Mobilität

Warum immer mehr Menschen zur Arbeit pendeln

Karin Billanitsch04. April 2017
Feierabendverkehr in einer deutschen Großstadt. Immer mehr Menschen wohnen außerhalb der Kommune, in der sie arbeiten.
Nach einer Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gibt es in Deutschland seit der Jahrtausendwende immer mehr Pendler. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat unterdessen angekündigt, Radschnellwege stärker zu fördern. Das begrüßte der Deutsche Städte- und Gemeindebund und forderte, den ÖPNV zu stärken und unterschiedliche Verkehrsträger besser zu vernetzen.

Immer mehr Menschen pendeln zum Arbeitsplatz: Während im Jahr 2000 noch 53 Prozent aller Arbeitnehmer in einer anderen Gemeinde wohnten, als sie arbeiteten, waren es zuletzt 60 Prozent. Das geht aus einer Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hervor. Die meisten Pendler hat München: Hier stieg die Zahl der Beschäftigten, die außerhalb der Stadt wohnen, seit dem Jahr 2000 auf 355.000 – ein Plus von 21 Prozent. Auf Rang zwei folgt Frankfurt am Main folgt mit 348.000 Pendlern (+14 Prozent). In Berlin gab es den dynamischsten Zuwachs: Hier nahm die Zahl der Pendler gegenüber dem Jahr 2000 um 53 Prozent auf 274.000 zu.

Pendeln mit Nebenwirkungen

Dass viele Menschen zum Arbeiten vor allem in die Großstädte pendeln, liegt nicht zuletzt an einem deutlichen Beschäftigtenzuwachs in den vergangenen Jahren. „Insbesondere die Umlandkommunen profitieren vom Wachstum der wirtschaftsstarken Großstädte", sagt BBSR-Direktor Herrmann. Es habe aber auch Nebenwirkungen, dass immer mehr Beschäftigte außerhalb wohnen, warnt Herrmann: „Der Flächenverbrauch und die Verkehrsbelastung steigen. Deshalb ist es wichtig, dass die Infrastruktur mit dem Wachstum Schritt hält und das Umland gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden bleibt."

Ein langer Arbeitsweg kann auch schädliche gesundheitliche oder soziale Folgen für die Betroffenen haben. So hat sich eine Studie der schwedischen Universität Umea mit diesem Thema beschäftigt. Lange Pendelzeiten gehen häufig mit weniger Zeit für Familie und Freunde einher und können zu Stress und gesundheitlichen Problemen führen. Der US-Soziologe Robert Putnam hat schon vor rund 20 Jahren unter anderem die immer längeren Arbeitswege mitverantwortlich für Vereinsamungstendenzen in der amerikanischen Gesellschaft ausgemacht.

Debatte um Pendlerpauschale

Mit Blick auf die steigende Anzahl von Berufspendlern hat sich der DStGB für die Beibehaltung der Pendlerpauschale ausgesprochen: „Das aktuell geforderte Auslaufen der Pendlerpauschale lehnen wir entschieden ab“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg, in Berlin. Die steuerliche Förderung von Pendlern unterstützt die bewusste Entscheidung vieler Menschen, ihren Lebensmittelpunkt im ländlichen Raum zu wählen, so der DStGB. Ballungsräume, die aktuell große Probleme mit verstopften Straßen, steigenden Mieten und überfüllten U- und S-Bahnen haben, würden dadurch entlastet.

Zuvor hatte sich der Mobilitätsforscher der Mobilitätsforscher Stephan Rammler im Deutschlandfunk für eine Abschaffung der Pendlerpauschale ausgesprochen. Er sieht als Folge des Pendelns eine große psychische und physische Belastung der Arbeitnehmer. Der Traum vom Eigenheim im Grünen sei oft nur in Abhängigkeit vom eigenen Auto möglich: „Wir haben in Deutschland ein nach wie vor vorherrschendes, sehr stark wirksames kulturelles Leitbild des Wohnens, das man als Eigenheim-Automobil-Kultur bezeichnen könnte, so Rammler. Möglich werde das auch wegen der günstigen Energiepreise.

Mobilitäts-Mix fördert umweltfreundliches Pendeln

Landsberg sprach sich dafür aus, das Lebensumfeld für Pendler im ländlichen Raum zu verbessern. So könnten durch flexible Arbeitsmodelle und die Ausweitung der Telearbeit Arbeitswege vermieden bzw. verkürzt werden. Auch moderne Verkehrskonzepte könnten Pendler entlasten, hieß es. „Dazu muss der ÖPNV gestärkt und unterschiedliche Verkehrsträger – von E-Mobilen, über den Radverkehr einschließlich E-Bikes bis hin zu Sharing-Fahrzeugen – besser vernetzt werden, so Landsberg. Er begrüßte die Ankündigung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), für Radschnellwege zusätzliche 25 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Sie kündigte auch an, Unternehmen dabei unterstützen, ihren Mitarbeitern bessere Mobilitätsbedingungen zu bieten. Denkbar seien Jobtickets, die gemeinsame Nutzung von Autos, Fahrradstellplätze oder flexiblere Homeoffice-Angebote, sagte sie Berichten zufolge den Zeitungen der Funke-Gruppe.

Nicht nur pendeln mehr Menschen zur Arbeit, sie sind auch bereit, längere Wege in Kauf zu nehmen: die durchschnittliche Länge des einfachen Arbeitsweges ist von 14,6 Kilometern im Jahr 2000 auf 16,8 Kilometer im Jahr 2015 gestiegen. Besonders lang sind die Distanzen zu den Arbeitsmarktzentren in den dünn besiedelten Räumen abseits der Ballungsräume. In großen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts legen Beschäftigte im Durchschnitt mehr als 30 Kilometer auf dem Weg zur Arbeit zurück. Auch die Zahl der Fernpendler mit einem einfachen Arbeitsweg von mehr als 150 Kilometern ist seit der Jahrtausendwende gestiegen – von 1 Million auf 1,3 Millionen.