sehr, dass es am Sonntag auf dem Parteitag eine Zustimmung gibt. Insbesondere für die Kommunen sind die Ergebnisse wirklich gut. Eines ist klar: Ohne die Sozialdemokratie wäre für die Kommunen erheblich weniger erreicht worden – das gilt für die vergangene Legislaturperiode wie auch für die Sondierungsergebnisse. Deswegen brauchen wir jetzt auch die Unterstützung aus dem kommunalen Bereich. Ich glaube, dass die Praktiker in den Kommunen das sehr wohl sehen, was im Sondierungsergebnis zugunsten der Kommunen enthalten ist.

Kommen wir zu den Details. Steigende Mieten sind ein großes Thema, das viele Deutsche beschäftigt. Der Bund soll – so die Ergebnisse – den sozialen Wohnungsbau in 2020/2021 mit zwei Milliarden fördern. Ist das ein aus Ihrer Sicht zufriedenstellendes Volumen?

Der entscheidende Punkt an dieser Stelle ist, dass wir den Durchbruch überhaupt erzielt haben und es über 2019 hinaus Geld vom Bund gibt. Denn nach jetziger Rechtslage müsste der Bund im Jahr 2019 aufhören, überhaupt noch den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Das ist ein Ergebnis der Föderalismusreform von 2006. Seither sind die Länder alleine zuständig für den sozialen Wohnungsbau. Der Bund hat seit 2007 jährlich 518 Millionen Euro pro Jahr als so genannte Kompensationsmittel gegeben. Diese sind von den Ländern in unterschiedlicher Weise eingesetzt worden. Hier hat sich der Bund seines Einflusses wesentlich beraubt.

Inwiefern?

Die alte schwarz-gelbe Bundesregierung hatte zugebilligt, dass ab dem Jahr 2014 mit dem Geld nicht ausschließlich Sozialwohnungen, sondern investive Ausgaben allgemein gefördert werden konnten, also zum Beispiel eine Landesstraße. Manche Länder haben das auch getan. Andere haben aber auch umgesteuert und viel für den sozialen Wohnungsbau getan – insbesondere Nordrhein-Westfalen und Hamburg. . Ohne eine Änderung der gesetzlichen Grundlage darf der Bund ab 2020 den sozialen Wohnungsbau gar nicht mehr mit Finanzmitteln fördern.

Auch bei der Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs ab 2020 war ausdrücklich gesagt worden, dass die Länder diese Aufgabe aus den ihnen zugewiesenen höheren Anteilen an der Umsatzsteuer finanzieren. Dass es in den Sondierungsgesprächen gelungen ist, die soziale Wohnraumförderung mit jährlich einer Milliarde Euro fortzusetzen, ist ein Riesendurchbruch. Das hat vor der Bundestagswahl nur die SPD gefordert. Ob es dann bei der Summe bleibt, wird man sehen. Wir haben in der Sondierungsvereinbarung auch festgelegt, dass Ende 2019 eine Zwischenbilanz gezogen wird. Dann wird man möglicherweise überprüfen können, ob weitere Finanzmittel zur Verfügung stehen. Entscheidend ist, der Durchbruch ist erzielt.

Um den Wohnungsbau anzukurbeln, wollen die potenziellen Koalitionspartner „die Gewinnung von Wohnbauland von Landwirten“ verbessern. Zudem sollen Kommunen neue Möglichkeiten erhalten, „die Baulandmobilisierung durch steuerliche Maßnahmen zu verbessern“. Können Sie erklären, was genau damit gemeint ist?

In der Tat ist das noch nicht ausverhandelt. Das sind erste Andeutungen, wie man vorgehen kann. Es ist schon länger das Interesse der Union, Landwirte dazu zu bringen, Grund- und Boden zu veräußern, und, wenn sie dann reinvestieren in den Wohnungsbau, steuerlich zu fördern. In Randlagen von bestehenden Gemeinden, wo die Landwirtschaftsfläche an die Bebauung heranreicht, ist das auch denkbar. .

Man wird gleichwohl vorsichtig damit umgehen müssen. Denn es kann nicht sein, dass wir uns immer weiter in die Fläche hinein ausdehnen. Andererseits gibt es natürlich in der Nähe von besonders nachgefragten Städten einen Siedlungsdruck in Richtung der umliegenden kleineren Kommunen. Dem wird man auch Rechnung tragen müssen. Dazu gehört dann auch eine vernünftige Verkehrsanbindung und eine in sich schlüssige Planung.

Barbara Hendricks im Gespräch
Bundesministerin Barbara Hendricks im Gespräch mit DEMO-Redakteurin Karin Billanitsch.

Wie könnte eine solche steuerliche Förderung aussehen?

