Lockerungsbeschlüsse

Kampf gegen Pandemie: Jetzt stehen die Kommunen im Mittelpunkt

Carl-Friedrich Höck07. Mai 2020
„Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr haben, dass Landräte, Bürgermeister und Gesundheitsämter gut arbeiten, dann können wir einpacken”, sagte Bundeskanzlerin Merkel (Archivbild).
Kanzlerin und Ministerpräsident*innen haben beschlossen: Die Corona-Pandemie soll in Zukunft verstärkt mit regionalen Maßnahmen bekämpft werden. Städte und Landkreise erhalten mehr Beinfreiheit – aber auch die Verantwortung steigt.

Wer soll über Anti-Corona-Maßnahmen entscheiden, der Bund oder die Länder? Diese Debatte ist in den vergangenen Wochen vielfach geführt worden. Nach der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder ist diese Frage erst einmal beantwortet. Ab sofort liegt es in der Hand der Länder, über weitere Lockerungen oder auch neue Auflagen zu bestimmen. Gleichzeitig rücken die Städte und Landkreise immer mehr ins Zentrum der Pandemiebekämpfung.

Kommunen sollen selbst Beschränkungen erlassen

Welche Werkzeuge zum Einsatz kommen, soll nämlich von der regionalen Dynamik der Neuinfektionen abhängen. Wo die Infektionsrate schnell steigt, sollen die Städte und Landkreise sofort vor Ort mit eigenen Beschränkungskonzepten reagieren. Im Beschluss der Regierungschefs heißt es: „Deshalb werden die Länder sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit kumulativ mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb der letzten sieben Tage sofort ein konsequentes Beschränkungskonzept unter Einbeziehung der zuständigen Landesbehörden umgesetzt wird.“

Dies kann letztlich auch bedeuten, dass Kommunen teilweise abgeriegelt werden. Der Beschluss sieht „Beschränkungen nicht erforderlicher Mobilität in die besonders betroffenen Gebiete hinein und aus ihnen heraus“ vor.

Viel Arbeit für Gesundheitsämter

Neue Infektionsketten sollen schnell erkannt und unterbrochen werden. Dafür werden gut ausgestattete Gesundheitsämter benötigt, die Kontakte nachverfolgen. Und es muss vermehrt getestet werden. Schon jetzt sind die kommunalen Ämter stark ausgelastet. Mitarbeiter*innen machen während der Pandemie Überstunden, Personal aus anderen Bereichen wird zur Unterstützung in den Gesundheitsdienst delegiert. Bereits im April hat die Bundesregierung angekündigt, die Kommunen mit 105 mobilen Teams bei der Nachverfolgung von Infektionsketten zu unterstützen.

Der Virologe Alexander Kekulé äußerte sich nach den jüngsten Beschlüssen dennoch skeptisch. Die Nachverfolgbarkeit von Infektionen sei „noch nicht so weit wie gewünscht“, sagte er am Donnerstagmorgen im ZDF. Grundsätzlich sei es aber positiv zu werten, dass die Maßnahmen wieder verschärft werden sollen, wenn in einer Stadt oder einem Landkreis die Infektionszahlen deutlich steigen.

Bund vertraut den Kommunen

Mit ungewohnt drastischen Worten verteidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Pläne, den Kommunen mehr Verantwortung zu übertragen. In einer Pressekonferenz sagte sie: „Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr haben, dass Landräte, Bürgermeister, Gesundheitsämter gut arbeiten, dann … ja, dann können wir einpacken. Das ist dann nicht unsere Bundesrepublik Deutschland.“

Der Deutsche Landkreistag begrüßt den Bund-Länder-Beschluss. Präsident Reinhard Sager sagte, es müsse auch künftig möglich sein, auf unterschiedliche Situationen in den Landkreisen unterschiedlich zu reagieren. „Die Landkreise benötigen in dieser Hinsicht eine gewisse Beinfreiheit und müssen nach wie vor eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können.“  Nur auf diese Weise sei es bislang gelungen, die örtlich begrenzten Infektionsherde zu beherrschen. „Beispielsweise haben der Landkreis Tirschenreuth mit der Quarantäneanordnung für ein ganzes Dorf oder aber der Kreis Heinsberg mit der gezielten und raschen Schließung von öffentlichen Einrichtungen gezeigt, dass sie in der Corona-Pandemie sehr handlungsfähig sind. Und das noch vor Absprachen von Bund und Ländern.“

Sager betont, bisher gelinge es den Gesundheitsämtern sehr gut, Infektionsketten nachzuvollziehen. „Spätestens bei einer zweiten drohenden Corona-Welle im Herbst kann einer Corona-App aber eine große Bedeutung zukommen, um das Infektionsgeschehen auch unter verschärften Bedingungen im Griff zu behalten.“

Schüler*innen sollen zurückkehren, Kita-Betreuung erweitert werden

Während regionale Beschränkungen künftig eine bedeutendere Rolle spielen sollen, werden die bundesweiten Corona-Maßnahmen weiter gelockert. Die Regierungschefs haben beschlossen, dass alle Schüler*innen bis zu den Sommerferien mindestens einmal die Schule besuchen sollen. Die Notbetreuung in den Kitas soll stufenweise erweitert werden. In Krankenhäusern und Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen sind künftig wieder regelmäßige Besuche durch eine festgelegte Vertrauensperson möglich. Geschäfte können unabhängig von der Verkaufsfläche wieder öffnen, solange die Abstandsregeln eingehalten werden. Auch Breiten- und Freizeitsport unter freiem Himmel wird unter bestimmten Voraussetzungen wieder möglich – so werden etwa Tennisplätze wieder geöffnet.

Die Fußball-Bundesliga darf ab Mitte Mai den Spielbetrieb aufnehmen. Die Länder werden „in eigener Verantwortung“ schrittweise wieder die Gastronomie öffnen und touristische Übernachtungen in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen zulassen. Auch über die weiteren Bereiche sollen die Länder selbstständig entscheiden. Das betrifft beispielsweise die Öffnung von Theatern, Konzerthäusern und Kinos, aber auch der Hochschulen und Volkshochschulen, Messen, Bars und Diskotheken.

 

Mehr Informationen:
Beschlusspapier auf bundesregierung.de
Pressekonferenz der Bundeskanzlerin (Protokoll)