Kulturpolitik

Kultur als Lebenselixier für das Revier

Julia Korbik02. August 2017
In den alten Wartesaal im Herner Bahnhof hat die Stadt investiert: Er soll sich langfristig in einen Kunst- und Kulturort verwandeln.
Kohle, Stahl, Fußball – das kommt vielen in den Sinn, die an das Ruhrgebiet denken. Dabei kann der „Pott“ auch anders: Kommunen bieten trotz knapper Mittel viel Kultur. Wie etwa in Duisburg oder Herne.

Wer am Duisburger Hauptbahnhof aussteigt, hat nicht den Eindruck, in ­einer Kulturstadt gelandet zu sein. Vom Bahnhofsvorplatz bis zur Einkaufsmeile Königstraße erstreckt sich eine riesige Baustelle, es herrscht die ruhrgebiets­typische Innenstadt-Tristesse. Wenn die Deutschen an den Ruhrpott denken, dann kommen ihnen Borussia Dortmund, Zechen oder Stahl-Konzerne in den Sinn. Aber Kultur im Ruhrgebiet?
Dabei hat der „Pott“ schon im Jahr 2010 bewiesen, dass er auch anders kann: Als Europäische Kulturhauptstadt präsentierte er sich als „unkonventionelle Metropole im Werden“. Eine Metropole, die zwar durch Bergbau-Vergangenheit und Industrie geprägt ist, sich aber nicht ausschließlich darüber definiert, schon gar nicht kulturell. Die Kommunen mögen hoch verschuldet sein und müssen sparen, gerade im Kulturbereich. Aber der Herausforderung Kulturpolitik stellen sich viele der Städte engagiert und vor allem kreativ.

Duisburg: Beteiligung als Prinzip

So sind es in der vermeintlich tristen Duisburger Innenstadt nur ein paar Schritte bis zu den Museen Lehmbruck und DKM, wo Skulpturen, zeitgenössische und antike Kunst sowie Fotografien gezeigt werden. Auch die Mercatorhalle, Spielstätte der Duisburger Philharmoniker, ist in ­Laufnähe, genauso wie der Binnenhafen: Dieser lockt mit gastronomischem Angebot, kulturellen Veranstaltungen und dem Museum für moderne Kunst, der Küppersmühle. Der Landschaftspark Duisburg Nord, ein Gelände rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk – Austragungsort vieler Veranstaltungen, erinnert an die Vergangenheit des Reviers, doch viel Neues ist entstanden. So dicht gedrängt wie die Bevölkerung – 2110 Einwohner pro Quadratkilometer – ist in Duisburg eben auch die Kultur. Man muss nur genau hinsehen.

Landschaftspark Duisburg-Nord. Foto: N.Schmitz / pixelio.de

„Duisburg bietet das gesamte Spek­trum an Kultur“, sagt Thomas Krützberg, seit 2013 Kulturdezernent der Stadt. Kein leichter Job, denn Duisburg – nach Dortmund und Essen die drittgrößte Stadt des Ruhrgebietes – erhält seit 2011 eine jährliche Konsolidierungshilfe des Landes Nordrhein-Westfalen für überschuldete Kommunen und muss dafür im Gegenzug einen strengen Sanierungskurs einhalten. Trotzdem hat es in Duisburg seit 2013 keine Kürzungen mehr im Kulturetat gegeben. Krützberg erklärt: „Unser Bereich ist nicht generell von Sparmaßnahmen ausgenommen – aber er wurde in den Jahren davor schon genug gebeutelt.“
In NRW stemmen die Kommunen fast 80 Prozent der öffentlichen Kulturausgaben. Die Stadt Duisburg gibt jährlich rund 65 Millionen Euro für Kultur und Wissenschaft aus, vier Prozent ihres Gesamthaushaltes. Hinzu kommen Landesmittel zur Förderung einzelner Projekte.