Wir haben so etwas früher einmal in vergleichbarer Form im Einkommenssteuerrecht gehabt. Das war der berühmte Paragraf 7 k. Da ging es aber um die Reinvestition in ausschließlich geförderten Wohnraum. Ich könnte mir vorstellen, dass man eine vergleichbare Regelung auch wieder hinbekommt, zum Beispiel mit einem Drittelmix: Wenn 30 Prozent der Wohnungen im geförderten Segment entstehen, gibt es eine steuerliche Förderung. Ich halte einen solchen Mix auch deswegen für vernünftig, weil man damit auch in Neubaugebieten eine gute Mischung der Wohnbevölkerung hinbekommt...

Wenn man von energetischer Sanierung spricht, liegt der Fokus meist auf der Betrachtung des einzelnen Gebäudes. CO2-Einsparungen durch energetische Sanierung sollen künftig auf „Quartiers- und Siedlungsebene bilanziert werden“ können. Was ist der Vorteil?

Also im Prinzip halte ich eine solche Betrachtung für richtig. Aber wenn in einem Bestand von 15 Gebäuden zehn saniert werden und fünf nicht, haben Sie im Schnitt eine Verbesserung – aber eben keine so umfangreiche, wie bei einer kompletten Sanierung. Dieser Quartiersansatz hat natürlich auch viele Vorteile. So wird eine energetische Sanierung eines ganzen Quartiers insgesamt günstiger als die Sanierung einzelner Gebäude, das wirkt sich auch auf die Mieten aus. Vor diesem Hintergrund ist die Quartierlösung vernünftig und stand auch so in unserem Entwurf eines modernen Gebäudeenergiegesetzes, das die Energieeinsparverordnung, das Erneuerbare Energien Wärmegesetz und das Energieeinspargesetz ersetzen sollte. Leider haben wir das GEG zum Ende der letzten Legislaturperiode nicht mehr verabschieden können. Das steht jetzt wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Damit erfüllen wir auch die europäischen Anforderungen ab dem Jahr 2019, die die Festlegung des Niedrigstenergiegebäudestandards zunächst für öffentliche Nichtwohngebäude vorsieht. Ab 2020 müssen wir dann auch die Standards für Wohngebäude festlegen.

Was bedeutet das konkret?

Das Gebäudeenergiegesetz hat folgenden neuen Ansatz: Früher haben wir immer das einzelne Gebäude betrachtet und überlegt, wie das Gebäude ausgestattet werden kann, dass es möglichst wenig Energie verbraucht. An die Seite dieses Energieeffizienzgedankens wollen wir nun ein weiteres Bewertungskriterium setzen, nämlich welche Energie eingesetzt wird. Das gilt besonders für den Wärmebereich. Da ist ein Quartiersansatz vernünftig, weil man – um ein Beispiel zu nennen – Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen in einem ganzen Quartier wirksam werden lassen kann und zusammen mit Wohnungsbaugesellschaften und privaten Eigentümern stadtplanerische Konzepte entwickeln kann. Wir dürfen den Effizienzgedanken nicht vergessen, aber er soll auf Dauer nicht alleine stehen.

Alle bisher kommunal entlastend wirksamen Finanzprogramme sollen fortgeführt werden, heißt es auch. Damit ist zum Beispiel auch die Städtebauförderung und das Programm „Soziale Stadt“ gemeint, die in Ihr Ressort fallen. Was könnte man hier insbesondere tun?

Im Jahr 2013 standen in der Städtebauförderung jährlich 455 Millionen Euro zur Verfügung. Wir haben diese Förderung mehr als verdoppelt. 2017 und 2018 stehen eine Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung, davon 790 Millionen in der Städtebauförderung und noch mal 200 Millionen für die Förderung von Einrichtungen, die der Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen dienen.

Übrigens, dass wissen viele nicht, fast die Hälfte dieser Fördermittel geht in den mehr ländlichen und kleinstädtischen Raum. Ich will deutlich zum Ausdruck bringen, dass hier keine Bevorzugung der großen Städte stattfindet. Es ist nicht so, nur weil es Städtebauförderung heißt, dass die anderen Bereiche leer ausgehen würden. Für uns sind gerade auch die kleineren Städte die Kristallisationspunkte für eine positive Entwicklung im ländlichen Raum. Deswegen legen wir großen Wert darauf, dass unsere Programme auch dort wirken.

