Buchrezension „Wahltag”

Eine lehrreiche Wahlniederlage

Carl-Friedrich Höck12. September 2017
Anke Knopp hat ein Buch über ihre Bürgermeister-Kandidatur geschrieben. Den Wahlkampf hat sie mit digitalen Mitteln geführt, als unabhängige Bewerberin. Heraus kamen eine Niederlage – und viele neue Erkenntnisse.

Es war eine Art Selbstversuch: Die Politikwissenschaftlerin und Bloggerin Anke Knopp hat für die Bürgermeisterwahl in Gütersloh 2015 kandidiert. Einer Partei gehörte sie nicht an, aber sie ärgerte sich über den schleppenden Breitbandausbau oder die aus ihrer Sicht mangelhafte Bürgerbeteiligung. Und sie wollte die digitale Transformation ihrer Stadt vorantreiben.

Achterbahn der Gefühle

Cover „Wahltag”
Cover „Wahltag. Wie ich kandidierte, einen digitalen Wahlkampf führte und verlor."

Auch den Wahlkampf führte sie mit digitalen Mitteln – wenn die anderen Bewerber Plakate klebten, produzierte sie einen Youtube-Clip oder schrieb neue Blogbeiträge. Als „Achterbahn der Gefühle“ beschreibt sie die neun Monate ihrer Kandidatur. Ende standen eine deutliche Wahlniederlage und viele neue Erfahrungen.

Die hat Anke Knopp nun in einem Buch zusammengefasst. Aus 238 Seiten schildert sie ihren Wahlkampf und reflektiert Teilerfolge und die Gründe ihres Scheiterns. Gegenüber den Parteikandidaten fühlte sie sich als Einzelbewerberin benachteiligt – der Aufwand einer Kandidatur sei sowohl organisatorisch als auch personell ohne eine Partei im Rücken schwerer zu stemmen. Überhaupt kann die Autorin mit den Strukturen und Mechanismen der Parteien offenbar wenig anfangen. Daran kann man sich stoßen. (Gerade, indem Parteien die politische Willensbildung organisieren und strukturieren, erfüllen sie eine wichtige Funktion für die Demokratie – auch wenn manch ein Querdenker dadurch zunächst ausgebremst wird.) Aber wer sich auf das Buch einlässt, liest einen unterhaltsamen Erfahrungsbericht und gewinnt neue Perspektiven.

Die Politik war komplexer als gedacht

Den Rahmen um ihre Erzählung spannen fünf Fragen. „Ist Einmischen empfehlenswert?“, lautet eine von ihnen. Die Antwort: Ja, denn die Kommunalpolitik brauche Impulse aus dem außerparlamentarischen Raum, um festgefahrene Strukturen aufzubrechen. Und: „Der Respekt davor steigt, wie komplex Politik in einer Parteiendemokratie ist.“

„Hat jemand ohne Parteibindung eine Chance?“, fragt Anke Knopp weiter. Und resümiert: „Nur eine winzige“. Man könne aber Themen setzen, die später noch Wirkung zeigen – auch wenn der Kandidat, der sie zuerst auf das Tapet gebracht hat, dann bereits vergessen ist.

Digitale Kommunikation professionalisiert sich

Spannend lesen sich Knopps Erkenntnisse zu ihrem Kernthema Digitalisierung. Digitale Medien seien ein scharfes Schwert, urteilt die Autorin. „Über kurz oder lang werden sie traditionelle Wahlkämpfe komplett verändern.“ Die politische Kommunikation werde sich noch mehr individualisieren. Überraschend erwartet Knopp, dass sich die Chancen politischer Quereinsteiger aufgrund der Sozialen Medien nicht verbessern, sondern sogar verschlechtern werden. Denn die digitale Kommunikation, etwa über soziale Netzwerke, werde sich weiter professionalisieren. Eine gute Organisation und Vernetzung würden dann noch stärker über Sieg oder Niederlage entscheiden als bisher.

Auch die Anforderungen an Bürgermeister verändern sich mit der Digitalisierung, glaubt Knopp. Zum Beispiel, weil künstliche Intelligenz in die Rathäuser Einzug halten und wiederkehrende Verwaltungsabläufe übernehmen könnte. Vielleicht würden in Zukunft gar nicht mehr so viele Rathäuser benötigt wie bisher. „Wird dann vielleicht ein Chief Digital Officer (CDO) viel wichtiger als ein Bürgermeister?“, fragt Knopp. Und mutmaßt, dass die Funktion des Bürgermeisters in Zeiten der Digitalisierung nicht überleben werde.

Enger Blickwinkel

Möglicherweise, könnte man antworten, beschreibt gerade diese Aussage einen der Gründe, warum Knopp am Wahlabend chancenlos war: Weil sie mit einem sehr engen Blickwinkel auf die Politik schaut. Weil sie gar nicht begriffen hat, wie vielfältig die Funktionen und Aufgaben des Bürgermeisteramtes sind – so wie sie auch die Parteien nur als verkrustete Apparate betrachtet und damit unterschätzt. Möglicherweise ist ihr Buch aber auch eine Warnung an die Kommunalpolitik, die zur rechten Zeit kommt. Nämlich diese: Wer sich auf die Digitalisierung nicht einstellt und sie mitgestaltet, wird in Zukunft keine Rolle mehr spielen.

 

Anke Knopp: „Wahltag. Wie ich kandidierte, einen digitalen Wahlkampf führte und verlor.”
Wochenschau-Verlag, 2017, 238 Seiten, 16,90 Euro. ISBN: 978-3-7344-0483-2