Demokratieabbau nach gescheitertem Putsch

Kommunalpartnerschaften mit der Türkei – wie weiter?

Peter H. Niederelz01. August 2016
Türkische Flagge an einem Schiff in Istanbul
Türkische Flagge an einem Schiff in Istanbul: Die politischen Entwicklungen in der Türkei stellen rund 80 Städtepartnerschaften vor Herausforderungen.
In Deutschland gibt es über 80 kommunale Partnerschaften mit der Türkei. Dort werden nach dem gescheiterten Putschversuch täglich demokratische Prinzipien verletzt und außer Kraft gesetzt. Das könnte sich auch auf die Partnerschaften auswirken.

Berlin ist mit Istanbul verpartnert, Nürnberg mit Antalya, Ludwigshaften mit Ganziantep, Krefeld mit Kayseri und Gladbeck mit Alanya. Das Land Hessen ist sogar mit einer ganzen türkischen Region, der Region Bursa, verschwistert. Sie alle wurden als Zeichen und Grundlage gelebter Freundschaft gegründet, wie es auch mit vielen anderen Staaten der Fall ist. Für die Europäische Integration hat diese Partnerschaftsbewegung, an der sich hunderttausende von Menschen beteiligen, eine hohe Bedeutung.

Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Türkei mit gravierenden Verletzungen der demokratischen Grundrechte durch die derzeitige AKP-Staatsführung stellt sich allerdings die Frage, ob die Partnerschaften mit der Türkei noch sinnvoll sind. Ihr Zweck ist es in den meisten Fällen, den kulturellen oder wirtschaftlichen Austausch zu fördern, sowie Bildungsangebote oder soziale Projekte zu ermöglichen. Doch damit einher geht eine zumindest theoretische Gefahr, dass die AKP die Partnerschaften missbrauchen könnte, um ihre politische Ziele und ihren Machtanspruch zu propagieren.

Die Abwägung ist schwierig

Am Beispiel der Partnerschaft der Hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden mit dem Stadtteil Fatih im türkischen Istanbul wird deutlich, wie schwierig es ist, hier Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen.

Für die Beibehaltung der Partnerschaft spricht, dass der enge Austausch gerade den Menschen auf beiden Seiten helfen kann, die an den demokratischen Grundrechten festhalten und sie verteidigen wollen. Dagegen spricht wie erwähnt, dass sie von der AKP für deren Zwecke missbraucht werden könnte.

Demokratische Ausrichtung der Partnerschaft ist Voraussetzung

Wichtig ist, dass die Wiesbadener Stadtführung mit Oberbürgermeiser Sven Gerich (SPD) an der Spitze und der Partnerschaftsverein sich diese Gefahr bewusst machen. Aus dem Büro des OB, der für die Partnerschaften der Stadt zuständig ist, war zu erfahren, dass der Partnerschaftsverein mit Fatih jährlich 1500 Euro Stadtmittel als Grundzuschuss und dann noch zusätzliche Leistungen für besondere Aktionen erhält. Voraussetzung für diese Unterstützung ist die strikte demokratische Ausrichtung des Partnerschaftsvereins.

Auf der Wiesbadener Seite ist diese sicher vorhanden, wie es aber in der Türkei aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Seit langem ist Mustafa Demir von der AKP in Fatih Bürgermeister. Er ist ein enger Gefolgsmann von Staatspräsident Erdogan.

Bisher gibt es zwar noch keine Anhaltspunkte dafür, dass Demir und seine Parteifreunde sich die Partnerschaft für politische Zwecke zunutze machen. Doch auf Wiesbadener Seite wird der Partnerschaftsverein auf diese Frage ein verstärktes Augenmerk legen und sich beraten, welche Schlüsse aus der neuen Situation zu ziehen sind. Schwieriger dürfte die Arbeit des Vereins auch dadurch werden, dass viele Deutsche und Deutsch-Türken sich nicht mehr trauen, in die Türkei zu fliegen.

Sollen Partnerschaften ausgesetzt werden?

Eine Lösung könnte sein, dass die Partnerschaftsvereinbarungen für alle deutsch-türkischen Kommunalpartnerschaften von deutscher Seite solange für ruhend erklärt werden, bis in der Türkei wieder demokratische Grundrechte gelten.

Der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, Gerd Andres, sieht die Probleme durch die jüngsten Schritte der AKP-Erdogan-Regierung in der Türkei. Kommunalpartnerschaften sollten deshalb aber nicht aufgekündigt werden, argumentiert er. Sie hätten sich auch in früheren Zeiten zu anderen undemokratischen Staaten bewährt.

Die Partnerschaften profitieren auch von Beitrittsverhandlungen

Da die Türkei nach wie vor als EU-Beitrittskandidat gilt, wurden alleine von der EU für sogenannte Heranführungsstrategien von 2008 bis 2013 4,8 Milliarden Euro bereitgestellt, von denen auch die Kommunalpartnerschaften profitieren. Bis 2020 sollen es noch einmal 4,45 Milliarden Euro sein.

Weil die Türkei sich von der demokratisch-freiheitlichen Staatengemeinschaft zunehmend abwendet, findet auch der Einsatz dieser finanziellen Mittel immer mehr Kritiker. In Deutschland mehren sich die Stimmen, die fordern, die Beitrittsverhandlungen zu stoppen. „Sollte Erdogan elementare Werte der Europäischen Union verletzen, können die Beitrittsverhandlungen nicht fortgesetzt werden“, sagt etwa die SPD-Generalsekretärin Katharina Barley.

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