Fachgespräch im Bundestag

Kommunen wollen Nahverkehrs-Abgabe prüfen

Carl-Friedrich Höck14. Januar 2021
Bus auf einer Landstraße: Vor allem im ländlichen Raum lässt das ÖPNV-Angebot oft zu wünschen übrig.
Der Öffentliche Nahverkehr soll attraktiver werden, nicht zuletzt aus Klimaschutzgründen. Doch das wird teuer. Wo das Geld herkommen könnte, wurde am Mittwoch im Verkehrsausschuss des Bundestages diskutiert.

Gründe gibt es viele, weshalb Politiker*innen und Verbände mehr Geld für den Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) fordern. Da ist zum einen der Klimaschutz. „Der Verkehrssektor ist weiterhin das Sorgenkind“, räumt Jan Schilling, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), ein. Der Hintergrund: In den vergangenen 20 Jahren ist es nicht gelungen, den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zurückzufahren. Das könnte sich ändern, wenn mehr Menschen vom eigenen Auto auf den Nahverkehr umsteigen. Dazu muss dieser attraktiver werden und die Angebote ausbauen.

Geld kostet auch die Umrüstung der Fahrzeuge und Infrastruktur auf klimafreundlichere Technik – etwa auf Elektrobusse. Außerdem hat die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt, im ganzen Land gleichwertige Lebensbedingungen zu gewährleisten. Dazu gehören auch gute Nahverkehrsanbindungen auf dem Land. Die Realität sieht vielerorts anders aus.

Verdi schätzt Ausbau-Kosten auf zehn Milliarden jährlich

Nur rund zehn Prozent der Wege werden in Deutschland mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Die Gewerkschaft Verdi hat errechnet: Um das Angebot an Bussen, U-Bahnen und Straßenbahnen bis 2030 zu verdoppeln – mit größeren Fahrzeugen, zusätzlichen Linien und dichteren Takten – müssten pro Jahr etwa acht Milliarden Euro investiert werden. Hinzu kämen im Schnitt noch zwei weitere Milliarden jährlich für die Personalkosten. Etwa 70.000 Arbeitsplätze könnten so entstehen, heißt es in einer Stellungnahme von Verdi für den Verkehrsausschuss des Bundestages.

Dort waren am Mittwoch Expert*innen zu einer Anhörung eingeladen. Leitfrage war, wie die künftige Organisation und Finanzierung des ÖPNV aussehen kann. Schon vor der Corona-Krise deckten die Ticketerlöse im Bundesdurchschnitt nur etwa 75 bis 80 Prozent der Kosten. Der Rest wird hauptsächlich durch Ausgleichszahlungen von Bund, Ländern und Kommunen finanziert. Zuletzt hat die öffentliche Hand ihre Zuschüsse nochmals deutlich erhöht und einen Rettungsschirm aufgespannt, weil die Fahrgastzahlen und damit auch die Ticketeinnahmen der Verkehrsunternehmen stark eingebrochen sind.

Bund gibt bereits mehr Geld für Nahverkehr

Außerdem hat die große Koalition Anfang 2020 die Finanzhilfen für den ÖPNV deutlich erhöht. Die Zuschüsse aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) steigen bis 2025 schrittweise auf zwei Milliarden Euro jährlich – vor der Reform lag der Betrag bei 333 Millionen. Auch die Regionalisierungsmittel werden angepasst. Diese fließen vor allem in den Schienenverkehr. Bis zum Jahr 2031 sollen insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro zusätzlich bereitgestellt werden.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände spricht von einem „Meilenstein“. Für die Verkehrswende seien jedoch noch weitergehende Maßnahmen nötig, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes für den Verkehrsausschuss. Die Weiterentwicklung des ÖPNV dürfe nicht von den finanziellen Handlungsspielräumen einzelner Kommunen abhängen. Auch der Interessenverband der privaten Verkehrsunternehmen „Mofair“ verwies auf einen hohen Investitionsbedarf bei der Infrastruktur, etwa in ostdeutschen Flächenländern. Mit den aktuellen Verkehrsverträgen seien dies auf Dauer nicht zu bezahlen. Dieser „Schmerz“ sei mit der Anpassung der Regionalisierungsmittel gemildert worden, „aber nicht geschwunden“, sagte Mofair-Geschäftsführer Mattias Stoffregen in der Anhörung.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände fordert, dass der Bund die Regionalisierungsmittel dauerhaft weiter anhebt. Die Länder sollen die bereitgestellten Mittel mit eigenen, zusätzlichen Mitteln ergänzen. Bei den Regionalisierungsmitteln selbst solle es jedoch keine Mischfinanzierung geben, betonen die Kommunalverbände. Sie fürchten ein Kompetenz-Chaos, wenn die Finanzierungsverantwortung nicht mehr in einer Hand liegt.

