Serie: „Unser Rathaus“

Kennedy und Schah-Besuch: Wie das Schöneberger Rathaus zum Schauplatz der Geschichte wurde

Carl-Friedrich Höck27. Mai 2022
Im Turm des Rathauses hängt die Freiheitsglocke, ein Geschenk aus den USA.
Das Rathaus Schöneberg wurde innerhalb weniger Jahrzehnte vom Provinz-Rathaus zum Schauplatz der deutschen Geschichte. US-Präsident Kennedy sprach hier vier legendäre Worte. Und für Stadträtin Angelika Schöttler hat das Gebäude seit ihrer Kindheit eine besondere Bedeutung.

Geschichtsträchtige Rathäuser gibt es viele, aber kaum eines repräsentiert die jüngere deutsche Historie so sehr wie das Rathaus Schöneberg. Errichtet wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals war Schöneberg eine eigenständige Kommune, die gerade erst vom Dorf zur Stadt herangewachsen war. 1914 tagte die Stadtverordnetenversammlung erstmals in dem Sandsteinbau – da brach auch schon ein Weltkrieg über Schöneberg herein. Einige Jahrzehnte später bezog Willy Brandt hier sein Arbeitszimmer und US-Präsident John F. Kennedy hielt eine Rede, die noch heute jeder kennt. Aber der Reihe nach.

Mit der Bildung von „Groß-Berlin“ wurde Schöneberg 1920 in die deutsche Hauptstadt eingemeindet. Das Rathaus wurde im zweiten Weltkrieg teilweise zerstört. Trotzdem fiel die Wahl auf Schöneberg, als 1949 ein neuer Sitz für die West-Berliner Politik gesucht wurde. Plötzlich war das Gebäude nicht nur Sitz der Schöneberger Bezirksverordnetenversammlung, sondern auch des Berliner ­Abgeordnetenhauses. Der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter bezog ebenfalls sein Dienstzimmer im Rathaus. ­Berlin galt damals als „Frontstadt“ im Kalten Krieg. Entsprechend aufmerksam ­verfolgte die Welt, was hier passierte.

Schulterschluss mit den USA

Wer sich für die Geschichte des Gebäudes interessiert, muss drei Dinge wissen. Erstens: Im markanten Turm hängt die „Freiheitsglocke“, eine Nachbildung der „Liberty Bell“ in Philadelphia. Die Glocke ist ein spendenfinanziertes Geschenk aus den USA und kam 1950 nach Schöneberg. Zuvor wurde die Glocke durch 26 Städte gefahren. 16 Millionen Amerikaner unterzeichneten dabei einen Freiheitsschwur. Der Radiosender RIAS übertrug das Läuten der Glocke früher jeden Tag. Noch heute ist sie sonntags im „Deutschlandradio Kultur“ zu hören.

Zweitens: Auf dem Platz vor dem Rathaus sprach US-Präsident Kennedy im ­Juni 1963 die berühmten Worte „Ich bin ein Berliner“. Das war zwei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer. Mit der Rede bekräftigte Kennedy die Solidarität der USA zu West-Berlin und seinen ­Bürgerinnen und Bürgern.

Drittens: Am Rathaus Schöneberg begann am 2. Juni 1967 die Demonstration gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi. Bei den Protesten wurde der Student Benno ­Ohnesorg von einem Polizisten ­erschossen.

Empfang für den Schah – und Proteste

Stadträtin Angelika Schöttler: Schon ihr Vater war hier Bürgermeister.

Eigene Erinnerungen an diese Ereignisse hat SPD-Politikerin Angelika Schöttler nicht – die Stadträtin für Stadtentwicklung ist heute für das Gebäude zuständig. Schöttler wurde erst 1963 geboren. Doch die Ur-Schönebergerin weiß, dass ihre Mutter Kennedys Rede damals vor dem Radio verfolgt hat, zusammen mit der frisch geborenen Tochter. Den Schah-Besuch hat Schöttlers Vater in doppelter Funktion erlebt. Als Mitglied des Bezirksamtes musste er am offiziellen Empfang teilnehmen. Danach ging er demonstrieren, denn er war ein linker Sozialdemokrat und stand zum Schah in Opposition.

Schöttlers Vater Alfred Gleitze wurde später sogar Bürgermeister von Schöneberg. Das Amt übte er von 1971 bis 1975 aus. Schöttler selbst sollte später ebenfalls Rathauschefin werden, von 2011 bis 2021 – da war Schöneberg schon mit dem Nachbarbezirk Tempelhof fusioniert.

Ursprünglich wollte Angelika ­Schöttler gar nicht in die Politik gehen. Als Kind fand sie es zwar spannend, wenn die ganze Schulklasse ihren Papa im Rathaus besuchte, doch sie lernte auch früh die Schattenseiten des Berufes kennen. Bürgermeister sei man 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, erzählt sie. Das habe den Familienalltag geprägt.

Kurze Wege und lange Gänge

Schöttler studierte Informatik, merkte aber bald, dass das nicht zu ihr passt. „Ich bin ein Teamspieler“, sagt sie. Das Parteileben in der SPD machte ihr dagegen Spaß. 1988 zog sie in die Bezirksverordnetenversammlung ein. Und damit ins Schöneberger Rathaus, das zugleich Sitz des Abgeordnetenhauses war. Für ihren Vater seien die „kurzen Wege“ in die Landespolitik damals bestimmt von Vorteil gewesen, meint sie.

Als Neuling in der Bezirkspolitik kam Angelika Schöttler direkt zu spät zu ­einer Ausschusssitzung und handelte sich ­einen bösen Blick vom Vater ein. Sie hatte sich im großen Gebäude verlaufen. Noch heute kennt sie nicht alle Gänge. „Im vierten Stock gilt die Logik nicht mehr, wie das Haus aufgebaut ist“, sagt sie. Es gebe auch einen dreieinhalbten Stock.

Zur politischen Heimat wurde das Gebäude dennoch. Viele Jahre später wurde Schöttler zur Stadträtin und schließlich sogar zur Bezirksbürgermeisterin gewählt. Für alle Menschen des Bezirkes zuständig zu sein, hat die überzeugte Schönebergerin bewegt: „Das waren zehn gute Jahre, wir konnten viel aufbauen und gestalten“. Noch heute bezeichnet sie das Bürgermeister-Zimmer als ihren Lieblings-Ort im Rathaus. Der Raum mit dem alten Holztisch, an dem Willy Brandt als Regierender Bürgermeister seine Arbeit verrichtete, diente Angelika Schöttler später als Büro. Gute Erinnerungen verbindet sie außerdem mit dem Trauzimmer, wo sie geheiratet hat.

Teile des Rathauses sind heute eine Baustelle. Als das Abgeordnetenhaus 1993 auszog, wurde noch einmal renoviert. Doch „inzwischen muss man an ­alles ran“, sagt Schöttler: an die Elektro­verkabelung, die feuchten Keller, das marode Dach und vieles mehr. An einen möglicherweise günstigeren Neubau denkt aber niemand. Dafür prägt das Haus eine zu bedeutende Geschichte.

 

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