Sie haben schon das Programm „Soziale Stadt“ angesprochen, das wir auf 150 Millionen Euro fast vervierfacht haben. Zusätzlich haben  wir auch ganz neue Programme aufgelegt, zum Beispiel “Zukunft Stadtgrün“, in dem Projekte gefördert werden, die gut sind für die Gesundheit, ein attraktives Lebensumfeld und den Klimaschutz. Dies alles fortzuführen, halte ich für vollkommen richtig. Das ist auch eine Anforderung an die planerischen Fähigkeiten in den Kommunen. Es handelt sich jeweils um prozesshafte Entwicklungen. Jede einzelne dieser Maßnahmen ist nicht in einem Jahr abgeschlossen, sondern geht immer über mehrere Jahre. Das muss vor Ort auch begleitet werden, durch Quartiersmanagement, aber auch durch die örtlichen Planungskapazitäten. Übrigens lösen diese Förderungen ja auch private Investitionen aus: wir gehen davon aus, dass ein Euro vom Bund noch einmal zehn Euro zusätzliche Investitionen auslöst.

Sie haben schon im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass Deutschland sein Klimaziel 2020 – nämlich 40 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen als 1990 – nicht erreichen wird. Nun wurde auch in den Sondierungsergebnissen offiziell von dem Ziel abgerückt. Allerdings soll die „Handlungslücke“ geschlossen werden. Wie wollen Sie das tun?

Wir rücken von dem Ziel nicht ab; wir stellen fest, dass es sehr schwer erreichbar sein wird. Während meiner ganzen Amtszeit habe ich immer wieder gesagt: Wir müssen mehr tun, sonst schaffen wir das nicht. Immerhin haben wir schon im Jahr 2014 einen Klimaaktionsplan vorgelegt, der geholfen hat, die Lücke kleiner zu machen.

Jetzt haben wir uns in den Sondierungen vorgenommen, eine Kommission einzusetzen, die das Sektorziel für 2030, die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent zu reduzieren, umsetzen soll. Wir haben dafür fünf Sektoren benannt: Energiewirtschaft, Verkehr, Industrie, Gebäudebereich und Landwirtschaft. Diesen Sektoren haben wir Ziele vorgegeben, wie viele Millionen Tonnen CO2 sie bis zum Jahr 2030 einsparen müssen, damit wir unsere – auch völkerrechtlich verbindlichen – Ziele erreichen.

Dazu werden wir erstmals ein Klimaschutzgesetz verabschieden. Auch das ist ein Sondierungserfolg der SPD, denn in der vergangenen Legislaturperiode war es uns nicht gelungen, das durchzusetzen. Mit dem Gesetz werden dann alle Bereiche verpflichtet mitzuziehen. Zum Beispiel muss der Bundesverkehrsminister ein Konzept für eine integrierte Verkehrspolitik umsetzen, um die Klimaziele zu erreichen.

Auf EU-Ebene hat Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) für eine Neuzulassung von Glyphosat gestimmt – gegen die Linie der Regierung und den Widerstand der SPD. In Deutschland soll der Einsatz von Glyphosat nun eingeschränkt und nach Möglichkeit beendet werden. Ist der Konflikt damit beigelegt?

Barbara Hendricks Büro
Sie ist zufrieden: Barbara Hendricks

Im Sondierungspapier haben wir uns bei diesem Punkt auf ganzer Linie durchgesetzt. Das ist ein großer Erfolg. Die EU-Kommission hat zwar die Zulassung des Wirkstoffes verlängert. Aber die nationalen Gremien sind zuständig für die Genehmigung der Pflanzenschutzmittel, in denen sich der Wirkstoff befindet. Die Zuständigkeit ist also geteilt.

Die glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel bedürfen jetzt ebenfalls einer erneuten Zulassung. Die Hersteller müssen sie neu beantragen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das in der Verantwortung des Landwirtschaftsministeriums ist. Dieses kann aber nur im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt entscheiden, das wiederum zum Umweltministerium gehört. Und unser einvernehmliches Ziel lautet nun, den Einsatz von Glyphosat grundsätzlich zu beenden. Ich bin sicher, dass wir das im Verlauf der Legislaturperiode hinbekommen.

Die Formulierung „grundsätzlich“ erlaubt aber Ausnahmemöglichkeiten. Das entspricht übrigens auch der Position der SPD-Bundestagsfraktion. Ausnahmen könnte es etwa an erosionsgefährdeten Hängen geben, auf denen eine maschinelle Unkrautbekämpfung kaum möglich ist, etwa im Weinanbau. Zumindest so lange, bis es Alternativen gibt.

Im Übrigen geht es uns nicht nur um Glyphosat. Wir wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln insgesamt reduzieren und eine neue Ackerbaustrategie entwickeln. Und wir erarbeiten eine Strategie, um Insekten zu schützen. Eines ist sicher: Ein „weiter so“ in der Landwirtschaftspolitik, speziell im Natur- und Artenschutz, wird es in Deutschland nicht geben. Und ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich in den vergangenen Jahren dazu beitragen konnte.

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