Mobilität in den Kommunen

Warum Mannheim und Karlsruhe zur Fahrradstadt werden

Harald Sawatzki11. Februar 2016
Das Fahrrad hat in Mannheim eine lange Geschichte.
Das Fahrrad hat in Mannheim eine lange Geschichte.
Nordbadens große Städte setzt konsequent auf Verkehrsberuhigung: Mannheim und Karlsruhe stärken das Verkehrsmittel Fahrrad mit umfangreichen Spezialprogrammen – vielleicht auch als innerstädtische Alternative zum SUV.

Ehe es womöglich in Vergessenheit gerät, muss dringend an ein schreckliches Jubiläum erinnert werden: Zur Jahresmitte 1816, also vor 200 Jahren, durchlebten Teile der Welt ein „Jahr ohne Sommer“. In Nordamerika fiel an der Ostküste im Juni Schnee. In Europa verdunkelten schwere Regenwolken über Wochen und wohl auch Monate den Himmel zwischen Skandinavien und Spanien. Der Sommer fiel komplett aus.

Was war geschehen? Im Jahr zuvor war in Indonesien auf der Insel Sumbawa der  Vulkan Tambora mit unvorstellbarer Wucht ausgebrochen. Über 40 Kilometer hoch schleuderte der Berg etwa 160 Kubikkilometer schwefelhaltigen Aschestaubes in die Atmosphäre. Die Sonne durchdrang den Wolkenschleier kaum mehr. Missernten und Hungersnöte stellten sich ein. Die Postkutschen als Transportmittel fielen immer wieder aus, da Hafer als Pferdefutter zur Mangelware geworden war.

Die 200-jährige Fahrradgeschichte begann in Mannheim

Die Notlage im Transportwesen brachte den erfinderischen Freiherrn Karl Friedrich von Drais in Mannheim auf eine Idee: Er tüftelte an seinem Laufrad, der Draisine als einer schnellen Konkurrenz zur Postkutsche. Drais startete schließlich im Juni 1817 zu seiner Jungferntour aus der Mannheimer Innenstadt in ein benachbartes Dörfchen, das damals zu Schwetzingen, heute zu Mannheim gehört. An der Poststation „Relaishaus“ machte er auf seinem Holzrad kehrt und schaffte die 15-Kilometer-Distanz hin und zurück in weniger als einer Stunde. Der Beweis für die Effektivität des Laufrads als Alternative zur Pferdekutsche war erbracht.

Und somit steht im Sommer 2017 ein weiteres, dann aber erfreuliches Jubiläum an: 200 Jahre Fahrradgeschichte gilt es zu feiern. Das wird Mannheim tun, bereitet sich schon jetzt darauf vor und hat – als Reverenz an den Herrn Drais – inzwischen ein umfangreiches „21-Punkte-Programm für mehr Radverkehr“ ins Rollen gebracht. Wenn man so will, ist es auch die Antwort der Stadt und der Region auf die überdimensionierten „sportiven“ Familienkarossen, die als SUVs die Straßen verstopfen und die Atemluft mit jeder Menge Feinstaub belasten.

Auf dem Weg zur Fahrradstadt

Unter den zahlreichen Einzelinitiativen, aus denen sich dieses Programm zusammensetzt (zum Beispiel der Ausbau neuer Radwege, die Öffnung von Einbahnstraßen für Radler, mehr Stellplätze für die „Drahtesel“), sticht das öffentliche Mietrad besonders hervor. In der Metropolregion mit den Städten Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen entstehen nach und nach über 60 Stationen, an denen hunderte von Rädern gegen geringes Entgelt zu leihen sind. Dieses Projekt „Nextbike“ finanzieren die Kommunen – auch über die Verkehrsbetriebe VRN – gemeinsam mit 1,25 Millionen Euro über fünf Jahre. Das Ziel für Mannheim: Hier soll bis 2020 der Anteil des Rades an allen in der Stadt zurückgelegten Wegen auf 25 Prozent gesteigert werden.

Diese Marke deckt sich in etwa mit den Karlsruher Plänen. Dort wird im aktuellen Verkehrsentwicklungsplan (VEP) im Sinne einer „nachhaltigen Verkehrsentwicklung“ bis 2015 ein  Weg-Anteil von 20 Prozent angepeilt, der bis 2020 auf 30 Prozent erhöht werden soll. Der Karlsruher VEP passierte Ende 2012 den Gemeinderat einstimmig. Er ist aus 120 Einzelmaßnahmen zusammengesetzt, die in acht „Bausteinen“ verpackt sind. Neben den Zielmarken für den Radverkehr weist er Entsprechendes auch für den so genannten Fuß-, für den öffentlichen Personennah- und den Wirtschaftsverkehr aus. Bereits seit 2006 existiert in Karlsruhe die City-Rad-Route, auf der Radler die Innenstadt je nach Wunsch zügig erreichen oder nervenschonend durchqueren können.

„Festjahr ums Rad“ blickt in die Zukunft des Fahrrads

Während Karlsruhe die Akzeptanz des Rades als innerstädtischem Fortbewegungsmittel mit einem 20-Punkte-Programm weiter steigern möchte, haben Mannheims Verkehrsplaner vor geraumer Zeit – auch in Kooperation mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) – das bereits erwähnte „21-Punkte-Programm“ aufgelegt. Es enthält unter anderem Aussagen über die anzustrebenden Anteile des Radverkehrs, ebenso Vorschläge zum Ausbau der verschiedensten Infrastrukturen und Hinweise darauf, wie der Finanzbedarf für die Realisierung der ehrgeizigen Verkehrsentwicklung gedeckt werden könnte.

Die Verkehrsplaner in beiden nordbadischen Städten treten, wie ihre Programme vermuten lassen, kräftig in die Pedale, damit sie 2017 längs des Oberrheins zukunftsfroh in das  „Festjahr ums Rad“  gemeinsam und mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg rollen können. Wobei anzumerken wäre, dass es beiden Städten weniger um einen historischen Rückblick, als vielmehr darum geht, „die aktuelle und zukünftige Bedeutung des Fahrrades in seiner ganzen Vielfalt“ zu beleuchten.