Interview mit Oberbürgermeister Rico Badenschier

„Es ist eine komplett neue Rolle für mich“

Karin Billanitsch17. Mai 2017
Anzug statt Arztkittel: Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier
Seit einem halben Jahr steht Rico Badenschier an der Spitze der Schweriner Stadtverwaltung. Er spricht über seine Strategie im Wahlkampf, das Amt, den Umgang mit mehr als 1000 Mitarbeitern und den Bürgern

Herr Badenschier, Sie sind Arzt, haben den OP-Tisch mit dem Rathaussessel getauscht. Was ist die größte Umstellung, seit Sie vor einem knappen halben Jahr Oberbürgermeister von Schwerin geworden sind?
Die größte Umstellung für mich ist das viele Reden (lacht). Ich habe Katheter­untersuchungen oft stundenlang in höchster Konzentration durchgeführt. Jetzt arbeite ich auch konzentriert – aber man redet den ganzen Tag. Ein echter Unterschied in der Arbeitsweise.

Sie müssen die Abläufe einer Verwaltung mit mehr als 1000 Mitarbeitern kennenlernen, tragen Führungsverantwortung. Haben Sie Ihren Kommunikationsstil verändert?
Es ist sicherlich ein Prozess. Ich habe ihn nicht bewusst geändert. Ich gehe aber davon aus, dass ich nach ein paar Jahren schon anders kommunizieren werde, als ich es jetzt tue oder vor einem Jahr kommuniziert habe. Es ist auch für mich eine komplett neue Rolle, an der Spitze zu stehen.

Politischen Diskurs kennen Sie aus Ihrer Arbeit im Rat. Haben Sie sich darüber hinaus fortgebildet, etwa in einer Kommunalakademie?
Nicht in der Kommunalakademie, aber bei meinem alten Arbeitgeber war ich in einem Programm für zukünftige ­Führungskräfte.

Wann haben Sie begonnen, sich für Kommunalpolitik zu interessieren?
Im Prinzip mit meiner Wahl in die Stadtvertretung. Meine politischen Interessen lagen vorher bei den Themen der Bundespolitik. Auch meine Motivation in die SPD einzutreten, war gesundheitspolitisch motiviert. Wie die Kommunalpolitik vor Ort funktioniert, habe ich mit der Wahl in die Stadtvertretung in Schwerin erst lernen müssen.  

Was war der Auslöser, dass sich Ihr Interesse an Themen der Gesundheitspolitik – mit denen Sie beruflich zu tun hatten – hin zur kommunalen Ebene verschoben hat?
Es gibt gar keinen konkreten Auslöser. Zu der Zeit war ich im Betriebsrat des Krankenhauses mit alltäglichen Problemen konfrontiert, und da habe ich gemerkt, dass es mir Spaß macht, über Sachverhalte zu verhandeln. Im Orts­verein ging es um die anstehende Kommunalwahl und die Frage, wer sich traut, sich aufstellen zu lassen. So entstand der Impuls zu kandidieren – nicht aus einer Unzufriedenheit heraus, sondern wegen der Chance, etwas zu gestalten.

Sie nutzen Facebook aktiv. Finden Sie den Einsatz sozialer Medien wichtig, um jüngere Menschen zu erreichen?
Die sozialen Medien haben für den Politiker den Reiz, dass man direkt mit den Menschen kommunizieren kann und auch direkt ein Feedback bekommt. Man sieht sofort, ob 300 oder 3000 Leute die Meinungsäußerung gelesen haben. Ich weiß, dass das nicht repräsentativ ist – aber es gibt trotzdem ein Gefühl für die Interessenlage.

War Facebook auch Teil der Wahlkampfstrategie?
Ja, immer mit dem Wissen, wen man auf diese Weise erreicht und welche Botschaften man an dieser Stelle transportieren kann. Das ist ein großer Reiz der sozialen Medien.

