Kommunalpolitiker im Fokus

Wie Kommunalpolitiker ihre Rollen meistern

Kai Doering22. Mai 2017
Kathrin Wahlmann bleibt im Rat ihrer Heimatgemeinde Hasbergen, zieht sich aber aus dem niedersächsischen Landtag zurück. Die Mutter von zwei Kindern will wieder als Richterin arbeiten.
Kommunalpolitik erfordert wiel Engagement und Kraft. Manche verzichten auf ihre Ämter, andere üben den Spagat zwischen Ehrenamt, Beruf und Privatleben. Ohne eine stramme Organisation und Unterstützung aus dem Umfeld gelingt es kaum, alles unter einen Hut zu bringen. Kommunalpolitiker aus Deutschland erzählen, was sie bewegt.

Vor nicht allzu langer Zeit galt er als Nachwuchshoffnung der Berliner SPD. Ortsvereinsvorsitzender, Bezirksverordneter in Treptow-Köpenick, Landesparteitagsdelegierter: Es gab kaum ein Amt, das Rick Nagelschmidt  nicht bekleidet hat. „Es ging immer nur bergauf“, blickt er zurück. Doch der Preis für das „Vollzeit-Hobby“ war hoch. Während seine Freunde und Kommilitonen sich im Café trafen oder Party machten, verbrachte Nagelschmidt seine Zeit in Parteiveranstaltungen oder am Wahlkampfstand. „Auf Dauer hat das sehr müde gemacht.“ Der 28-Jährige hat mit der aktiven Politik vorerst abgeschlossen. Gedanken an eine Rückkehr macht er sich nicht.

Rick Nagelschmidt aus Berlin.

Nagelschmidt zog die Notbremse

Als sich sein Master-Studium immer weiter verzögerte, zog Nagelschmidt im Sommer 2015 die Notbremse und fasste den Beschluss, alle Ämter aufzugeben, allerdings nicht sofort. „Mir war ein geordneter Übergang wichtig“, erklärt er. Der ist mittlerweile geschafft. Und auch seine Master-Arbeit hat Nagelschmidt Ende vergangenen Jahres fertiggestellt. In letzter Zeit seien einige Freunde von ihm in die SPD eingetreten und wollten aktiv werden. „Überlegt gut, was euch wirklich interessiert und wo ihr euch einbringen wollt“, hat Nagelschmidt ihnen geraten. Er selbst habe sich zu oft zu ­einer Kandidatur überreden lassen, „weil es sonst niemand machen wollte“.

Das ist etwas, das Gwendolin Jungblut schon häufiger beobachtet hat. „Man sollte sich vor jeder Kandidatur selbst fragen: Worin bin ich gut? Wofür habe ich eine Leidenschaft?“, rät sie. Jungblut weiß, wovon wie spricht. Sie ist nicht nur seit vielen Jahren Trainerin im politischen Bereich, sondern war auch selbst kommunalpolitisch aktiv: Im niedersächsischen Achim saß sie im Stadtrat, im Landkreis Verden im Kreistag. Jungblut: „In meiner zweiten Kreistagsperiode habe ich gemerkt, dass ich Beruf und politisches Engagement nicht mehr miteinander vereinbaren kann.“

Faraktionsstrukturen überdenken

Als Trainerin ist ­Gwendolin Jungblut deutschlandweit und sogar in Österreich unterwegs. „270 Tage im Jahr bin ich nicht zu Hause.“ Wenn der Kreistag am Freitag Nachmittag zusammenkam, begann für Jungblut die Hauptarbeitszeit. „Meine Aufgaben blieben dann an den Fraktionskollegen hängen.“ 2015 schied sie vorzeitig aus dem Kreistag aus, damit sich ihr Nachrücker rechtzeitig vor den Kommunalwahlen 2016 einarbeiten konnte. Aus ihrer aktiven Zeit hat ­Gwendolin Jungblut eine Menge gelernt, das sie nun in ihren Seminaren, etwa bei der Kommunalakademie der SPD, weitergibt. „Entscheidend ist eine ehrliche ­Auseinandersetzung mit dem eigenen Zeitbudget“, weiß Jungblut. Kaum etwas sei gefährlicher als die Haltung „Ich schaffe das schon irgendwie“.

Aber auch die Fraktionskollegen sieht sie in der Pflicht. „Nur in wenigen Fraktionen werden neue Mitglieder gefragt, welche Aufgaben sie gerne übernehmen wollen.“ Ausschüsse würden eher nach Dienstalter als nach Interesse verteilt. Das sei ein Fehler, denn eine solche ­Auseinandersetzung tue jeder Fraktion gut. Sie sollte ihre Strukturen überdenken „und ihren Mitgliedern passgenaue Angebote machen“. Auch müsste über die Frage diskutiert werden: „Sind wir bereit, dass nicht jedes Mitglied bei ­jeder Sitzung dabei ist?“

Prioritäten richtig setzen

„Nicht jeder muss alles machen“, ist auch Derik Eicke überzeugt. Von 2011 bis 2015 war er Vorsitzender der SPD-Fraktion im Ortsrat des Bremer Stadtteiles Oberneuland. Inzwischen hat er das Mandat gegen den Ortsvereinsvorsitz der Partei getauscht. In beiden Funktionen gelte: „Man muss realitistisch einschätzen können, wer welche Aufgaben übernehmen kann.“ Eicke selbst schreibt sich in jedem Jahr die unterschiedlichen Rollen auf, die er gerade hat: Vater von zwei Kindern, Ehemann, Konrektor einer Schule, OV-Vorsitzender, Mitglied im Bürgerverein. Das helfe, die richtigen Prioriäten zu setzen. Bei allen Aufgaben und Terminen in der Partei unterscheidet er stets zwischen „wichtig“ und „dringend“, wobei bei ihm Zwischenmenschliches immer an erster Stelle steht.

