Porträt

Landrat Ali Dogan: „Einer von euch”

Carl-Friedrich Höck06. April 2023
Doğan im Wahlkampf: Neben Haustürbesuchen setzte er auch stark auf soziale Medien.
Ali Doğan ist der erste Landrat mit Migrationshintergrund. Kommunikation auf Augenhöhe ist ihm wichtig.

Als am 29. Januar 2023 das Ergebnis der Landratswahl in Minden-Lübbecke feststand, war klar: Es hat etwas Historisches stattgefunden. In der Stichwahl stimmten 55,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler für Ali Doğan. Er ist der erste Landrat in Deutschland mit Migrationshintergrund.

Seine Eltern sind Anfang der 1970er Jahre als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland eingewandert. Die Mutter arbeitete am Fließband, sie hatte keine Schule besucht und war Analphabetin. Sohn Ali kam 1982 in Herford zur Welt. Er gehört zu einer Generation von Einwandererkindern, in der viele den Bildungsaufstieg geschafft haben. Er sieht sich aber auch als Repräsentant der anderen, die den Hindernissen auf dem Weg nach oben nicht trotzen konnten. Dass Doğan es nun bis zum Landrat ­gebracht hat, erfülle ihn mit Stolz, sagt er – und hofft, dass sein Beispiel auch anderen Mut macht.

Moderne Kommunikation

Im Wahlkampf hat der Sozialdemokrat massiv auf soziale Medien gesetzt: Facebook, Instagram, LinkedIn, Twitter. So könne er insbesondere die junge Generation besser erreichen, war er überzeugt. Jeden Morgen schickte er ein Video über einen WhatsApp-Newsletter an rund 200 Menschen.

Auch im Amt sollen die sozialen Medien ein zentrales Element seiner Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sein. Zum Start hat er einen regelmäßigen Wochenrückblick in Videoform etabliert. Also ein klassisches Politikerformat. „Aber ehrlicherweise glaubt ja keiner, dass irgendein 17- oder 18-Jähriger sich die Minute anschaut“, räumt Doğan ein. Deshalb will er neue Konzepte ausprobieren, um auch diejenigen anzusprechen, die sich normalerweise nicht für die Arbeit der Kreisverwaltung interessieren. „Ein bisschen spielerischer, ein bisschen bunter“ soll die Ansprache werden, kündigt er an.

Mit neuen Formen der analogen Kommunikation experimentiert Doğan ebenso. Sprechstunden will er nicht nur im Büro anbieten, sondern aktiv auf die Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises zugehen. „Auf einen Kaffee mit dem Landrat“ heißt die Aktion. ­Alle drei Wochen wird er sich in ein Café setzen – reihum in allen elf Kommunen seines Landkreises. Wer möchte, kann sich dazusetzen und wird auf ein Getränk eingeladen. Die Menschen sollen nicht das Gefühl haben, er lasse sich nur vor Wahlen blicken.

„Ich bin nicht die da oben”, sagt Dogan

Doğan mag den direkten Draht zu den Bürgerinnen und Bürgern. Auch deshalb hat es ihn in die Kommunalpolitik gezogen. Hier müsse man vor Ort für seine Entscheidungen geradestehen, unterstreicht der SPD-Politiker. Von den Menschen, die ihn ansprechen, wolle er nicht als „Die da oben“ wahrgenommen werden, sondern als „Einer von euch“. Wenn man leide, leide man gemeinsam. „Und wenn wir Erfolg haben, haben wir gemeinsam Erfolg.“

Ursprünglich wollte Ali Doğan Strafverteidiger werden, sich für faire Verfahren einsetzen. Doch dann arbeitete er nach dem 2. Staatsexamen sechs Jahre lang im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Zeitweise war er persönlicher Referent der Integrations-Staatssekretärin Zülfiye Kaykin.

Auf kommunaler Ebene sammelte er Erfahrungen als Kreistagsmitglied in Herford und Stadtratsmitglied in Königswinter, bevor er im Jahr 2017 Dezernent der Stadt Sankt Augustin wurde. Während der Corona-Pandemie und zu Beginn des Ukraine-Krieges leitete er den Krisenstab der Stadt. „Ich bin jemand, der gerne Entscheidungen trifft“, sagt Doğan über sich. In der Krise sei das besonders wichtig gewesen.

Aktiv für die Jugend und für die Alevitische Gemeinde

Sein Engagement beschränkte sich nicht auf Parteipolitik. Für seine Aktivitäten in der Jugendverbandsarbeit erhielt er 2010 den Deutschen Engagementpreis von der Bundesfamilienministerin. Diese Zeit prägte ihn, weil er sich für junge Menschen mit Migrationshintergrund starkmachte und wahrnahm, dass ganze Bevölkerungsschichten abgehängt waren.

Von 2012 bis 2015 waren Doğan Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. In dieser Funktion nahm er 2013 an der Deutschen Islamkonferenz teil. Danach gefragt, welche Rolle Religion für ihn als Mensch und Politiker spielt, antwortet er: „Für mich ist der Hintergrund eines Menschen irrelevant, wenn er sich mit unserem Grundgesetz solidarisiert.”

Die religiösen Strukturen in Deutschland seien aber wichtig. „Die Kirchen, der Zentralrat der Juden und die ­migrantischen Religionsgemeinschaften haben einen enormen Beitrag geleistet, damit die Aufnahme und Integration der Menschen gelingen konnte und damit der Zusammenhalt der Gesellschaft weiter funktioniert hat.“

Noch einmal auf landes- oder bundespolitischer Ebene aktiv zu werden, kann sich Ali Doğan zumindest für die kommenden acht Jahre nicht vorstellen. So lange dauert seine Amtszeit als Landrat. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern ist er gerade von Sankt Augustin nach Minden umgezogen. Weggehen würde er nur, wenn man ihm den Cheftrainerposten bei den New Yorck Knicks anbietet, scherzt der Basketball-Fan.

weiterführender Artikel