Interview mit Peter Feldmann

„Das Land muss die Fristen für die Sozialbindung verlängern”

Karin Billanitsch25. Mai 2018
Peter Feldmann, Oberbürgermeister von Frankfurt am Main
Peter Feldmann, Oberbürgermeister von Frankfurt am Main
Das Rhein-Main-Gebiet wächst. Viele Menschen würden gerne hier wohnen, insbesondere in der Metropole Frankfurt am Main. Welche Strategien Oberbürgermeister Peter Feldmann verfolgt, um mehr bezahlbares Wohnen zu schaffen, verrät er im Interview mit der DEMO.

Herr Feldmann, bezahlbarer Wohnraum für alle – daran mangelt es gerade in Ballungsräumen. Manche sprechen sogar schon von der neuen sozialen Frage. Nach einer aktuellen Studie fehlen in Deutschland 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Wie ist die Situation in Frankfurt am Main mit Blick auf die Versorgungslücke?

Wir haben derzeit etwa 22.000 registrierte Wohnungssuchende in der Stadt. Das sind die Personen, die sich bei unserem Amt für Wohnungswesen als wohnungssuchend gemeldet haben. Diese Zahl beinhaltet nicht die Personen, die jenseits der Förderprogramme eine Wohnung suchen. Wir schätzen die Zahl insgesamt auf etwa 30.000.

Frankfurt wächst stark und die Stadtpolitik hat es zu lange versäumt, der steigenden Wohnungsnachfrage durch Neubau und entsprechende Programme zu begegnen. Das hat dazu geführt, dass die Mieten in einzelnen Stadtteilen im Schnitt auf über 15 Euro gestiegen sind. Da finde ich die Formulierung von der neuen sozialen Frage sehr zutreffend.

Das Planungsdezernat der Stadt Frankfurt hat, gemeinsam mit Partnern, einen neuen Preis „Wohnen für alle – Das neue Frankfurt 2018“ für kostengünstiges und gutes Bauen und Wohnen ausgelobt. Die Bewerbungsfrist lief am 16. Februar 2018 ab. War die Ausschreibung ein Erfolg und wie geht es jetzt weiter?

Die Ausschreibung war ein voller Erfolg. Am Wettbewerb „Wohnen für Alle – Neues Frankfurt 2018“ haben über 100 Büros aus ganz Europa teilgenommen und bereits gebaute Referenzprojekte eingereicht. Mit dem Wettbewerb wollen wir die Diskussion um gutes und zugleich bezahlbares Wohnen befördern – ganz im Sinne des Neuen Frankfurt. Ab 18. Mai 2018 wird im Deutschen Architekturmuseum eine Ausstellung der eingereichten Projekte gezeigt. Zeitgleich starten die 10 Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs in die Entwurfsphase. Bis Herbst sollen sie neue Wohngebäude entwerfen, die besten drei Beiträge werden anschließend von der städtischen ABG Frankfurt Holding im Frankfurter Hilgenfeld gebaut. Dort sollen geförderte und freifinanzierte Mietwohnungen entstehen. Wichtig ist uns, dass auch die freifinanzierten Wohnungen bezahlbar sind – bei hoher baukultureller Qualität. Der Erfolg des diesjährigen Aufrufs hat uns bestärkt, den Wettbewerb künftig alle zwei Jahre auszuloben.

Unter der bis Anfang 2014 regierenden CDU/FDP-Regierung ist in Hessen der soziale Wohnungsbau fast zum Erliegen gekommen. Jetzt hat die schwarz-grüne Regierung eine Wende vollzogen. Es gibt zum Beispiel seit 2017 das Programm zum Ankauf von Belegungsrechten oder das Hessische Kommunalinvestitionsprogramm (KIP). Sind die Programme kommunalfreundlich gestaltet? Oder gibt es Kritik von Ihrer Seite?

Zunächst einmal muss ich feststellen, dass die Neuorientierung sehr spät gekommen ist. Erst Ende 2017 hat die hessische Landesregierung umgesteuert, neue Programme aufgelegt und Mittel eingestellt. Auch die Ausstattung ist zu gering. In Frankfurt investiert allein die stadteigene ABG Frankfurt-Holding in den kommenden fünf Jahren 2,8 Milliarden Euro in den Neubau und Bestand stadteigener Wohnungen. Das ist etwa das fünffache dessen, was das Land Hessen an Fördermitteln im Wohnungsbau für das ganze Land bereitstellt.

Hinzu kommt, dass das Land immer noch  nicht die Brisanz im Rhein-Main-Gebiet sieht. Ich würde mir hier spezielle Programme wünschen. Die Stadt Frankfurt und die Region sind das wirtschaftliche Herz Hessens. Das geht mit spezifischen Belastungen einher. Um es klar zu sagen: Hessen als Ganzes profitiert von der Entwicklung unserer Region, da erwarten wir eine angemessene Unterstützung.

