Ukraine

Leipziger Städtepartnerschaft: „Wir haben tagtäglich Kontakt nach Kiew“

Das Höhlenkloster in Kiew, eines der Wahrzeichen der ukrainischen Hauptstadt und UNESCO-Weltkulturerbe
Seit 60 Jahren unterhält Leipzig eine intensive Städtepartnerschaft mit Kiew – auch jetzt während des Krieges. Wie die Messestadt hilft und warum kommunale Partnerschaften viel erreichen können, berichtet Gabriele Goldfuß, Leiterin des Referates Internationale Zusammenarbeit.

DEMO: Leipzig pflegt seit 60 Jahren eine traditionsreiche Städtepartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Kiew. Haben Sie zurzeit Kontakt mit dem Partner?

Gabriele Goldfuß: Bis zum Einmarsch der russischen Armee hatten wir permanenten Kontakt mit allen Ebenen. Jetzt stehe ich persönlich vor allem mit dem Büro von Oberbürgermeister Vitali Klitschko in Verbindung, besonders über WhatsApp. Auch mit Mitarbeitern der Verwaltung, engen Kooperationspartnern, Krankenhäusern haben wir tagtäglich Kontakt. Unsere Hilfslieferungen koordinieren wir mit und über unsere Partnerstadt Krakau, wohin wir unsere Materialien, Medikamente, Zelte und was immer gebraucht wird liefern. Von dort aus lassen wir es nach Kiew weitertransportieren. Der Leipziger Stadtrat hat für diese Hilfslieferungen eine Summe von drei Millionen Euro beschlossen. Insgesamt stellt der Stadtrat neun Millionen zur Verfügung: Für die Unterbringung der Geflüchteten, Ankommenszentrum, Beratungsdienste, psychosoziale Betreuung und weitere Aufgaben.

Ist der Kontakt während der Krise noch einmal enger geworden?

Ich denke, ja. Der Krieg dauert im Grunde schon sieben Jahre an. Unsere Partner vor Ort fragten: Warum sieht das keiner? Warum interessiert sich keiner für uns? Warum ist es so schwer, überhaupt Aufmerksamkeit für die Ukraine zu bekommen?

Gabriele Goldfuß während eines Ukraine-Benefizkonzert in der Leipziger Thomaskirche

Aus mitteleuropäischer Perspektive wurde die Ukraine als Land wahrgenommen, das irgendwo weit im Osten Europas liegt und wirtschaftlich nicht besonders interessant sei. Manche haben sich immer ein bisschen gewundert, warum wir in Leipzig dieses besondere Interesse an der Ukraine haben. Wir haben ja auch noch eine Kooperation mit Lwiw (Lemberg) und haben immer deutlich gemacht: Die Stadt ist von Leipzig nicht weit entfernt und zwischen beiden Regionen besteht seit Jahrhunderten eine wichtige Verbindung.

Auch Kiew war für uns deshalb von besonderem Interesse. Die Menschen dieser Stadt haben sich seit der Unabhängigkeit mit verschiedenen Aufständen für die Demokratie eingesetzt. Leipzig ist die „Stadt der Friedlichen Revolution“ und wir möchten diese Entwicklung nicht nur beobachten, sondern auch unterstützen.

Können Sie dazu ein konkretes Beispiel nennen?

Während des Maidan-Aufstandes standen wir ununterbrochen mit den Partnern vor Ort im Austausch. Als nicht mehr geschossen wurde, es aber noch rauchte, ist unser Oberbürgermeister sofort mit einer Delegation – bestehend aus Stadträten, Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerbewegung, Verwaltung und Presse – hingefahren. Da waren alle unsere regionalen Medien dabei und haben vor Ort von der Lage berichtet. Wir haben auch ein Hilfsprojekt aufgesetzt, gemeinsam mit der Evangelischen Kirche. Damit wurden Trauma-Opfer unterstützt, die in der Maidan-Revolution geschädigt worden sind.

Wo liegen die Schwerpunkte der aktuellen Partnerschaftsprojekte?

Wenn der Krieg vorbei ist und wir mit Kiew in einem freien, demokratischen und souveränen Land weiterarbeiten können, werden wir uns zunächst den notwendigen Wiederaufbaumaßnahmen widmen und all dem, was dann vordringlich von den Partnern gebraucht wird.

Bis zum Einmarsch gab es verschiedene Schwerpunkte, die ich kurz erläutern möchte: In der Stadtverwaltung ging es um die Themen Stadtentwicklung und Stadtplanung. Wie kann ich eine Stadt in Richtung einer bürgernahen, nachhaltigen Kommune entwickeln, die auch demokratisch und transparent funktioniert? Das ist ein Wunsch, den auch der Bürgermeister Klitschko unbedingt teilt. Er ist der Meinung, dass beispielsweise das Thema Bürgerhaushalt ganz wesentlich ist – die Bürger also ein Mitspracherecht beim Verteilen der Gelder haben sollten und diese nicht in dunklen Kanälen versickern dürfen.

Ein weiterer Schwerpunkt war Mobilität. Wir haben mehrere Workshops veranstaltet zu den Themen nachhaltige Mobilität, Ausbau von Fußverkehr, von Fahrradverkehr, von öffentlichem Nahverkehr.

