Interview mit Thomas Herker

Keine Käseglocke über der Innenstadt

Karin Billanitsch16. Februar 2018
Will durchgangsverkehr aus der Innenstadt verlagern: Thomas Herker, 1. Bürgermeister in Pfaffenhofen an der Ilm.
Wie kann eine lebendige Innenstadt auf nachhaltigem Weg erreicht werden? Über Veranstaltungen, Einzelhandels- und Verkehrskonzepte sprach die DEMO mit dem 1. Bürgermeister der bayerischen Stadt Pfaffenhofen an der Ilm, Thomas Herker

2017 fand in Pfaffenhofen an der Ilm eine Gartenschau statt. Das Veranstaltungsgelände selbst liegt etwas außerhalb; hat das Ereignis auch auf die Innenstadt gewirkt?

Die kleine Landesgartenschau war eines der wichtigen Ereignisse in 2017. Sie ist zwar von der Fläche her nicht vergleichbar mit den großen Formaten – dennoch haben wir knapp sieben Hektar dauerhafte neue Grünanlagen durch die Gartenschau bekommen. Die Flächen selbst sind – vom Zentrum der Innenstadt aus gesehen – 200, 500 beziehungsweise 700 Meter entfernt, also in fußläufigen Entfernungen. Das Konzept war, nicht nur die Landesgartenschau selbst zu bewerben und zu bespielen, sondern eng mit der Innenstadt zu verflechten.

Wie wurde das erreicht?

Es gab ausgewiesene Rundwege durch die Innenstadt, künstlerische und kulturelle Angebote, die Gewerbetreibenden haben sich beteiligt, es gab einen Innenstadt-Express mit einer kleinen Elektrobahn. Wir haben versucht, die Innenstadt zu einem Teil der Gartenschau zu machen. Es ist uns gelungen, einen Großteil der mehr als 330.000 Besucher in die Innenstadt zu locken.

Haben Sie dadurch eine messbare Umsatzsteigerung erzielen können?

Die Gewerbetreibenden in der Innenstadt haben viele Angebote zur Gartenschau gemacht. Wer in den Handel hinein­hört, erfährt, dass es spürbare Steigerungen beim Umsatz gab: etwa beim Umsatz von Sonnenschutz, Sonnenbrillen, Rucksäcke, Schuhen oder Textilien. Auch die Gastronomie war sehr gut besucht – also ein deutlicher Mehrwert durch die Gartenschau. Konkrete Zahlen zur Umsatzsteigerung in der gesamten Innenstadt haben wir nicht erhoben.
Welche Stadtentwicklungsmaßnahmen wurden im Vorfeld der Gartenschau ergriffen?
Die Gartenschau ist nur ein Mosaikstein von zehn Jahren intensiver Stadtentwicklung. Ziel ist eine Aufwertung der Innenstadt. Wir haben 2008 begonnen, den Hauptplatz der Stadt neu zu gestalten und mit einer neuen Oberfläche zu versehen. Er ist einer der größten Plätze, die Oberbayern zu bieten hat, mit mehr als 11.000 Quadratmetern Platzfläche im Herzen der Stadt. Wir haben teilweise Durchfahrten durch die Innenstadt gesperrt und eine Fußgängerzone eingerichtet. Das Ganze basiert auf einem Stadtentwicklungskonzept, dass wir in der Folge mit den Bürgern zusammen fortgeschrieben haben. Mittlerweile ist die Innenstadt bis auf ein kleines Quartier komplett saniert. Auch zur Gartenschau selbst gab es vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten, für Bürger, für Institutionen, Vereine und auch Gewerbetreibende. Das ist ein ganzes Potpourri von Maßnahmen – dahinter steht letztendlich ein sich laufend erneuernder und ergänzender Planungsprozess.

Sie haben den Hauptplatz im Herzen der Stadt angesprochen. Es ist ein neues Verkehrskonzept geplant. Unnötiger Durchgangsverkehr soll aus der Innenstadt herausgehalten werden. Wie wollen Sie das erreichen?