Zusammenarbeit von freier Kulturszene und Verwaltung

Gute und effiziente Planung ist bei ­einem kleinen Budget wichtig, und so veranlasste der neue Kulturdezernent Thomas Krützberg im Jahr 2013 die Erstellung eines Kulturentwicklungsplanes. Eine Premiere für Duisburg und ein ehrgeiziges Unterfangen, denn Krützberg setzte dabei auf die Zusammenarbeit von freier Kulturszene und Verwaltung. Andere Städte, so Krützberg, würden für so ein Vorhaben eine Agentur verpflichten. Er hingegen entschied sich für den „gemeinschaftlichen Prozess“ und nahm dafür eine deutlich längere Planungsphase in Kauf: „Beteiligung ist das oberste Prinzip.“

In der engen Einbindung der freien Szene sieht Krützberg einen seiner Arbeitsschwerpunkte, genau wie im Erhalt der kulturellen Infrastruktur. Gerade erst hat Duisburg die Partnerschaft zwischen dem Theater und der Düsseldorfer Oper am Rhein verlängert: Verschiedene Oper- und Ballettproduktionen werden in beiden Städten gezeigt, Künstler, Kostüme und Kulissen untereinander ausgetauscht. Weitere Schwerpunkte der Duisburger Kulturpolitik sind der Erhalt und die Neuausrichtung der Festivallandschaft. Zu den bekanntesten städtischen Festivals gehören das Traumzeit Festival im Landschaftspark Duisburg-Nord und das ­Haniel Klassik Open Air. Ein Großteil der Veranstaltungen, betont Krützberg, könnte ohne Sponsoren aus der Wirtschaft gar nicht oder nicht in der gewohnten Qualität stattfinden. „Kultur ist ganz klar ein Standortfaktor“, sagt Krützberg. „Sie lockt Touristen hierher und sorgt für positive Schlagzeilen.“ Und davon kann die Stadt einige gebrauchen, findet der Kultur­dezernent: „Duisburg wird leider immer als Stadt mit vielen Problemen gesehen, und nicht als das, was sie ist: nämlich eine pulsierende Stadt mit vielen Chancen.“

Herne: Vielfalt durch Vernetzung

Gleiches ließe sich über Herne sagen. Nur eine gute halbe Stunde dauert es von Duisburg mit der Bahn über Oberhausen, Essen und Gelsenkirchen in die geografische Mitte des Ruhrgebietes. Auch Herne erhält Konsolidierungshilfen vom Land, muss sparen und aus seinem geringen Kulturetat das Beste machen. Ein ewiger Kampf, wie Peter Weber, Leiter des städtischen Kulturbüros, feststellt: „Kultur gilt immer als Sahnehäubchen obendrauf, nicht als etwas Notwendiges.“ Gerade einmal drei Prozent des Gesamthaushaltes – ungefähr 1,84 Millionen Euro plus Transferleistungen – sind in Herne für den Bereich Kultur vorgesehen.

Hochkulturelle Einrichtungen wie ein Konzerthaus kann sich die Stadt –anders als Duisburg – nicht leisten. Stattdessen setzt man auf Vielfalt mit regionalen Akzenten: Auf der einen Seite gibt es zum Beispiel die international bekannten und renommierten Tage alter Musik, auf der anderen Seite das Pottporus-Festival, bei dem sich alles um Street Art dreht.

Kulturpolitik mit kleinem Budget

Zunehmend versucht man in Herne, leerstehende Räumlichkeiten für kulturelle Zwecke zu nutzen. So wurde eine alte Grundschule 2016 in einen „Ort der Kulturen“ umgewandelt. Zu den Mietern gehören unter anderem die Poetry Slam-Agentur WortLautRuhr und der ­Videospielekultur-Verein Insert Coins. Auch in den alten Wartesaal im Herner Bahnhof hat die Stadt investiert: Er soll sich langfristig in einen Kunst- und Kulturort verwandeln. Generell, findet Kai Nordemann, habe Herne einiges zu bieten. Er leitet das Kulturell-Alternative Zentrum, einen Verein, der die Jugendkultur in der Stadt fördern will. „Mittlerweile kann man als junger Mensch in Herne so gut wie jedes Wochenende auf ein Konzert oder eine andere Veranstaltung gehen.“

„Ich bin Jerry“: Produktion im Kinder- und Jugendtheater Kohlenpott in Herne. Foto: Thomas Schmidt, Pressebüro Herne.

