Türkisch-griechische Grenze

Kommunen wollen Geflüchteten helfen – aber anders als 2015

Carl-Friedrich Höck04. März 2020
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert berichtet in seinem am Wochenende verbreiteten Video-Statement von der Lage auf Lesbos.
Die Situation an der türkisch-syrischen Grenze beschäftigt auch die deutschen Kommunen. Ihre Spitzenverbände mahnen: Die Situation von 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Zugleich bieten viele Kommunen Hilfe an und fordern „eine schnelle Lösung für die Schwächsten“.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hat es mit eigenen Augen gesehen. Drei Tage verbrachte er auf der griechischen Insel Lesbos und besuchte das Flüchtlingslager Moria. Es ist mit 20.000 Menschen völlig überfüllt, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Was er erlebt habe, könne er „nur als Schande für Europa bezeichnen“, sagte Schubert am Wochenende in einem Video-Statement. Er forderte dringend eine Bundesratsinitiative oder eine sofortige Lösung durch die Bundesregierung.

Potsdam ist Teil des Bündnisses „Sichere Häfen“. Dies ist ein Zusammenschluss von Kommunen, die aus Seenot gerettete Geflüchtete freiwillig bei sich unterbringen wollen. Schubert betonte nun auf Lesbos: „140 Städte in Deutschland sind Sichere Häfen und haben gesagt, wir sind bereit, 500 Kinder aus den Lagern hier aufzunehmen.“ Rechtlich ist das aber nur mit Zustimmung des Bundesinnenministers möglich. Auf direktem Weg dürfen Kommunen keine Asylanträge bearbeiten.

Aufnahmeverfahren sollen nicht geändert werden

Im RBB-Inforadio legte Schubert am Mittwoch noch einmal nach: Es gehe darum, eine schnelle Lösung für die „Schwächsten der Schwachen“ zu finden – vor allem unbegleitete Kinder und Jugendliche, aber auch Frauen. Es gebe gute Gründe, warum der Nationalstaat und die Bundesländer bei der Aufnahme von Geflüchteten eingebunden sind, betonte Schubert. Er wolle nicht das Verfahren verändern. „Aber es gibt einen rechtlichen Rahmen, in dem wir handeln können. Andere europäische Staaten – Portugal, Finnland – machen es uns vor.“

Innenminister Horst Seehofer (CSU) zeigt sich zumindest offen für eine Regelung, um Minderjährige schnell aus den Lagern zu holen. „Wir brauchen zeitnah eine europäische Antwort für manche humanitäre Frage, etwa wie wir den Kindern und Jugendlichen in Griechenland helfen können“, erklärte er am Dienstag. Vom Koalitionspartner gab es dafür Zuspruch. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte sich erfreut, „dass nun auch Innenminister Seehofer sich öffentlich für eine europäische Verabredung stark macht, damit Kinder und Jugendliche auch in Deutschland nach einem geregelten Verfahren Schutz finden können.”

Debatte im Bundestag

Das Thema hat am Mittwochabend auch den Bundestag beschäftigt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte kurzfristig einen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt. Dieser fordert, den Kommunen die Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen aus dem Mittelmeerraum zu ermöglichen. Die Grünen erklären dazu: Neben den Kommunen des Bündnisses „Sichere Häfen“ seien auch mehrere Bundesländer bereit, zusätzlich Schutzsuchende aus humanitären Notlagen aufzunehmen. Seehofer sei darauf aber nicht eingegangen. Auch ein eigentlich für den 28. Januar geplantes Treffen des Bundesinnenministeriums mit Kommunen sei abgesagt worden.

Die Regierungskoalition lehnte den Antrag ab, auch wenn die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl anmerkte, es stehe viel Richtiges darin. Die Aufnahme von schutzbedürftigen Frauen und Kindern müsse jedoch im Rahmen einer europäischen Lösung geschehen. Das heiße nicht, dass alle 27 Mitgliedsstaaten mitmachen müssen. „Wir wollen voranschreiten mit denjenigen, die dazu bereit sind.“

Tatsächlich zeichnet sich mittlerweile eine Lösung ab: Frankreich, Finnland, Luxemburg und weitere Länder haben sich bereiterklärt, schutzbedürftige Kinder aufzunehmen. Der luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn hat vorgeschlagen, dass jedes europäische Land pro einer halben Millionen Einwohner zehn Kinder oder Jugendliche aufnehmen soll. SPD-Fraktionschef Mützenich nannte diese Initiative einen entscheidenden Anstoß. „Ich erwarte, dass wir für Deutschland noch bis zum Ende der Woche eine Regelung zugunsten der Kinder erreichen.“ Nach Asselborns Rechnung müsste Deutschland 1.650 unbegleiteten Minderjährigen Schutz bieten.

Kommunalverbände: Nur Geflüchtete mit Bleibeperspektive auf Städte und Landkreise verteilen!

Unterdessen warnen die kommunalen Spitzenverbände davor, eine ähnliche Situation wie vor fünf Jahren zuzulassen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Helmut Dedy erklärte in einem Statement: „Angesichts der Entwicklung an der türkisch-griechischen Grenze ist nicht auszuschließen, dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland wieder steigen könnten. Dann darf sich die Situation von 2015 und 2016 nicht wiederholen.“ Damals seien viele Flüchtlinge direkt auf die Kommunen verteilt worden. Deshalb müssten die Länder für neu ankommende Flüchtlinge eine ausreichende Zahl an Plätzen in Aufnahmeeinrichtungen des Landes vorhalten. Dort müsse geprüft werden, ob ein Asylanspruch besteht. „Den Städten sollten nur Flüchtlinge zugewiesen werden, die eine Bleibeperspektive haben“, sagte Dedy.