Auch Digitalisierung kostet Geld

Um das Angebot attraktiver zu gestalten, setzen die Verkehrsunternehmen auch auf Digitalisierung. Diese sei „natürlich ein Treiber“, sagte Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) im Verkehrsausschuss.

In der Stellungnahme der Kommunalverbände wird betont: „Insbesondere müssen vorhandene Standards weiterverbreitet und digitale Plattformen der Verkehrsunternehmen, Verbünde als auch der Länder und des Bundes weiterentwickelt werden, damit Fahrgästen flächendeckend sowie verbund- und anbieterübergreifend beispielsweise Tickets und Reiseinformationen zur Verfügung gestellt werden können“. Es bedürfe einer Digitalisierungsoffensive mit entsprechenden Förderprogrammen von Bund und Ländern. Dies könnten weder die GVFG-Förderung noch die Regionalisierungsmittel in erforderlichem Maße abdecken.

Zugleich warnte Jan Schilling, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), vor einer zu einseitigen Fokussierung auf digitale Angebote: „Wir brauchen auch eine Lösung für die, die nicht mit dem Smartphone unterwegs sind.“ Für alle Fahrgäste gelte: „Der Bus muss fahren, und es muss einfach buchbar sein.”

Nahverkehrs-Abgaben als zusätzliche Geldquelle?

In der Branche kursieren einige Ideen, wie die Verkehrsunternehmen über Ticketerlöse und Fördermittel hinaus an zusätzliches Geld kommen können. Das Zauberwort heißt „Drittnutzerfinanzierung“. Die kommunalen Spitzenverbände fordern, dass hierfür ein Rechtsrahmen geschaffen wird, etwa in den Kommunalabgabengesetzen der Länder oder mit einer bundesweiten Infrastrukturabgabe.

Der Grundgedanke: Wer von einer ÖPNV-Anbindung profitiert, soll auch einen Beitrag leisten. Robert Hänsch vom Verkehrsberatungsunternehmen Interlink nannte als Beispiel Einkaufszentren: Wer eine neue Mall baue, müsse zwingend Pkw-Stellplätze schaffen. Warum soll er dann nicht auch die ÖPNV-Anbindung mitfinanzieren?

Auch Arbeitgeber*innen könnten eine Nahverkehrsabgabe zahlen. Die Kommunalen Spitzenverbände schlagen vor, dies zumindest zu prüfen. Solche zusätzlichen Mittel müssten dann aber auch zweckgebunden in den ÖPNV fließen und dürften nicht durch Kürzungen an anderer Stelle wieder aufgezehrt werden.

City-Maut und Schwarzfahr-Barrieren werden kritisch gesehen

Wenig abgewinnen können die Kommunen Plänen für eine „City-Maut“. Diese sei „kein Allheilmittel“, heißt es in der Stellungnahme der Spitzenverbände. Sie könnten den Handel in den Städten beeinträchtigen, nur einem begrenzten Kreis von Begünstigten zugute kommen und eine unzureichende Lenkungswirkung entfalten. Abgaben müssten so gestaltet werden, dass Pendler*innen nicht zusätzlich belastet werden.

Keinen Mehrwehrt hätten laut dem DStGB-Beigeordneten Timm Fuchs elektronische Ticket-Kontrollsysteme, mit denen das Schwarzfahren verhindert werden könnte. Auf Nachfrage eines AfD-Abgeordneten erklärte Fuchs: Pro Jahr müssten für die Systeme zwei Milliarden Euro investiert werden, plus laufende Betriebskosten. Die Einnahmeverluste durch Schwarzfahren lägen aber nur bei geschätzten 250 Millionen Euro jährlich. „Das wäre ein Minusgeschäft“, bestätigte auch VDV-Geschäftsführer Schilling. Man müsse zudem im Nahverkehr Barrieren ab- und nicht aufbauen.

Zurückhaltend äußern sich die kommunalen Spitzenverbände zu den Debatten um einen kostenlosen Nahverkehr oder 365-Euro-Tickets. Diese würden vielerorts kritisch bewertet, ist in der Stellungnahme zu lesen. Wichtiger sei es, die Angebote zu verbessern und auszuweiten, um mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen.

 

Mehr Informationen
Alle Stellungnahmen zur Anhörung im Verkehrsausschuss sind auf bundestag.de veröffentlicht.

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