Blickpunkt Bauen und Wohnen

Kommunaler Wohnungsbau erlebt eine Renaissance

Karin BillanitschHarald Sawatzki22. Mai 2018
US-Kasernengelände Benjamin-Franklin-Village
Blick von oben auf den neu entstehenden Stadtteil in Mannheim: Bis zum Jahr 2028 soll das frühere US-Kasernengelände Benjamin-Franklin-Village fertig bebaut sein.
Nach langer Pause steigt die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Mannheim wieder in den Sozialen Wohnungsbau ein. Anderswo, etwa im Landkreis Kassel, wird über die Gründung einer neuen Gesellschaft nachgedacht, um neue Wohnungen zu schaffen. Die Stadt Baunatal unterstützt diese Initiative.

Der Spatenstich ist erfolgt: Die GBG Mannheim beginnt mit ihrem ersten Bauprojekt auf dem früheren US-Kasernengelände Benjamin-Franklin-Village (BFV), der größten Wohnsiedlung der US-Streitkräfte in Westdeutschland. In drei Häusern entstehen zunächst 130 Neubauwohnungen, sie werden zwischen 45 und 110 Quadratmeter groß und barrierearm sein, also junge Menschen ebenso wie Ältere, Einzelne, Paare und Familien ansprechen. Die GBG Mannheim existiert seit 1926 und ist eine der ältesten kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in Deutschland.

600 Wohnungen im „grünen Stadtteil”

Auf dem knapp 150 Hektar großen Gelände, das heute nur noch Franklin heißt, will Mannheim einen „grünen Stadtteil“ entwickeln. Nachdem die Stadt im Jahr 2015 stolze 75 Millionen Euro an die Bundesanstalt für Immobilien-Aufgaben überwies, ging das Konversitions-Gelände in den Besitz der Kommune über. Eine städtische Gesellschaft für Projektentwicklung (MWSP) lenkt seither federführend die Entwicklung und gewann 13 Erstinvestoren für die verschiedenen Bau- und Wohnprojekte auf Franklin. Dabei kam auch die GBG Mannheim zum Zuge.

Sie wird hier insgesamt mehr als 600 Wohnungen errichten. Die Gesellschaft plant den Bau von vier knapp 50 Meter hohen Wohnhäusern mit verschiedenen Grundrissen und Aufbauten. Aus einem entfernten Blickwinkel betrachtet, bilden sie – als Erinnerung an die 60 Jahre währende Anwesenheit der US-Army – das englische Substantiv „HOME“. Ein Rückblick: Nachdem erste Pläne über einen drohenden Truppenabzug der US-Army aus der Stadt bekannt geworden waren, wurde für die regionale Wirtschaft das Schlimmste befürchtet, sollten die etwa 15.000 US-Amerikaner den Standort Mannheim tatsächlich räumen. Im Jahr 2008 kam das Aus für den Standort.

Konversion als Chance

Doch das befürchtete wirtschaftliche ­Desaster trat nicht ein – im Gegenteil: Schnell wurde klar, dass die frei werdenden rund 500 Hektar des früheren US-Geländes regelrechtes Neuland für die Stadtentwicklung sein könnten. Das Stichwort dazu: Konversion – Umnutzung kommunaler Areale. Mannheims erster Konversionsbeauftragter Konrad Hummel erkannte hier die Chance einer „einmaligen Stadtentwicklung“.

Als die Planungen noch ganz am Anfang standen, hatte Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) die Devise ausgegeben: „Die Stadt soll im Kleinen abgebildet werden.“ Architekt Achim Judt, Geschäftsführer der MWSP, beschreibt die fünf „Dimensionen“, an denen sich die Investoren bei ihren Planungen und beim Bau orientieren müssten: Auf Franklin solle nach Möglichkeit „sozial, inklusiv, unter speziellen architektonischen, freiräumigen (grünen) und energetisch sparsamen“ Gesichtspunkten gebaut werden. Gerade so, wie es ein 2014 erarbeiteter Rahmenplan für das neue Wohngebiet vorsehe. Das gesamte Projekt soll 2028 fertig werden. Eigentums- und Mietquote werden sich in etwa die Waage halten, prognostizieren die Planer.

Ein Teil davon wird sozialer Wohnraum sein: Bei den jetzt entstehenden 130 GBG-Wohnungen werden 120 den Anforderungen der Wohnraumförderung entsprechen, 80 weitere sollen später folgen. Frei finanzierte Mieten liegen im Bestand der GBG derzeit noch bei 6,24 ­Euro, im Sozialen Wohnungsbau sind es 5,80 ­Euro. Bernd Klotter, der Technische Prokurist der GBG, erwartet im entstehenden Stadtteil in den geförderten Objekten einen Quadratmeterpreis von 7,50 Euro. Die frei finanzierten Einheiten werden ab zehn Euro pro Quadratmeter vermietet. Ob sich aber die Neubautätigkeit tatsächlich preisberuhigend auf die Wohnsituation in Mannheim auswirken werde, bleibe abzuwarten, meinte ­Christian Franke, der Leiter des „Einnahmenmanagements“ der GBG.