Ihre Prioritäten hat gewissermaßen auch die Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitikerin Kathrin Wahlmann gesetzt: Im April bekamen die SPD-Mitglieder im niedersächsischen Landtagswahlkreis Georgsmarienhütte einen Brief, dessen Inhalt sie überrascht haben dürfte. Wenige Wochen zuvor war die 39-Jährige fast einstimmig erneut als Kandidatin für die Wahl im kommenden Jahr nominiert worden. Nun erklärte sie auf drei Seiten, nach einer Legislatur im Landesparlament nicht erneut kandidieren zu wollen. „Ich renne ständig nur der Uhr hinterher und ich genüge meinen eigenen inhaltlichen Ansprüchen nicht“, begründete Wahlmann ihre Entscheidung.

Spagat zwischen Ämtern und Familie

Der Politik wird sie dennoch treu bleiben. Sie ist stellvertretende SPD-Vorsitzende im Landkreis Osnabrück und sitzt seit mehr als 20 Jahren im Rat ihrer Heimatgemeinde Hasbergen. Doch alle Ämter zu vereinbaren, wurde zunehmend schwierig, nicht zuletzt wegen der Entfernung: Vier Stunden Fahrzeit summierten sich pro Tag wegen der Fahrten von Hannover in ihren Wahlkreis. In dem Brief beschreibt sie ihr Leben als Abgeordnete mit Auschusssitzungen, Plenartagungen und Abendterminen. „Das alles ist in Ordnung, und auch wenn ich mich oft über die verlorene Zeit im Auto ärgere, käme ich damit klar, wenn ich nicht auch noch eine Familie mit zwei kleinen Kindern hätte.“ Diesen Spagat wolle sie nun nicht mehr.

„Die Fraktionsspitze wollte mir entgegenkommen“, berichtet Kathrin Wahlmann. Gleichzeitig sei ihr aber auch gesagt worden, dass eine drastische Reduktion ihrer Tätigkeit (etwa nur ein Ausschuss) gegenüber den restlichen Fraktionsmitgliedern wahrscheinlich nicht umzusetzen sei. „Letztlich sind fast alle Fraktionsmitglieder stark belastet und nur wenige bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.“ Demnächst will die 39-Jährige wieder als Richterin arbeiten.

„Leben strikt nach Kalender“

„Jeder sollte vor einer Kandidatur prüfen, ob er die Arbeit in der Fraktion auch leisten kann“, sagt Falk Hensel. Er ist Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion Wolfenbüttel, 44 Jahre alt und bereits Großvater. Als sie im Jahr 2008 heirateten, brachte seine Frau zwei Teenager mit in die Ehe. „Mit älteren Kindern ist es deutlich einfacher, sich kommunalpolitisch zu engagieren“, weiß Falk Hensel, der als 17-Jähriger sein erstes Parteiamt innehatte. „Wir leben auch privat strikt nach Kalender“, erklärt Hensel wie er Beruf, Privatleben und Kommunalpolitik miteinander vereinbart. „Meine Frau und ich kennen es nicht anders. Für uns ist das ganz normal. Dass ein solches Leben nicht selbstverständlich ist, merkt Falk Hensel gerade in seiner Fraktion. Ein junger Mann möchte für ein halbes Jahr in die USA gehen, doch wer übernimmt in dieser Zeit seine Aufgaben? „Wir versuchen, ­eine Absprache mit den anderen ­Parteien hinzubekommen, dass sie in dieser Zeit bei Abstimmungen auch auf eine Stimme verzichten.“

Tübingen: erhöhte Aufwandsentschädigung bei Kinderbetreuung

Dorothea Kliche-Behnke. Foto: Goetz Schleser

Wie wichtig eine Fraktion ist, die hinter einem steht, weiß Dorothea Kliche-Behnke. Als sie vor acht Jahren in den Rat der Stadt Tübingen gewählt wurde, hatte sie gerade ihre Tochter zur Welt gebracht. Ein knappes Jahr später bekam sie einen Sohn. Gerade ist das dritte Kind unterwegs. „Ich dachte damals, ich müsste allen zeigen, dass ich auch mit zwei Kindern weitermachen kann wie vorher“, erzählt die 34-Jährige. Doch die Zeit mit Baby im Stadtrat sei sehr belastend gewesen. Zum Glück habe ihre Fraktion stets hinter ihr gestanden. Überhaupt sei Tübingen „eine Insel der Seligen“ für Kommunalpolitiker. Stadträte, die einen Angehörigen pflegen oder Kinder betreuen, erhalten eine erhöhte Aufwandsentschädigung. Die von der grün-roten Landesregierung geänderte Kommunalverfassung erlaubt ihnen inzwischen sogar, in Elternzeit zu gehen. Wenn im Herbst ihr drittes Kind kommt, will Kliche-Behnke diese Möglichkeit nutzen. „Darauf freue ich mich schon.“