Verunreinigungen

Immer mehr Spuren- und Schadstoffe im Grundwasser

Maicke MackerodtKarin Billanitsch14. Juli 2016
Trinkwasser-Probe
Trinkwasserprobe: Die Qualität des Trinkwassers unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben. Das Grundwasser erfüllt diese oft nicht.
Nitrat, Medikamente, Waschmittel und Co: Viele Substanzen bedeuten eine Herausforderung für die Wasserversorger. Die Branche ist verunsichert. Der Leichtsinn mancher Verbraucher und Betriebe kann teure Folgen haben.

Sie sind weder zu schmecken, noch trüben sie das Wasser: ­Allerfeinste Spurenstoffe schweben in unserem Trinkwasser. Die Verunreinigungsspuren gelangen aus Medikamenten, Pestiziden, Kosmetikprodukten oder Körperpflegemitteln in die Gewässer und ins Grundwasser. Georg Wulf, Vorstandsvorsitzender des Wupperverbandes, bestätigt: „Die Diskussionen um die Qualität des Wassers nehmen zu.“ Wulf ist verantwortlich dafür, dass im 800 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet der Wupper – über alle kommunalen Grenzen hinweg – alle „wasserwirtschaftlichen Aufgaben“ erfüllt werden. Dazu gehört, 900.000 Menschen zwischen Leverkusen und Wuppertal mit dem „Lebensmittel Nummer 1“, Trinkwasser, zu versorgen.

„Moderne Analytik kann im Nanobereich alles aus dem Wasser delektieren“, so der Experte. Allerdings habe „nicht alles eine Relevanz, über die sich die Menschen Sorgen machen müssten“, beruhigt er vorsorglich. Er ist auf Einladung des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), in dem auch der Wupperverband Mitglied ist, in Berlin. Der VKU hat hochgerechnet: Jedes Jahr gelangen 630.000 Tonnen Chemikalien aus Wasch- und Reinigungsmitteln ins Abwasser. Hinzu kommen 10.500 Tonnen aus Kosmetika und anderen Produkten sowie 8100 Tonnen Medikamente. Pflanzenschutzmittel machen weitere 118.000 Tonnen aus. Diese Belastungen verunsichern die Branche, wie eine Umfrage des VKU ergeben hat 84 Prozent der befragten Wasserbetriebe befürchten demnach, der zunehmende Eintrag von Spurenstoffen beeinträchtige Wasserqualität und Ökosysteme.

Weitere Reinigungsstufe ist teuer

Die heute üblichen Aufbereitungstechniken beseitigen die Stoffe, die sich oft nur im Milliardstel-Grammbereich im Wasser befinden, nicht. Um diese Spurenstoffe herauszufiltern, wären flächendeckend hohe Investitionen in eine weitere Reinigungsstufe in Klär- und Trinkwasseranlagen nötig. Wulf schätzt die Summe dafür auf 1,3 Milliarden Euro. Er betont insbesondere, die kommunale Wasserwirtschaft sei nicht der Verursacher – daher dürften diese Kosten nicht allein zu Lasten der Wasserbetriebe gehen. Katharina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des VKU, plädiert dafür, die Verursacher an den Kosten zu beteiligen. Der Verbraucher sollte zudem sensibilisiert und über die Wirkstoffe in einem Produkt aufgeklärt werden, etwa durch eine Kennzeichnungspflicht. Wulf hält es auch für eine mögliche Lösung, Abgaben von den Herstellern für die Wasserreinigung zu verlangen. Reiche fordert zudem ­eine zentrale Datenbank. Hier könnten ­Informationen zum Beispiel über Art und ­Risiken der Stoffe gesspeichert werden.

Neben den genannten Spurenstoffen bereitet den Wasserbetrieben auch die Nitratverschmutzung große Probleme. Deutschland hat nach Malta die höchste Nitrat-Verschmutzung des Grundwassers innerhalb der Europäischen Union (EU) und hat nicht einmal die Vorgaben der rund 25 Jahre alten EU-Nitratrichtlinie erfüllt. In Nordrhein-Westfalen (NRW) sind 40 Prozent aller Grundwasser­vorkommen so stark mit Nitrat belastet, dass ohne Aufbereitung gar kein Trinkwasser mehr gewonnen werden kann. Jetzt hat Brüssel die Bundesregierung sogar vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen anhaltender Verschmutzung der Gewässer mit Nitrat verklagt.

Landwirtschaft belastet das Grundwasser

Dass es, etwa in NRW, trotzdem ein Grundwasserproblem gibt, liegt am Fehlverhalten einzelner Landwirte, zum Beispiel durch Überdüngung, sowie vor allem an der Massentierhaltung. Birgit Kaiser de Garcia, Sprecherin des Landes­umweltamtes (LANUV) erläutert: ­„Überall dort in NRW gibt es schlechte Grundwasserqualität, wo viel intensive Landwirtschaft betrieben wird.“ ­Viele Tiere bedeuten automatisch immer auch viel Gülle: Allein um 400-Gramm-Schweineschnitzel „herzustellen“, fallen zehn Liter Kot und Urin an. Werden diese als Dünger von Landwirten ausgebracht, gelangen sie in Form des Salpetersalzes Nitrat ins Grundwasser. Auch Gärreste oder Rückstände von Kunstdünger belasten das Wasser. Wenn der Düngerrückstand erst einmal das Grundwasser erreicht hat, bleibt das Wasser auf unabsehbare Zeit verschmutzt.

Sorgen um die Qualität des Trinkwassers müssen sich die Menschen in NRW laut deren Wasserversorger trotzdem nicht machen. Der Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser liegt seit den 1990er Jahren bei 50 Milligramm pro Liter. Deshalb wird Grundwasser, das stärker als erlaubt belastet ist, zum einen mit sauberem Wasser gemischt, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. So machen es beispielsweise die Lippstädter, wo Nitrat aus Düngemitteln nach heftigem Regen ins Rohwasser eingeschwemmt wird.

Aktivkohle soll Grundwasser reinigen

Die Stadtwerke in Arnsberg und auch in Lippstadt setzen zum anderen seit einigen Jahren zusätzlich sehr teure ­Aktivkohlefilter ein. Das ist die Spätfolge eines Skandals vom Sommer 2006. Einige Landwirte hatten angeblichen „Bio-Kompost“ auf ihrem Land verteilt, in Wahrheit einen Klärschlamm, der stark mit der Industrie-Chemikalie PFT belastet war. Bis heute ist das Wasser von Ruhr und Möhne mit PFT verschmutzt, das nur mit ­Aktivkohlefilter kostenintensiv und aufwendig entfernt werden kann.

Um Nitrat als Hinterlassenschaft der Intensiv-Landwirtschaft kümmert sich auch die Wasserversorgung Beckum (WVB). Dieses Wasserwerk hat sich mit vier anderen zusammengeschlossen, um Belastungen vorzubeugen. Damit die Nitratbelastung gering bleibt, beraten die Wasserwerker die Landwirte in ihrem Einzugsbereich kostenlos, geben dafür jährlich 230.000 Euro aus. Allein in ­Dorsten kooperieren 75 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe. Als im Jahr 2014 das ­Landwirtschaftsministerium die alarmierenden Werte veröffent­lichte, lud der SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Fragemann die Wasserexpertin Angela Herzberg ein. Das Fazit der Geologin: „Nur ein Drittel der Betriebe ist ­beratungsresistent, treibt aber so den Nitratwert im Grundwasser in die Höhe.“ Ihr Fazit: „Die Düngeverordnung ist in den Wasserschutzgebieten zu lasch. Helfen können hier nur härtere Gesetze!“