Interview mit Nadia Lüders

„Kommunen können Schuldenfalle nicht aus eigener Kraft überwinden“

Karin Billanitsch11. September 2020
Nadia Lüders, Generalsekretärin der NRWSPD.
Wahlkampf mit Abstand, aber trotzdem mit Herz: Nadia Lüders, Generalsekretärin der NRWSPD, sieht SPD*Kandidatinnen am 13 September ganz vorne mit im Rennen. Mit Blick auf die Altschulden klagt sie den Ministerpräsidenten an: „Armin Laschet lässt die Kommunen in NRW im Stich“.

In Corona-Zeiten war ja Wahlkampf nur unter besonderen Bedingungen möglich, was etwa Großveranstaltungen oder Haustür-Wahlkampf angeht. Wie ist Ihre Einschätzung, hat es geklappt, stattdessen neue Mittel zu finden, um genau so viele Menschen anzusprechen?

Die Corona-Pandemie beeinflusst natürlich unseren Wahlkampf vor Ort.  Gerade weil persönliche Begegnungen und der direkte Dialog immer das Herzstück unseres Wahlkampfes gewesen sind. Aber ich sehe, dass unsere Wahlkämpfer*innen mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl mit dieser Situation umgehen und auf die Schnelle viele kreative Ideen für einen Wahlkampf mit Abstand, aber trotzdem mit Herz entwickelt haben. Zusätzlich ist der Online-Wahlkampf jetzt wichtiger geworden. Wir sind in der Fläche mit starken Auftritten in den Sozialen Netzwerken unterwegs. Das war natürlich schon vor Corona wichtig.  Aber in Anbetracht der Lage, haben unsere Leute nochmal einen Gang zugelegt.

Sozialdemokraten können erfahrungsgemäß oft in den größeren Städten punkten. Es gibt einen Städtetrend von Infratest Dimap für den WDR, wonach die CDU, und auch die Grünen aufholen. Wie sehen Sie die Lage?

Am Sonntag wird in 396 Kommunen gewählt. Darunter sind 30 Großstädte.  SPD-Kandidat*innen sind weiterhin ganz vorne mit im Rennen. Wir sind mit sehr starken Persönlichkeiten unterwegs und ich bin optimistisch, dass wir uns gut behaupten werden und viele Rathäuser rot bleiben oder werden.

Die Kommunalwahlen sind oft ein Stimmungstest für die kommende Landtagswahl: Wie schätzen Sie die Bedeutung diesmal ein?

Die Kommunalwahlen werden wie keine andere Wahl vor Ort entschieden. Hier punkten überzeugende Persönlichkeiten, die konkrete Lösungsvorschläge für die Probleme der Menschen vorweisen können. Es sind oft spezifische lokale Themen, die für die Menschen wahlentscheidend sind. Das kann auch der Bau einer Umgehungsstraße sein. Aus den Kommunalwahlergebnissen einen Landestrend abzuleiten, geht an der sehr differenzierten und komplexen Lage in den Städten und Gemeinden vorbei.

Ein wichtiges Thema in den Kommunen ist Bildung: Welche Schwächen im Schulsystem hat die Corona-Krise aufgedeckt und wie kann man hier gegensteuern?

Die Corona-Krise hat uns nochmal deutlich vor Augen geführt, dass in unserem Bildungssystem keine Chancengleichheit herrscht. Chancengleichheit besteht nicht, wenn der Zugang zur digitalen Bildung von Einkommen und Bildungsnähe des Elternhauses abhängt. Die digitale Ausstattung unserer Schulen ist völlig unzureichend. Studien belegen seit Jahren, dass es dringenden Nachholbedarf gibt. Corona lehrt schmerzhaft, dass die digitale Bildungsagenda nun endlich einen echten politischen Aufbruch braucht. Unsere Position ist klar: Lernmittel müssen kostenfrei sein. Dieser Grundsatz muss selbstverständlich auch für digitale Endgeräte gelten.

Um die Kommunen zu stärken, gab es ein Rettungspaket. Aber bis heute ist das Altschuldenproblem nicht gelöst. Eine Übernahme der Kassenkredite würde viele NRW-Kommunen dabei unterstützen, wieder handlungsfähig zu werden. Wie kann der Knoten bei diesem Thema durchgeschlagen werden?

Aus eigener Kraft werden die Kommunen die Schuldenfalle nicht überwinden können.  Ohne eine langfristige Entschuldung werden die Städte und Gemeinden auf lange Sicht nicht investieren können. Ihnen fehlt das Geld für gute Bildung, lebenswerte Infrastruktur und eine wohnortnahe Daseinsvorsorge. Deshalb fordern wir seit langem einen Altschuldenfonds, der jedoch am Widerstand der CDU scheitert. Armin Laschet lässt die Kommunen in NRW im Stich. Aber wir werden nicht lockerlassen. 

Wegen der Corona-Krise ist die Arbeitslosigkeit in NRW leicht gestiegen, schlimmeres konnte bislang durch viel Kurzarbeit aufgefangen werden – für die die SPD im Bund sich besonders stark gemacht hat. Könnte das bei den Kommunalwahlen von den Wählern honoriert werden?

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass wir einen starken Sozialstaat brauchen, der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützt. Beschäftigte mit befristeten Verträgen, ohne Betriebs- oder Personalrat und ohne Tarifverträge bekommen die Auswirkungen der Krise besonders heftig zu spüren. Was es bedeutet, wenn die Tarifbindung in ganzen Branchen fehlt, sehen wir vor allem in der Pflege und im Einzelhandel. Die SPD war und ist eine sichere Bank, wenn es um Arbeitnehmer*innenrechte, faire Löhne und gute Tarifverträge geht. Das machen wir auch im Kommunalwahlkampf deutlich.

Welche Konzepte der NRW-SPD gibt es, um die Wohnungsnot zu bekämpfen? Was halten Sie etwa von einem Mietendeckel nach Berliner Modell?

Die Wohnungsnot ist in NRW ein tiefgreifendes Problem. Jedes Jahr fehlen 80.000 Wohnungen in NRW. Es geht uns daher nicht nur um die Frage, wie Mieten bezahlbar bleiben, sondern wie das Land und die Kommunen wieder lebenswerten und bezahlbaren Wohnraum schaffen können.  Bezahlbar heißt für uns, dass niemand mehr als 30 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Miete ausgeben muss. Um das zu erreichen, haben wir ein umfassendes Konzept entwickelt: Wir wollen eine Landeswohnungsbaugesellschaft einrichten, damit öffentlich geförderte Wohnungen entstehen, die nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach Profitmaximierung ausgerichtet sind. Wir wollen, dass das Land einen Bodenfonds einrichtet, in den Grundstücke einfließen, die das Land für die Kommunen erwirbt und zu Bauland entwickelt. Außerdem wollen wir durch eine neue gemeinwohlorientierte Fördersäule den sozialen Wohnungsbau fördern. Wir sprechen hier von umfassenden Reformen, die Zeit brauchen. Aber nur mit neuem, bezahlbarem Wohnraum  können wir den Wohnraummangel und die steigenden Mieten langfristig bekämpfen. 

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