Auch schon vor dem jetzigen Krieg haben wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Hilfslieferungen organisiert. Das waren zum Beispiel medizinische Geräte oder Krankenbetten, die von Leipziger Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aus der Funktion genommen wurden, aber noch in sehr gutem Zustand sind. So etwas haben wir gesammelt und es regelmäßig in die Ukraine geschafft zu den Krankenhäusern und Aufnahmestätten, in denen vor allem Menschen ankamen, die vor den kriegerischen Zuständen in der Ostukraine geflohen sind.

In Kunst und Kultur bestehen engste Verbindungen und auch jetzt im Krieg haben sich Leipziger Kulturschaffende sofort zusammengeschlossen, um zu unterstützen, über eine Telegram-Gruppe zu kommunizieren, geflüchtete Künstler aufzunehmen, durch Spenden Kulturschaffende und Institutionen in Kiew zu unterstützen wie Museen, Orchester etc.

Neben der kriegerischen Situation gab es in den vergangenen Jahren auch noch die Corona-Pandemie. Erschwert sie die Zusammenarbeit zusätzlich?

Ja. Sie hat uns in den vergangenen Jahren eingeschränkt. Es war ein ständiges On und Off, je nach Lage und gesetzlichen Möglichkeiten. Einige Projekte mussten wir absagen, zum Beispiel im Dezember den Besuch von Künstlerinnen und Künstlern aus Kiew. Es ist einfach das Brot- und Buttergeschäft von „Urban Diplomacy“, dass wir Verbindungen schaffen, damit Menschen sich kennenlernen auf den unterschiedlichen Ebenen und so mehr Nähe schaffen. Das haben wir auch während der Pandemie aufrechterhalten – mit Besuchen, aber auch über soziale Medien und digital.

Es gibt fast 30 deutsch-ukrainische Städtepartnerschaften. Der Deutsche Städtetag hat kürzlich appelliert, dass die Mitgliedsstädte ihre Kontakte noch weiter stärken sollten.

Die „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ in Bonn unterstützt deutsche und ukrainische Kommunen seit Jahren, fördert Zusammenarbeit und Austausch. Auch seit Beginn des Krieges jetzt haben wir uns in dieser Zusammensetzung schon digital getroffen. Am 15. März gab es eine Zusammenkunft von Städten, organisiert von Gdansk, an der auch z. B. der stellvertretende Bürgermeister von Mariupol teilgenommen hat. Die Bürgermeister haben ein Manifest verfasst. Wir lassen diese Kontakte nicht abreißen.

Sie sprechen von „Urban Diplomacy“. Welchen Einfluss können Städte tatsächlich nehmen, wenn es um Themen wie Frieden oder Demokratie geht?

In dieser Krise wird deutlicher denn je, was Kommunen auch international und über die jahrelang gewachsenen nachhaltigen Beziehungen leisten können. Man kennt sich und die jeweilige Partnerstadt sehr gut und vertraut sich. Bürgermeister und Oberbürgermeister sind außerdem sehr wichtige Player in der Politik. Natürlich ist der Deutsche Städtetag auch ein öffentlichkeitswirksames Instrument. Resolutionen und Pressemitteilungen des Städtetages werden in aller Regel breiter wahrgenommen, als wenn jede Stadt für sich alleine etwas macht.

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben zudem ihre Funktionen in Aufsichtsräten. Viele Bürgermeister pflegen einen sehr engen Draht zum jeweiligen Ministerpräsidenten oder zur Ministerpräsidentin. Die können sich dem nicht entziehen, was ihre Zugpferde – also die Kommunen in den jeweiligen Ländern – wollen. Mit dem Auswärtigen Amt in Berlin sind wir natürlich alle in engster Abstimmung. Die politischen Stiftungen sind Teil unserer Netzwerke. Die Deutsche Botschaft in Kiew ist einer unserer Top-Kooperationspartner, was die Ukraine betrifft.

Die Städte haben also durch ihre Netzwerke durchaus Einfluss auf die höheren Ebenen?

Am Entscheidungsprozess wird man nicht offiziell beteiligt, aber man wird gehört und weiß Bescheid, was auf diplomatischer Ebene vor sich geht. Die Ministerien wissen sehr genau, dass wir enge und nachhaltige Drähte in andere Länder haben. Ein Botschafter geht nach drei Jahren wieder, aber ein Oberbürgermeister bleibt oft länger im Amt und die Netzwerke in den jeweiligen Orten wachsen über Jahrzehnte. Das ist unser großes Plus: Die Beziehungen sind langfristig und reichen quer durch die Gesellschaft, vom Oberbürgermeister bis in die kleinste NGO.

Was wünschen sich die ukrainischen Partner jetzt am meisten von den Deutschen?

Natürlich Solidarität. Und wir sollen verstehen, dass sie ein unabhängiger Staat sind, der ein Recht auf eine eigene Entwicklung hat. Die Ukraine ist eben kein Unfall der Geschichte und es ist auch kein Land, das eigentlich noch irgendwie zu Russland gehört.

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