Der Deutsche Landkreistag fordert, das Abkommen der EU mit der Türkei zu reaktivieren. Sollte dies nicht gelingen, müsse der Schutz der europäischen Außengrenzen intensiviert und die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge in Transitzonen geprüft werden, meint Landkreistag-Präsident Reinhard Sager. Für den Fall, dass Deutschland im Rahmen einer europäischen Einigung wieder viele Menschen aufnimmt, müsse dies geordneter vonstatten gehen als 2015 und 2016. „Dazu gehören Identitätsfeststellungen an der deutschen Grenze, eine zügige Abwicklung des Asylverfahrens sowie die Unterbringung in zentralen Landeseinrichtungen. Erst nach einem positiven Abschluss des Asylverfahrens darf eine Verteilung der Flüchtlinge auf die Landkreise und Gemeinden erfolgen.“

Sager ergänzte, es sei „widersinnig, wenn Flüchtlingsunterkünfte zur vorläufigen Unterbringung in den Bundesländern abgebaut werden, die gegebenenfalls schon bald wieder teuer aufgebaut werden müssen.“ Angesichts der Situation im Kriegsgebiet und in Griechenland müsse man vorbereitet sein.

Dieser Artikel wurde am 5. März 2020 aktualisiert.

Erklärung der SPD-Abgeordneten zur Bundestagsdebatte

Im Rahmen der Bundestagsdebatte haben zahlreiche SPD-Abgeordnete die folgende Erklärung als persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben:

Die Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen auf den griechischen Inseln sind unbestritten katastrophal und untragbar.

Wir brauchen so schnell wie möglich eine Lösung für die Menschen in Griechenland. Wir müssen dabei darauf achten, dass wir einen Schritt in Richtung einer europäischen Lösung gehen. Wir arbeiten derzeit mit voller Kraft an einer Lösung, an der sich nicht alleine Deutschland, sondern wenigstens ein paar andere europäische Staaten beteiligen, von denen zum Teil auch schon Zusagen für eine Aufnahme vorliegen. Wir erwarten von Bundesinnenminister Seehofer, heute beim Innenministerrat in Brüssel nachdrücklich für eine "Koalition der Vernunft" zu werben und konkrete Maßnahmen zur gemeinsamen Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen auf den Weg zu bringen. Ein deutscher Alleingang kann das Problem nicht lösen.

Ich bin für die Aufnahme von Geflüchteten im Rahmen einer europäischen Koalition der Vernunft. Inzwischen hat sich mit Frankreich, Portugal, Finnland und anderen bereits eine nennenswerte Gruppe von Staaten zu einer gemeinsamen Aufnahme bereit erklärt. Ich erwarte, dass die deutsche Bundesregierung jetzt zusammen mit diesen Staaten die Aufnahme dringend in die Wege leitet. Das Engagement unserer aufnahmebereiten Bundesländer, Städte und Gemeinden begrüße ich außerordentlich. Es ist wichtig zu wissen, dass es die Bereitschaft gibt, Schutzsuchende zügig aufnehmen zu können. Ich stehe auch hinter der Initiative des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, der sich als einer der ersten für die Aufnahme minderjähriger Geflüchteter stark gemacht hat. Für diese Gruppe müssen wir Sorge tragen, dass sie zudem auch im Rahmen der Familienzusammenführung nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung schnell und unbürokratisch zu ihren Angehörigen in Deutschland reisen können.

Ebenso wichtig ist mir, dass wir schnell eine dauerhafte Verbesserung der Verhältnisse in den griechischen Hot Spots erreichen. Ein Weg könnte sein, dem UNHCR die operative Verantwortung zur Leitung der Flüchtlingszentren zu übertragen. Für eine grundsätzliche Lösung brauchen wir eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Wir müssen weg vom Prinzip der Zuständigkeit des Ersteinreisestaates. Wir brauchen eine gerechte und solidarische Verteilung geflüchteter Menschen auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Nur so schaffen wir dauerhaft eine Entlastung der Staaten an den EU-Außengrenzen und somit auch insbesondere Griechenlands. Daran arbeiten wir auf EU-Ebene mit Hochdruck.

Ein erster Schritt in Griechenland könnte die Entwicklung eines Pilotmodells für ein gemeinsam betriebenes europäisches Asylzentrum auf den griechischen Inseln sein.

Auf jeden Fall dürfen wir weder die Menschen in Griechenland noch die griechische Regierung mit diesen Herausforderungen alleine lassen. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Mit unserem gemeinsamen Handeln zur Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland machen wir einen ersten und notwendigen humanitären Schritt. Unser Ziel bleibt es, dass sich am Ende alle europäischen Mitgliedstaaten in diese Solidarität einbringen.
Jetzt gilt es, alle Anstrengungen auf eine europäische Lösung, an der nicht alle Länder teilnehmen müssen zu konzentrieren. Nur so kann umfassend den Minderjährigen und den besonders Schutzbedürftigen geholfen werden. Eine Zustimmung zum Antrag der Grünen würde dies nicht erreichen.

Dabei sehen wir auch, dass die Kämpfe in Idlib die humanitäre Lage in Syrien weiter verschärfen und erneut viele Menschen zur Flucht Richtung türkische Grenze zwingen. Europa und die internationale Gemeinschaft muss darauf schnell reagieren und bereit sein, weitere humanitäre Hilfe für die Menschen in Idlib und die Geflüchteten in der Türkei zu leisten.

Im Vertrauen darauf, dass die Bundesregierung diese Verhandlungen mit allem Nachdruck verfolgt, lehne ich den vorliegenden Antrag ab.

(Quelle: Facebookseite des Bundestagsabgeordneten Bernhard Daldrup)

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