Wie haben Sie daneben die klassischen Wahlkampfmittel eingesetzt?
Der OB-Wahlkampf war mein erster größerer Wahlkampf. Hier bin ich hervorragend von der Parteischule unterstützt worden, was mir große Sicherheit gegeben hat. Dann ist natürlich die lokale SPD vom ersten bis zum letzten Tag sehr ­engagiert gewesen, mit ­Plakatekleben etwa. Die Kunst war, einen OB-Wahlkampf zu machen, der sich von der zeitgleich stattfindenden Landtagswahl ­abhebt. Wir haben auch eine Wahlkampfzeitung herausgegeben, die drei Mal vor der Wahl verteilt wurde. Das geht natürlich nur mit entsprechender Manpower.

Wie motivieren Sie Menschen?
Hier muss ich ausholen: Vor zwei Jahren war vor Ort ein großes Phlegma zu spüren. Die Sorge war, dass man hier eine Wahl überhaupt nicht gewinnen kann. Ich glaube, dass der Elan, mit dem ich auf Sieg gesetzt habe, die Leute mitgenommen hat. Dass ich sie bewusst motiviere, würde ich eher nicht sagen. Manche werden durch meine Art angesprochen, bei anderen funktioniert das nicht. Ich habe den Eindruck, dass sehr viele Menschen für die Sache kämpfen. Es hat mich überrascht, wie viele ihre Zeit aufwenden und am Ende – wenn es um ein Lob geht – sich selbst hintanstellen und sagen: „Das war doch selbstverständlich.“

Wie kann man Jüngere für Politik gewinnen?
Ich nehme an, dass junge Leute politisch nicht uninteressiert sind. Die Schwierigkeit ist die Bereitschaft, sich langfristig in Parteien zu engagieren – quasi als Gegenpol zu kurzfristigem Engagement in Projekten. Einen Königsweg habe ich nicht gefunden. Ich bin derzeit fasziniert von den Modellen der zufällig ausgewählten Bürgerversammlungen.

Können Sie das näher erklären?
Der belgische Wissenschaftler David van Reybrouck hat die Frage gestellt, ob Wahlen überhaupt repräsentativ sind, bei den geringen Wahlbeteiligungen, die wir vielerorts haben. Er hat die These aufgestellt, die Bürger ins Boot zu holen, indem bestimmte Gremien, etwa Bürgerkammern, über das Losverfahren aufgestellt werden. Es geht nicht nur darum, junge Menschen ins Boot zu holen, sondern auch die Angehörigen der Generation zwischen 40 und 60, die sich ins Private zurückziehen.

Was halten Sie von mehr Bürgerbeteiligung, etwa durch Bürgerhaushalte? Planen Sie etwas in dieser Richtung?
Ich würde so etwas im Prinzip gern machen. Ein bisschen sehe ich das Problem, etwa bei einem Bürgerhaushalt, das sich hier jene beteiligen, die ohnehin immer aktiv sind. Die Aufgabe muss es ja sein, auch andere anzusprechen. Grundsätzlich möchte ich in meiner Amtszeit schon ­alternative Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung ausprobieren. Den eben erwähnten Ansatz von gelosten Bürgergremien würde ich deshalb gern in der Stadt an einem Projekt testen.

Digitale Plattformen bieten da Möglichkeiten ...
Ja, das stimmt. Aber hier müssen wir viel lernen. Die digitalen Plattformen, die wir anbieten – etwa Online-Umfragen – werden auch wieder von denselben Menschen genutzt.

Entsprechen die Handlungs-Spielräume an der Spitze einer Kommune Ihren Erwartungen? Fühlen Sie sich oft eingeschränkt?
Die Spielräume sind so eingeschränkt, wie ich es erwartet habe. Das Problem bei uns ist die Finanzlage. Das ist immer ein Zusammenspiel aus auskömmlicher Finanzierung und Hausaufgaben, die die Kommune selbst machen muss. Von daher haben wir an beiden Fronten viel zu tun. Grundsätzlich sind wir als Gemeinde strukturell unterfinanziert und schieben einen Schuldenberg vor uns her. Das lähmt natürlich und macht Kommunal­politik weniger attraktiv, als wenn man ­einen ausgeglichenen oder positiven Haushalt hat und überlegen kann, wo man gestaltet. Den Haushalt auszugleichen, dass muss das Ziel der Jahre sein, die ich jetzt vor mir habe.