Interview mit Islamismus-Experte Ahmad Mansour

Islamischer Judenhass in Deutschland? „Erinnerungskultur auch an Migranten vermitteln“

Fabian Schweyher29. Januar 2018
Der Psychologe Ahmad Mansour lebt und arbeitet in Berlin.
Am Samstag wurde den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Nichtsdestotrotz kommt es mehr als 70 Jahre später regelmäßig zu verbalen oder körperlichen Übergriffen auf Juden. Ein Gespräch mit dem Islamismus-Experten Ahmad Mansour, der vor französischen Zuständen in Deutschland warnt.

Herr Mansour, immer wieder ist zu lesen, dass jüdische Mitbürger von Muslimen attackiert werden. Wer in bestimmten Stadtteilen eine Kippa trägt, lebt gefährlich. Und zuletzt brannten wieder Israel-Fahnen, während arabische und türkische Migranten Hassparolen riefen. Hat Deutschland ein Problem mit islamischem Antisemitismus?

Antisemitismus ist ein herkunftsübergreifendes Phänomen, das es in allen Schichten und auch unter Muslimen gibt. Der islamische Antisemitismus zeigt sich jedoch offensiver, weil er von den historischen Ereignissen in Deutschland losgelöst ist. Der Holocaust wirkt für viele Menschen wie eine Bremse für antisemitische Gedanken. Wenn es sie gibt, werden sie leise und vorsichtig geäußert. Muslime sind anders sozialisiert und äußern sich deswegen laut und eindeutig. Die genannten Beispiele sind nur die Spitze des Eisberges. Dieser Antisemitismus ist tagtäglich zu beobachten.

Wie äußert sich der Hass gegen Juden?

Unter Jugendlichen zeigt er sich offen, beispielsweise im Hiphop. Dort sind regelmäßig Wörter wie „Rothschildfamilie“, „Illuminaten“, „Freimaurer“, „Israel“ und „Juden“ zu hören, die allesamt negativ dargestellt werden. Das hat auch mit Verschwörungstheorien zu tun, die in den sozialen Medien millionenfach angeklickt werden. Der Antisemitismus ist genauso mit dem Nahostkonflikt verbunden, den die Jugendlichen einseitig betrachten, was ganz schnell zu Antisemitismus führt – wie kürzlich nach Donald Trumps Jerusalem-Entscheidung. Manche, wie die Islamisten, geben diesem Hass sogar religiöse Dimensionen und behaupten, Gott und seine Propheten hätten immer Konflikte mit Juden gehabt.

Hat sich der muslimische Antisemitismus erst zu einem Problem entwickelt, seitdem viele Menschen aus arabischen Ländern Schutz in Deutschland suchen?

Das Problem gab es schon vorher. Im Jahr 2014 – also vor der Flüchtlingswelle – kam es während des Gaza-Kriegs zu heftigen antisemitischen Auseinandersetzungen. Synagogen wurden angegriffen. In Berlin wurde gerufen: „Jude, Jude, du feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein.“ Auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Flüchtlinge, die aus dem Irak, aus Syrien und muslimisch-afrikanischen Ländern kommen, mit Antisemitismus aufgewachsen. Er ist Teil ihrer Sozialisation. Dort ist er in der Schulbildung und in den Medien allgegenwärtig.

Wie kann eine Lösung aussehen? Wie lassen sich auf diese Weise geprägte Muslime erreichen?

In der Schule sind wir sehr gut darin, den Holocaust und das Dritte Reich pädagogisch zu bearbeiten. Wenn es aber um modernen Antisemitismus, Verschwörungstheorien und den Nahostkonflikt geht, versagen wir. Neue Lehrpläne sind nötig. Die Lehrer müssen so ausgebildet werden, dass sie mit diesen Themen und antisemitischen Geschehnissen umgehen können. Nötig sind auch intensivere Integrationskurse, in denen darüber diskutiert wird. Am wichtigsten ist jedoch, dass die Migranten die historische Verantwortung Deutschlands verstehen. Nur dann ist Integration möglich. Das müssen wir deutlich kommunizieren – auch mit Repression. Wer hierzulande Antisemitismus verbreiten will, dem muss klargemacht werden, dass er mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat.

Was halten Sie von verpflichtenden Besuchen in Konzentrationslagern?

Wir müssen unsere Erinnerungskultur auch Migranten vermitteln. Ein Besuch in einem Konzentrationslager muss zur Pflicht werden – vor jeder Einbürgerung, in der Schule, für alle Menschen in Deutschland. Die Menschen müssen sehen, wozu Hass und Antisemitismus führen können.

Nach Attacken gegen Juden äußern sich Politiker oft routiniert. Man zeigt sich empört, stellt Forderungen auf, dann wird es wieder still. Auch die Gesellschaft wirkt desinteressiert. Woran liegt das?

Es gibt die Angst, den Rechten eine Vorlage zu geben. Deswegen vermeiden Politiker klare Äußerungen. Man möchte nicht so recht darüber sprechen, dass Flüchtlinge auch Antisemitismus mitbringen. Viele Politiker erkennen außerdem offenbar immer noch nicht das Ausmaß des Problems. Die Politik geht sehr naiv damit um. Es fehlt an Konzepten, wie wir diesen Menschen unsere Werte vermitteln und wie wir sie für die Gesellschaft gewinnen.

In Frankreich ist der muslimische Antisemitismus dermaßen aggressiv, dass zehntausende Juden ausgewandert sind. Ist dieses Szenario auch für Deutschland denkbar?

Ich habe jüdische Freunde in Berlin, die mittlerweile zurückgezogen und unauffällig leben. Manche denken darüber nach auszuwandern, einige haben es schon getan. Auch viele Israelis, die nach Berlin kommen, unterhalten sich auf Englisch statt auf Hebräisch, um nicht aufzufallen. Französische Zustände drohen auch hierzulande. Das wäre eine Riesenschande für Deutschland.

Das Interview ist zuerst auf vorwaerts.de erscheint mit freundlicher Genehmigung des Berliner vorwärts Verlags.