Fachkonferenz

Wie Kommunen die Energie- und Wärmewende vorantreiben

Carl-Friedrich Höck26. Januar 2022
In Esslingen, der Stadt am Neckar entsteht ein klimaneutrales Stadtquartier, die „Neue Weststadt“. Hier wird ein H2-Speicher errichtet.
Die Kommunen müssen handeln, wenn Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen will. Über die Energiewende im Lokalen wurde am Mittwoch auf einer Fachkonferenz von VKU und dem Land Brandenburg diskutiert. Kontrovers debattiert wurde über die Rolle von Wasserstoff.

Es eilt, meint Barbara Saerbeck, Projektleiterin bei der Denkfabrik „Agora Energiewende“. Bis 2030 drohe die Bundesregierung den Anschluss an ihre Klimaschutzziele zu verlieren, die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus. Das Umsteuern brauche Zeit, erklärt Saerbeck: Jede Investition in Gebäude, Fahrzeuge oder Kraftwerke habe eine Nutzungsdauer zwischen 10 und 70 Jahren. „Wir müssen jetzt handeln!“

Auf der Fachkonferenz „Klimagerecht, digital, vernetzt“ diskutierten am Mittwoch Vertreter*innen aus Kommunalpolitik, Stadtwerken und Wissenschaft, wie die Energie- und Wärmewende lokal gestaltet werden kann. Organisiert wurde sie vom Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Brandenburg zusammen mit dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) Brandenburg.

Debatte um Wasserstoffnetze

In ihrem Eröffnungsvortrag skizzierte Saerbeck einige Handlungsempfehlungen für mehr Klimaschutz, die für Kommunen besonders relevant seien: Sie sollten Flächen für Windenergie und Solaranlagen bereitstellen, die Fernwärme dekarbonisieren und eine kommunale Wärmeplanung einführen. Benötigt würden mehr Wärmepumpen und in den Innenstädten „grüne“ Nah- und Fernwärme. Es gelte den Öffentlichen Nahverkehr zu stärken, Tempolimits zu verhängen und Sanierungsfahrpläne für den Gebäudesektor zur Pflicht zu machen.

Eine Bemerkung Saerbecks wurde besonders kontrovers diskutiert. Die Expertin warnte vor sogenannten Lock-in-Effekten, die den Status quo zementieren. Deshalb plädierte sie dafür, nicht mehr in die Gasnetze zu investieren, sondern aus diesen auszusteigen und sie zurückzubauen. Damit sprach sie sich auch gegen Pläne aus, die Gasnetze für Wasserstoff umzurüsten. Zum Heizen im Gebäudesektor solle kein Wasserstoff eingesetzt werden. Wärmekunden müssten vor den Kosten der Wasserstoff-Markteinführung geschützt werden, so Saerbeck.

Neue Technologie

Dem widersprach Werner Spec, einst Rathauschef in Ludwigsburg und heute Vorsitzender der AG Energiewende im Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Um die Energieversorgung zu sichern, müsse die im Sommer gewonnene „grüne“ Energie gespeichert werden, merkte Spec an. Der größte saisonale Speicher sei nun einmal Wasserstoff. Diesen müsse man auch rückverstromen können und dabei werde das Gasnetz eine wichtige Rolle spielen.

Gleichzeitig machte Spec auf ein Problem aufmerksam, das mit der neuen Technologie einhergeht: Um „grünen“ Wasserstoff zu gewinnen, muss Strom aus Wind- und Solarkraftanlagen mittels Elektrolyse umgewandelt werden. Dabei geht normalerweise viel Energie verloren. Doch die bei der Elektrolyse entstehende Prozesswärme lasse sich in klimaneutrale Wärmenetze einspeisen, argumentierte Spec.

Praxisbeispiel Esslingen

Wie so etwas in der Praxis aussehen kann, erläuterte Jürgen Zieger, der ehemalige Oberbürgermeister von Esslingen. In der Stadt am Neckar entsteht ein klimaneutrales Stadtquartier, die „Neue Weststadt“. Sie ist eines von sechs Leuchtturmprojekten der Förderinitiative „Energieeffiziente Stadt“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Dort entstehen mehrere hundert Wohneinheiten, Gewerbeflächen und ein Neubau für die Hochschule. Eine Energiezentrale versorgt das geplante Quartier. Überschüssiger Strom – unter anderem aus lokalen PV-Anlagen – wird in Wasserstoff umgewandelt, der gespeichert und bei Bedarf wieder genutzt werden kann.

Der Clou: Im Quartier wird die Sektorenkopplung konsequent umgesetzt. Das bedeutet: Industrielle Energienutzung, Mobilität, Stromversorgung und Wärmeversorgung sind miteinander verbunden. „Das hat etwas mit Effizienz und Kosten zu tun“, erklärt Zieger. Durch die Kopplung geht bei der Elektrolyse weniger Energie ungenutzt verloren. Der Wirkungsgrad erhöht sich von 55 auf bis zu 90 Prozent.

Klimaziele nicht ohne Kommunen zu schaffen

Das Beispiel zeigt: Technisch ist vieles möglich. Doch „ohne die aktive Arbeit der Städte und Gemeinden sind die Klimaziele nicht zu schaffen“, meint Werner Spec. Politischer Wille allein reiche nicht aus, wichtig sei eine ausreichende Finanzausstattung. Auch bräuchten die Kommunen mehr Personalmittel, um kompetente Teams aufzubauen und Netzwerke zu knüpfen.