Generell muss man den Bogen etwas größer spannen. Wir sind gerade dabei, in einem sehr breiten Prozess mit vielfältigen Einbindungsformaten einen neuen Flächennutzungsplan aufzustellen. Er beschreibt, wie sich die Stadt in den nächsten 15 Jahren entwickeln soll. Dazu haben wir auch den Verkehrs­entwicklungsplan intensiv betrachtet und mit Verkehrsmodellen und Haushaltsbefragungen gefüttert – und Pro­gnosen angestellt.

Skizzieren Sie bitte die Grundzüge.

Pfaffenhofen ist heute eine Kleinstadt mit 26.000 Einwohnern. Im vorigen Jahr haben wir eineinhalb Prozent Bevölkerungswachstum realisiert. Aufgrund der Nähe zu den Ballungsräumen Augsburg und München und zur Industriestadt Ingolstadt im Norden liegen wir wohl gut und werden weiterwachsen. Wir haben heute auf 1.000 Einwohner mehr als 800 Kraftfahrzeuge (Kfz). Das ist eine der höchsten Kfz-Dichten in Deutschland. Der Pfaffenhofener fährt sehr gerne auch kürzeste Strecken bis 3 Kilometer mit 1,1 Personen belegt mit dem PKW. Es ist nicht ungewöhnlich, dass selbst der Weg zum Bäcker, zum Semmeln holen – 500 Meter – mit dem eigenen Auto zurückgelegt wird. Es ist absehbar, dass jedes Jahr 300 neue Kfz auf unsere Straßen kommen. Das Problem: Die Stadt selbst ist historisch gewachsen, der Verkehrsraum lässt sich nicht beliebig erweitern.
Dazu kommt: Wir haben uns sehr ambitionierte Klimaschutzziele gegeben, das heißt, wir wollen Mobilitätsströme gestalten und lenken. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich auch – gerade wenn ich es auf den Handel herunterbreche – die großen Megatrends hin zum Onlinehandel und die Frage, wie sich lokaler Einzelhandel behaupten kann. Dies alles zusammen betrachtet, hat sich die Stadtpolitik mehrheitlich dafür entschieden, jetzt auch unangenehme Entscheidungen zu treffen. Es ist immer unangenehm, wenn man den Menschen gewohnte Wege verbaut. Aber ich glaube, gewisse bauliche Maßnahmen, um Verkehrsströme zu lenken, bleiben uns nicht erspart. Da sind wir mit der Bürgerschaft aber noch intensiv in der Diskussion.

Was heißt das konkret?

Im Kern wollen wir den Verkehr, der die Innenstadt nur als Durchgang benutzt, nach außen verlagern. Wir haben allein 6.000 Kfz, die mitten durch die Stadt fahren, weil es der kürzeste Weg ist. Die Auslagerung des Verkehrs wird uns nur gelingen, wenn wir schon weiter draußen Ableitungen neu gestalten und durch Verkehrsberuhigung die Durchgangsgeschwindigkeit verlangsamen. Wir planen, den Schwerverkehr untertags aus der Stadt herauszulegen und die Radinfrastruktur auszubauen.
2018 werden wir auch eine komplette Neukonzeption des Stadtbus-Systems angehen. Es soll 2020 installiert werden. Das Netz ist zwar heute schon flächen­deckend, aber so hoch die Kfz-Dichte ist, so unterausgelastet ist das ÖPNV-System in der Stadt. Es soll vor allem auf den ­Strecken von 0 bis 3 Kilometern attraktive Angebote geben, denn dort liegt das größte Verlagerungspotenzial. Ein letzter Schritt könnte das Durchfahrtsverbot über den Hauptplatz der Stadt sein, allerdings erst dann, wenn die Verlagerung des Verkehrs ins Umfeld gegriffen hat.

Ist auch ein neuer autofreier Bereich geplant?