In Hessen verschwinden Sozialwohnungen, weil mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, als derzeit gebaut werden. Die Bindungsdauer variiert und liegt bei 20 Jahren, je nach Programm auch 15 oder 10 Jahre. Sollte die Sozialbindung generell verlängert werden?

Die Notwendigkeit liegt auf der Hand. Das Land muss hier die Fristen verlängern. Passiert ist das Gegenteil. Das Land hat die Rückwirkungsfrist der Sozialbindung bei vorzeitiger Ablösung der Förderdarlehen von zehn auf fünf Jahre verkürzt. In Zeiten der Nullzinsphase ist das für den sozialen Wohnungsbau tödlich, da man schnell die Darlehen ablöst, um für den gleichen Zinssatz Geld am Kapitalmarkt zu leihen, ohne in der Verpflichtung einer Sozialbindung zu sein.

Wir haben bei unserem stadteigenen Förderprogramm mit der ABG Frankfurt-Holding mittlerweile Bindungen von 30-50 Jahren vereinbart oder verhandeln diese gerade. Das halte ich für den richtigen Weg.

66 Millionen hat die Stadt Frankfurt laut dem Jahresabschluss 2017 in Städtebau und Wohnungen investiert. Können Sie gute Beispiele für neuen Wohnraum und Quartiere nennen?

Ein Schwerpunkt ist der Wohnungsbau in der ehemaligen Bürostadt Niederrad. Ende des Jahres werden dort 8.000 Menschen leben, darum haben wir sie in Lyoner Quartier umbenannt. Teilweise wurden hier Bürogebäude abgebrochen, teilweise wurden Bürogebäude in Wohngebäude umfunktioniert. Für mich steht diese Entwicklung sinnbildlich für die Zukunft unserer Großstädte. Stadt verändert sich, Stadt entwickelt sich. Nutzungen verändern sich und wir passen diese an. Wir bauen hier ohne neuen Flächenverbrauch in bestehende Stadtteilstrukturen. Diese werden natürlich ergänzt, doch handelt es sich eben nicht um vollständig neue Strukturen, sondern um Strukturen die erweitert und ergänzt werden. Die Stadt schreibt ihre Geschichte in der Geschichte des Stadtteils weiter und neu. Das ist ein spannender Prozess und es wird ein spannender alter neuer Stadtteil.

Über kommunale Wohnungsbauunternehmen kann man den Markt preisdämpfend steuern. Wie ist Frankfurt hier unterwegs?

Wie schon erwähnt haben wir städtische ABG mit derzeit 52.000 Wohnungen. Die ABG baut in den kommenden fünf Jahren 10.000 neue Wohnungen, ein echter Kraftakt. Mit den 16.000 Wohnungen der Nassauischen Heimstätte und den fast 10.000 Wohnungen der GWH, beides Landesgesellschaften, haben wir dann über 80.000 Wohnungen in öffentlicher Hand. Das sind zwischen 20 und 25 Prozent der Wohnungen Frankfurts. Das ist ein Pfund, mit dem man preisdämpfend wirken kann.

Wir haben, gegen massive Widerstände, bei der ABG auch einen Mietpreisstopp durchgesetzt. In fünf Jahren wird die Miete um maximal ein Prozent jährlich angehoben. Damit stabilisieren wir Mieten und schaffen eine Entwicklung, die sich mittelfristig auch im Mietspiegel niederschlagen wird. Momentan kämpfe ich dafür, das auch bei der Nassauischen Heimstätte und der GWH durchzusetzen.

Wir haben bei der ABG auch durchgesetzt, dass mindestens 40 Prozent der Neubauwohnungen gefördert gebaut werden. Auch hier ist unser Ziel die Preisstabilisierung auf dem Wohnungsmarkt.

Stichwort aktive Bodenpolitik: Welche Instrumente nutzt Frankfurt offensiv?

Vom Lyoner Quartier sprach ich ja schon. Wir machen ähnliches bei Flächen, die im weitesten Sinne etwas mit nicht mehr benötigten Infrastrukturen zu tun haben. Das waren vor 20 Jahren etwa Hafenflächen, der Schlachthof oder der Güterbahnhof. Heute sind das zum Beispiel innenstadtnahe Flächen der Verkehrsgesellschaft Frankfurt, also Busbetriebshöfe oder Straßenbahndepots, die wir in Wohnbauflächen umwandeln. Wir schaffen also auf städtischen Flächen Baurecht für Wohnungen, ohne teures Bauland kaufen zu müssen, und verlagern oder zentralisieren die ehemaligen Nutzungen in Gewerbegebieten.

Wir bereiten derzeit auch eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Frankfurter Nordwesten vor. Wir werden dort bis zu 12.000 Wohnungen für 30.000 Menschen bauen. Der Vorteil ist, wir schöpfen einen Teil der Planwertgewinne ab, um öffentliche Infrastruktur zu finanzieren.

Bei Nachverdichtungen handeln wir maßvoll. Wir haben Beispiele, in denen es gut funktioniert hat. Generell ist unsere Stadt stark durch Siedlungsbau geprägt und da passen wir auf, dass wir den Menschen der Frankfurter Siedlungen eben nicht den Hinterhof mit Beton zuschütten.