Sozialer Wohnungsbau im Wandel

Nach einer 20-jährigen Pause steigt die städtische GBG Mannheim damit jetzt wieder in den Sozialen Wohnungsbau ein. Für Städte wie Mannheim, deren Wohnungsmarkt stark unter Druck steht, macht es Sinn, über eigene Wohnungsbaugesellschaften am Markt zu sein, es ist ein wichtiges wohnungspolitisches Instrument einer Kommune, um für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Doch längst nicht alle Städte oder Kreise haben überhaupt noch eine eigene Wohnungsbaugesellschaft: Nachdem die Wohnungsgemeinnützigkeit Ende der ­­80er Jahre abgeschafft wurde, haben sich viele Kommunen in den 1990ern aus dem geförderten Wohnungsbau zurückgezogen. Im Jahr 2006 wurde dem Bund im Zuge der Föderalismusreform I die Zuständigkeit für die Förderung entzogen, wodurch das Thema weiter in den Hintergrund rückte. Die Friedrich-Ebert-Stiftung umschreibt in einer Analyse im Jahr 2017 das Problem: „Die Wohnung beziehungsweise die Wohnimmobilie wurden zunehmend als Handelsware betrachtet. Öffentliche, kommunale und landeseigene Wohnungsbestände wurden verkauft. Sozial- und Mietpreisbindungen liefen aus und wurden nicht oder nicht in ausreichendem Maß erneuert.“

Einiges ändert sich nun, um die drängenden Versorgungsprobleme zu lösen. Zum Beispiel hat die Stadt Leipzig wieder eine eigene kommunale Wohnungsbaugesellschaft gegründet. Auch der Landkreis Gießen hat vor einem Jahr zusammen mit neun Städten und Gemeinden die SWS GmbH ins Leben gerufen. „Mit der Gesellschaft können wir jetzt zusammen mit den Mitgliedskommunen passende Maßnahmen entwickeln, um bezahlbaren Wohnraum zu fördern und zu sichern“, hatte Landrätin Anita Schneider (SPD) in einer Mitteilung formuliert. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass der kommunale Wohnungsbau in Städten und umliegenden Gebieten wegen des Mangels an günstigem Wohnraum Auftrieb hat.

Landkreis Kassel prüft Neugründung

Aktuell hat der Kreisausschuss des Landkreises Kassel einen Auftrag zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen auf Landkreisebene eine Wohnungsbaugesellschaft zur Schaffung sozialen Wohnraums gegründet werden kann. 20 von 28 befragten Kommunen hatten Inte­resse an der Beteiligung an einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft bekundet, bestätigt Projektleiterin Martina Rapprich. Bedarf an Sozialwohnungen besteht laut eigener Einschätzung der Städte und Gemeinden in 15 Kommunen, Bedarf an bezahlbarem Wohnraum haben sogar 20 Kommunen von 28 angemeldet. „Allerdings gibt es im Landkreis Kassel eine sehr unterschiedliche Gemengelage“, erläutert Rapprich. Während in Gemeinden im Speckgürtel um die Stadt Kassel ­herum Wohnungsknappheit herrsche, drohten im nördlichen Kreisgebiet Wohnungsleerstand und Verfall. Ein Problem, das auch im Prüfbericht gesehen wird, der jetzt vorliegt, über den aber noch nicht entschieden wurde. Die neue Gesellschaft sollte sich, heißt es, nicht auf den Bau von Sozialwohnungen beschränken, sondern auch die Schaffung von bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum sowie die Integration eines Gebäudemanagements als Ziel setzen. „Darüber hinaus geht es auch um Sanierung und Nutzung von Fachwerkhäusern, um Verödung von Ortskernen und Leerstand entgegenzuwirken“, sagt Rapprich.

Manfred Schaub
Manfred Schaub (1957–2018). Foto: Stadt Baunatal

Eine der beteiligten Kommunen ist die Stadt Baunatal: Sie ist laut Bürgermeister Manfred Schaub auch wichtiger Bestandteil der Initiative im Kreis. Der Bürgermeister erhofft sich von einer Wohnungsbaugesellschaft die Möglichkeit, „auf den Markt in den Bereichen einzuwirken, in denen es schwierig ist, andere Investoren zu finden, die nach unseren Vorstellungen bauen.“ Am meisten nachgefragt sind – neben großen Familienwohnungen – kleine, bezahlbare Einheiten. Viele Rentner, die sich in jüngeren Jahren ein Haus gebaut haben, wollen nun in kleinere Wohnungen umsiedeln. Aber, erläutert Schaub, „die Witwe eines VW-Rentners fällt bei den Anforderungen für sozial geförderten Wohnraum durch den Rost, bekommt aber auch keine großen Summen an Geld“. Er skizziert damit das sich im ganzen Land verschärfende Problem, weil nicht nur einkommensschwache Haushalte, sondern auch immer mehr Mittelschicht-Haushalte bei den stark steigenden Mietpreisen nicht mehr mithalten können.

Masterplan bis Ende 2018

Umgeben von schützenswerten Naturflächen, gibt es in Baunatal nicht so viel Bauland, wie nachgefragt wird. „Hunderte“ suchten Wohnungen, 1.000 ein Grundstück, so Schaub. „Beim Bauland müssen wir die Umwelt- und Infrastrukturgesichtspunkte mitdenken“ gibt der Rathauschef zu bedenken. Bis Ende des Jahres 2018 soll es einen Masterplan geben, der ermittelt „wo Bauland entstehen könnte“. 30 Kilometer weiter gäbe es Angebote, aber die Menschen zögen den Speckgürtel vor. Die Stadt betreibt Bodenvorratspolitik, sie kauft Grundstücke auf und vergibt sie an Investoren nach zwingend vorgegebenen Richtlinien. Dazu gehören ein bestimmter Mix zwischen kleinen und großen Wohnungen, die Mischung von Miet- und Eigentumswohnungen und die Deckelung des Neuvermietungspreises. Zinslose Darlehen sollen darüber hinaus Investoren anlocken. Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die beim Landkreis Kassel angedockt ist und selbst baut, könnte Baunatals Spielraum deutlich erweitern.

(Anmerkung der Redaktion: Kurz nach Drucklegung dieses Artikels in der neuen DEMO 05-06 erreichte uns die traurige Nachricht, dass Manfred Schaub am 20. Mai 2018 überraschend verstorben ist.)