In Pfaffenhofen diskutiert man seit 30 Jahren über die gute Stube der Stadt. Der Hauptplatz ist das Aushängeschild. Man hat über Tiefgaragen diskutiert, über Verkehrskonzepte. Man sagt, zwei Bürgermeister wären über Verkehrsdiskussionen gestolpert.
Kurz nach Beginn meiner Amtszeit haben wir einen Durchgang am Hauptplatz geschlossen, um eine kleine Fußgängerzone einzurichten. Das hat damals zu Proteststürmen geführt. 30 Gewerbetreibende haben mich in meinem Büro aufgesucht, und mir erklärt, ich wäre der Totengräber der Innenstadt.
Im Nachgang ist festzustellen, dass die Anlieger an der Fußgängerzone deutliche Umsatzsteigerungen verzeichnet haben. Heute stellt diese Entscheidung keiner mehr in Frage. Jetzt sprechen wir darüber, ob wir die Fußgängerzone ein Stück ausweiten, den ruhenden Verkehr etwas verlagern, ein paar Stellplätze an der Oberfläche einsparen, um wie gesagt, den Durchgangsverkehr herauszunehmen. Das wird hitzig diskutiert. Manchmal glaubt man, das Wohl und Wehe der Gewerbetreibenden hängt immer noch am einzelnen Stellplatz unmittelbar vor der Haustüre. Ich glaube nicht, dass das entscheidend ist.

Sondern?

Ich glaube, für eine funktionierende Innenstadt ist das Gesamtsortiment entscheidend, die Art und Weise, wie sich die Unternehmen präsentieren, ob die Bürger eine ansprechende Einkaufsatmosphäre vorfinden und ein Dienstleistungsangebot, dass auch mit Online-Händlern konkurrieren kann. Dazu gehört die Aufent­haltsqualität auf dem Platz ebenso wie die Möglichkeit, zentrumsnah zu parken. Aber ich glaube, mit dem vorliegenden Konzept sperrt man niemanden aus der Innenstadt aus. Trotzdem könnte es uns gelingen, mit einer Ausweitung des Kfz-freien Raums jetzt die Qualität auf dem Hauptplatz zu steigern. Aber, wie gesagt, da sind wir mitten in der Diskussion.

Eine lebendige Innenstadt ist nicht selbstverständlich, sondern ein ­Dauerthema in Kommunen. Was tut Pfaffenhofen, um Leerstände und Ladensterben zu verhindern?

Ich bin jetzt im zehnten Jahr Bürgermeister, und vor zehn Jahren hatten wir ungefähr in jeder vierten Ladenfläche Leerstand. Mittlerweile gibt es keinen einzigen Leerstand mehr, es sei denn, die Eigentümer haben keinerlei Verwertungsinteresse.

Was haben Sie dafür getan, dass der Leerstand verschwunden ist?

Man muss voranschicken, dass wir in einer wirtschaftlich prosperierenden Gegend leben und verkehrstechnisch optimal angebunden sind. Das sind keine schlechten Grundvoraussetzungen. Bis vor zehn Jahren gab es 20 Jahre Stillstand. Man versuchte, alles zu unterbinden, was sich in der Innenstadt ändern könnte. Mein Vorgänger hat von der „Käseglocke über der Innenstadt“ gesprochen. Die Käse­glocke haben wir entfernt. Mit einer eigenen städtischen Wirtschaftsförderung, die wir vor zehn Jahren gegründet haben und einem aktiven Leerstands-Management haben wir versucht, Leerstände bewusst zu belegen. Wir haben Förderprogramme für junge Existenzgründer seitens der Kommune aufgelegt, sind in intensivem Kontakt mit den örtlichen Wirtschaftsverbänden. Wir holen Unternehmen nach Pfaffenhofen, und zwar solche, die dem Bestand guttun. Die kleinen inhabergeführten Läden profitieren von der bewusst gesteuerten Ansiedlung dieser Magnetbetriebe. Sie sehen: Da steckt sehr viel drin. Man braucht eine gesunde Basis und ein gesundes Bewusstsein der Politik, Entwicklungen auch anzuschieben.