Hass und Gewalt gegen Amtsträger und Mediziner

Kommunalpolitiker erleben Beschimpfungen hautnah

26. Januar 2022
Demonstration von Gegnern der Corona-Politik der Bundesregierung in Berlin. Polizisten berichten, vermehrt Hass und Gewaltattacken ausgesetzt zu sein.
„Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“ hieß eine Gesprächsrunde bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Entsprechende Erfahrungen haben auch sozialdemokratische Kommunalpolitikerinnen und -politiker gemacht.

Lena Weber macht es Spaß, etwas zu bewegen. Wenn ein Projekt vorangeht, freut sich die 30-Jährige. Lena Weber ist ehrenamtliche Stadtbürgermeisterin von Hermeskeil. Dies ist sie aus Überzeugung. Die Stadt ist Mitglied der gleichnamigen Verbandsgemeinde im rheinland-pfälzischen Landkreis Trier-Saarburg. Zudem ist Lena Weber SPD-Ortsvereinsvorsitzende und Mitglied im „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie bekommt Lena Weber zunehmend die unangenehmen Seiten ihres Ehrenamts zu spüren – wie viele Kommunalpolitikerinnen und -politiker: Der Stadtbürgermeisterin schlägt Hass entgegen, sie wird für die Pandemie-Regeln vor Ort verantwortlich gemacht.

Vor allem in den sozialen Medien wird Lena Weber angegriffen. Der Mechanismus ist jedes Mal der gleich: Je aktiver sie insbesondere bei Facebook ist, um die Bürgerinnen und Bürger zu informieren, desto mehr Hasskommentare kassiert sie. „Das nimmt langsam überhand und geht unter die Gürtellinie“, sagt die Hermeskeilerin. Doch nicht nur auf den Social Media-Plattformen haben es Gegner der Pandemie-Maßnahmen auf sie abgesehen. Bislang unbekannte Täter haben bereits fünf Mal Reifen von Lena Webers Auto zerstochen und eine Scheibe zertrümmert.

Gespräch beim Bundespräsidenten

Aggressionen nicht nur gegen Kommunalpolitiker aller Ebenen, sondern auch gegen Polizisten und medizinisches Personal: Dass es so etwas in Deutschland gibt, ist für viele Vertreter noch immer nicht fassbar. Dies ist in dieser Woche auch in einer im Internet übertragenen Gesprächsrunde mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
deutlich geworden. Der Titel: „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“.

Teilnehmende, die verschiedenen Berufsgruppen angehören, werden gehört: Annette Knaup, leitende Medizinische Fachangestellte (MFA) aus Paderborn, Dr. Klaus Reinhardt, praktizierender Hausarzt in Bielefeld und Präsident der Bundesärztekammer, André Neumann, Oberbürgermeister der Stadt Altenburg in Thüringen, Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster und Präsident des Deutschen Städtetages sowie turnusmäßig 2022 Vorsitzender der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Undine Weihe, Leiterin der 33. Einsatzhundertschaft der Berliner Polizei und Christian Tiede, evangelischer Pfarrer in Bautzen und Mitinitiator der Erklärung „Bautzen gemeinsam“.

„Hass und Gewalt gegen Menschen, die Verantwortung tragen, haben nicht erst in der Pandemie in der Pandemie ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen“, betonte Steinmeier in seinen Eingangsworten. Und: „Wir dürften nichts verharmlosen. Jede gewaltsame Eskalation ist eine zu viel.“ Außerdem befnd der Bundespräsident: „Der Spaziergang hat seine Unschuld verloren.“ Die Beschneidung der Versammlungsfreiheit als hohem verfassungsrechtlichen Gut wolle müsse wohl überlegt sein.

„Die Leute sind am Limit“

Das sich etwas in der Gesellschaft verändert hat, machten alle Beteiligten der Gesprächsrunde klar. Seit etwa sechs Monaten seien die Patienten vielfach ungehalten und aggressiv, sagte Annette Knaup: „Die Leute sind am Limit.“ Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen seien in dieser Lage „erstmal der Prellbock“. Das alle mache „ihr persönlich Angst“. Ärzte-Kammer-Chef Klaus Reinhardt bestätigte die Erlebnisse seiner Paderborner Kollegin: „Die Gereiztheit ist gestiegen.“ Der Übergang zur Gewalt sei da fließend. Allein schon deshalb hätten Angebote für De-Eskalationstrainings regen Zulauf seitens des medizinischen Personals.

Dass nicht nur Lena Weber unangenehme Begegnungen mit Impfgegnern, Demokratiefeinden hat, wurde aus den Berichten von Altenburgs Bürgermeister André Neumann klar – allerdings müssen er und seine Kolleginnen und Kollegen mit diesem Phänomen nicht erst seit der Corona-Pandemie umgehen. Dies gehe schon seit sechs, sieben Jahren so. Und davon betroffen seien nicht nur die Funktionsträger selbst, sondern auch deren Familien. Besonders dann, wenn die Betroffenen wie André Neumann Kinder hat.

Gefahr für die Demokratie

Er und Städtetagspräsident Markus Lewe nahmen kein Blatt vor den Mund. Der Altenburger und der Münsteraner berichteten von Ängsten bei Bürgermeister*innen – und der Unlust, wieder zu kandidieren. Beide forderten von Polizei und Justiz, gegen die Feinde der Demokratie konsequent vorzugehen, zumal sich viele Amtsträgerinnen und Amtsträger im Stich gelassen fühlen. Wenn den Job im Rathaus keiner mehr machen möchte und vielleicht nur noch Kandidaten von Rechts antreten, habe die Demokratie ein echtes Problem. „Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir aufpassen müssen“, sagte Markus Lewe.

Das kann Lena Weber so unterschreiben. Sie möchte eigentlich etwas bewegen. Doch das, meint sie nachdenklich, werde immer schwieriger. Dabei trage die große Mehrheit der Bevölkerung die Anti-Corona-Maßnahmen mit. Aber eben diese Menschen seien „zu leise und zu zurückhaltend“. Trotz aller Probleme hat Lena Weber sich fest vorgenommen, wieder anzutreten.

 

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