Corona-Pandemie

Landkreise wollen Kontaktnachverfolgung auf Gefährdete beschränken

Carl-Friedrich Höck30. August 2021
Schwierige Kontaktnachverfolgung: Wie hier in Bonn (Februar 2021) haben Bundeswehrsoldaten in vielen Kommunen Unterstützung geleistet.
Der Deutsche Landkreistag fordert neue Leitlinien für die Kontaktnachverfolgung von Corona-Infizierten. Es gehe darum „nicht jeder Neuinfektion hinterherzulaufen“, so Präsident Sager. Er will die Gesundheitsämter entlasten.

Noch vor wenigen Monaten waren die Gesundheitsämter am Limit. Ihre Aufgabe ist es herauszufinden, mit wem Corona-Infizierte zuletzt Kontakt hatten. Das ist aufwendig. Oft gelang das nur, weil Mitarbeitende aus anderen Verwaltungen oder Bundeswehr-Soldaten aushalfen. Nach einem Sommer mit niedrigen Fallzahlen steigt die Zahl der Ansteckungen jetzt wieder. Bundesweit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bereits bei 76 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen.

„Mit dem Virus leben”

Damit nimmt auch die Arbeit für die Gesundheitsämter wieder zu. Der Deutsche Landkreistag plädiert nun dafür, die Leitlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Kontaktnachverfolgung zu überarbeiten. In einer Pressemitteilung des Landkreistages erklärt Präsident Reinhard Sager: „Bei einer weiteren Normalisierung der Lage im Sinne eines ‚mit dem Virus leben‘ muss der Fokus stärker auf konkrete Ausbrüche und den Schutz vulnerabler Gruppen gelegt werden. Es geht darum, die Kapazitäten der Gesundheitsämter angesichts des guten Impfschutzes in der Bevölkerung sinnvoll auszurichten und nicht jeder Neuinfektion hinterherzulaufen.“

Das lässt sich als Reaktion auf einen Kurswechsel der Bundespolitik lesen. Denn lange Zeit galt das Prinzip: Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz den Wert 50 überschreitet, müssen die Kontaktbeschränkungen wieder verschärft werden. Davon ist die Bundesregierung abgerückt. „Die 50er-Inzidenz im Gesetz hat ausgedient“, verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn vor einer Woche.

Die Landkreise unterstützen den Beschluss. Zu Recht werde die Inzidenz als alleiniger Maßstab zur Bewertung des Infektionsgeschehens abgelöst, kommentiert Sager. „Die Auslastung der Krankenhäuser muss neben weiteren Kriterien der entscheidende Gradmesser in der Pandemie sein.“

Mehr Ansteckungen, aber keine vollen Krankenhäuser?

Sager erwartet für die kommenden Wochen „deutlich höhere Ansteckungsraten ohne schwere Krankheitsverläufe“. Damit würden die Gesundheitsämter personell und strukturell erneut stark belastet, wenn die Nachverfolgungs-Strategie nicht verändert wird. Dem stehe aber nur ein geringer Nutzen gegenüber, solange zum Beispiel aufgrund der Impfungen keine Überlastung der Krankenhäuser droht.

Aber wie genau würde die Kontaktnachverfolgung dann künftig aussehen? Dazu müsse sich das RKI Gedanken machen, heißt es auf Nachfrage beim Landkreistag. Denkbar wäre etwa, dass sich die Gesundheitsämter darauf konzentrieren Cluster aufzuspüren – also beispielsweise Ausbrüche in Altenheimen, Schulen oder Unternehmen einzudämmen.

Reinhard Sager möchte das Thema in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden auf Bundesebene angehen. Das Bundesgesundheitsministerium wollte sich dazu auf DEMO-Anfrage nicht äußern und verwies auf das RKI. Dessen Pressestelle teilt mit, das RKI kommentiere generell keine Äußerungen von einzelnen Personen oder Einrichtungen. In den Empfehlungen des Instituts zur Kontaktnachverfolgung seien bereits Priorisierungsempfehlungen enthalten. „Die konkrete Prioritäten-Setzung kann aber nur im Gesundheitsamt erfolgen.“

Kontaktnachverfolgung wird schwieriger

Wie die FAZ berichtet, stehen die Gesundheitsämter noch vor einem ganz anderen Problem: Zunehmend würden Corona-Infizierte die Auskünfte über ihre Kontakte verweigern. In der Region Hannover zum Beispiel habe der Gast einer Hochzeitsfeier hinterher behauptet, er wisse nicht, um wessen Hochzeit es sich gehandelt habe. Viele Infizierte würden angeben, sie hätten überhaupt niemanden getroffen. Die Gesundheitsbehörden erklären sich dieses Verhalten damit, dass die Betroffenen ihr persönliches Umfeld vor Quarantäneanordnungen schützen wollen. Zudem wollten Infizierte womöglich eigenes Fehlverhalten – etwa Verstöße gegen geltende Kontaktbeschränkungen – nicht einräumen.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat bereits die Pflicht zur Kontaktdatenerfassung abgeschafft. Wer ein Restaurant oder eine Kneipe besucht, muss also keine persönlichen Daten mehr angeben. Kommunen sehen die Entscheidung mit Skepsis. „Der Verzicht auf die Dokumentationspflicht ist ein Experiment mit offenem Ausgang“, wird der Geschäftsführer des Städtetages NRW Helmut Dedy von RP online zitiert.

 

Nachtrag, 31.08.2021

Auch der Deutsche Städtetag plädiert dafür, die Regeln für die Kontaktnachverfolgung zu überarbeiten. Auf DEMO-Anfrage teilt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy mit:

„Die Bundesregierung muss bei der Umsetzung der Bund-Länder Beschlüsse und bei geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes unbedingt die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung berücksichtigen. Wenn die 7-Tage-Inzidienz wegen der steigenden Impfquote nicht mehr so wichtig werden soll und bisher daran geknüpfte Kontaktbeschränkungen zugunsten von ‚3G‘ wegfallen, dann brauchen die Gesundheitsämter auch dazu korrespondierende Regeln für die Kontaktnachverfolgungen und die Quarantäne. Die Coronabelastung der Gesundheitsämter wird maßgeblich von der Anzahl der Neuinfektionen bestimmt.“

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