Hoch seien die Kultur-Fördergelder zwar nicht, aber das sei mit Blick auf den Haushalt logisch: „Immerhin bekommen wir überhaupt etwas und die Stadt versucht, verschiedene Projekte zu unterstützen.“ Dass die Herner Kulturpolitik trotz kleinem Budget so gut funktioniert, liegt laut Peter Weber an verschiedenen Faktoren. Zum einen am Kulturbüro, dem es gelänge, Kulturschaffende und städtische Verwaltung zusammenzubringen, und so neue Dynamiken und Vernetzungen zu erzeugen. Gabriele Kloke, Mitarbeiterin im Kulturbüro und Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters Kohlenpott, sagt: „Sich gut vernetzen zu können ist das Wichtigste in der Kultur. Und darin ist Herne wirklich gut.“ Hinzu kommen Sponsoren: In der Kulturinitiative Herne haben sich verschiedene Unternehmen, darunter die Stadtwerke und die Sparkasse, zusammengeschlossen. In diesem Jahr fördert die Initiative unter anderem den Wortkünstler-Wettbewerb Tegtmeiers Erben in den Flottmann-Hallen und das Kunst- und Theaterprojekt Pottfiction. Das Literaturhaus Herne Ruhr hat kurzerhand seinen eigenen Förderverein gegründet.

Projektgelder vom Land

So oft es geht versucht Herne außerdem, Landesprojekte und die damit verbundenen Projektgelder in die Stadt zu holen, wie zum Beispiel die Kulturstrolche. Nicht zuletzt gibt es eine klare ­Vision von Kulturpolitik in Herne: Kultur soll auch junge Menschen erreichen, sie soll einen gesellschaftspolitischen Beitrag leisten und an möglichst vielen ­Orten in der Stadt stattfinden.

Doch Weber denkt über Herne ­hi­naus. Er wünscht sich eine ganze Kulturregion Ruhrgebiet: „Wir hätten ein viel größeres Potenzial, wenn wir gemeinsam auftreten würden.“ Doch stattdessen herrsche Kirchturmdenken vor, es gebe kein gemeinsames Ziel wie noch bei RUHR.2010. „Um gute Kulturpolitik zu machen“, davon ist Weber überzeugt, „braucht es nicht nur Geld, sondern auch eine Leitidee“. Die ist offenbar sowohl in Herne als auch in Duisburg vorhanden. Dort wie in anderen Ruhrgebiets-Städten hat man verstanden, dass Kultur einen Mehrwert bietet, der über die Einnahmen aus Ticketverkäufen und Eintrittsgeldern hinausgeht.

Michelle Müntefering ist überzeugt: Die Vielfalt macht es aus, vom Heimatverein bis zu den Ruhrfestspielen. Foto: Thomas Imo/photothek.net

Michelle Müntefering: „Das Ruhrgebiet ohne Kultur wäre wie Pommes ohne Ketchup.“

Michelle Müntefering, Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herne-Bochum II, ist überzeugt: „Kultur ist das Lebenselixier für eine Stadt, ganz besonders für eine Metropole wie das Ruhrgebiet. Die Vielfalt macht es aus, vom Heimatverein bis zu den Ruhrfestspielen, vom Break-Dance bis zum Poetry-Slam, vom Lehmbruck- zum Bergbau-Museum.“ Und so gehört neben Fußball und Industrie eben auch die Kultur dazu – oder wie Müntefering es sagt: „Das Ruhrgebiet ohne Kultur wäre wie Pommes ohne Ketchup.“