Wegen massiv steigender Baulandpreise werden Forderungen nach einer Bodenrechtsreform laut. Der neue Bundestag will laut Koalitionsvertrag eine Enquete-Kommission für eine nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik einsetzen. Was sollte dort auf die Agenda kommen? Wie stehen Sie zum Beispiel zur Besteuerung von leistungslosen Planungsgewinnen – die Forderung einer Münchener Initiative?

Ich sehe vor allem zwei Punkte. Erstens kann es nicht sein, dass mit der Vergabe von Baurechten in einer Stadt Gewinnsprünge von bis zu 2000 Prozent möglich sind, ohne dass die Kommune daran partizipiert. Übrigens im Zweifel auch, ohne dass der Eigentümer irgendwas geleistet hat. Wir finanzieren die gesamte Infrastruktur und Private kassieren ab. Das ist schlicht ungerecht und für Kommunen ein dauerhafter Grund für wachsende Verschuldung. Es ist zudem einem Gemeinwesen, und das sind Städte nun einmal, völlig abträglich.

Zweitens muss sich die Grundsteuer auf unbebaute Grundstücke beziehen. Spekulatives Liegenlassen von baureifen Grundstücken ist in Regionen wie der unsrigen schlicht unsittlich und da müssen wir den Druck erhöhen. Ganz klar sage ich, dass wir da mindestens mal die Steuerschraube anziehen müssen, um solche verantwortungslose Eigentümer entweder zum Bauen oder zum Verkaufen zu zwingen.

Welche Strategie verfolgen Sie bei der Förderung von Genossenschaften, um sie als zusätzliche Anbieter von günstigem Wohnraum zu aktivieren?

Auch hier haben wir Quoten eingeführt. In Neubaugebieten haben wir beschlossen, dass 15 Prozent der Flächen für Gruppen gemeinschaftlicher Wohnprojekte oder Genossenschaften zur Verfügung gestellt werden. Wir erreichen damit zwei Dinge. Erstens tragen wir dem Wandel gesellschaftlicher Lebensstile Rechnung, die sich etwa in selbstbestimmten, gemeinschaftlichen Wohnformen realisieren. Zweitens küssen wir ein Stück die Frankfurter Traditionsgenossenschaften wach, die von der preislichen Entwicklung des Frankfurter Bodenmarktes überrollt wurden. Zentrales Instrument ist hier die Konzeptvergabe, die uns den Grundstücksverkauf zu anderen Kriterien als dem Erzielen des Maximalpreises ermöglicht.

Was muss die Bundesregierung jetzt tun, damit die „Wohnraum-Offensive“ gelingt?

Ich sehe drei wesentliche Punkte. Erstens braucht es eine deutliche Ausweitung der Mittel. Zwei mal zwei Milliarden Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist kaum mehr als das, was wir in den nächsten Jahren als eine Stadt ausgeben.

Zweitens braucht es klare Zieldefinitionen. Eine davon ist die Konzentration der Mittel auf die wachsenden Städte und Metropolregionen. Da muss die Einsicht her, dass wir wachsende urbane Räume haben, in denen gesellschaftlicher Reichtum produziert wird und in denen es spezifischer Unterstützung beim Wohnungsbau bedarf.

Drittens gehören Möglichkeiten der Planwertgewinnabschöpfung dazu. Städten muss es ermöglicht werden, über die Beteiligung an den Planwertgewinnen Infrastruktur zu finanzieren. Diese Infrastruktur ermöglicht doch erst die Nutzung und damit den Wert der entsprechenden Flächen. Ich halte es einfach nur für gerecht, die Eigentümer, die davon profitieren, durch Gewinnabschöpfung daran zu beteiligen

Zur Person – Peter Feldmann

Peter Feldmann ist am 7. Oktober 1958 in Helmstedt geboren. Er besuchte dort ab 1970 die Ziehenschule und machte 1979 das Abitur an der Ernst-Reuter-Schule. Es folgte in den Jahren 1979 und 1980 ein Auslands­aufenthalt in Israel – wo er eine Gärtnerausbildung absolvierte. Nach seiner Rückkehr studierte er Politische Wissenschaft in Marburg und schloss 1986 als Diplom Politologe ab; es folgte ein weiterer Abschluss im Jahr 2009 als Sozialbetriebswirt.

Im Jahr 1967 schloss er sich der sozialistischen Jugend an, 1974 den Jusos und trat in die SPD ein. Bis 1988 arbeitete er als Dozent am Verwaltungsseminar für Politik, Geschichte und Verfassungskunde, ab 1988 war er Landesgeschäftsführer der SPD-Jugendorganisation „Die Falken“. Nach weiteren beruflichen Stationen, unter anderem als Grundsatzreferent des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sitzt er seit 1998 in der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Main und ist seit 1. Juli 2012 Oberbürgermeister. Im März 2018 wurde er für eine zweite Amtszeit wieder­gewählt.