Teilhabe in einer alternden Gesellschaft

Wie Mecklenburg-Vorpommern auf demografische Veränderungen reagieren muss

Harald Lachmann15. September 2016
Ältere Menschen mit Krückstock. Mecklenburg-Vorpommern vergreist zusehends.
Zu welchen Maßnahmen der Bericht „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ der Schweriner Landespolitik rät. Eine Enquete-Kommission hat unter der Leitung von Jörg Heydorn (SPD) über vier Jahre die Probleme erfasst und Lösungen für eine bessere Teilhabe älterer Menschen erarbeitet. Auch engagierte Bürger treten auf den Plan.

Mecklenburg-Vorpommern vergreist zusehends. Lag der Altersdurchschnitt 1990 noch bei rund 36 Jahren, sind es heute bereits rund 48 Jahre – und laut Prognosen 2030 sogar 51 Jahre. Schon jetzt ist jeder vierte der 1,6 Millionen Einwohner älter als 65. Das trifft vor allem ländliche Regionen, in denen es weder Universitäten noch ausreichend Industrie gibt.  Dass das Land in „besonders rasanter Weise von den Auswirkungen der demografisch bedingten Veränderungen betroffen“ ist, räumt auch der Schweriner Landtagsabgeordnete Jörg Heydorn (SPD) ein. So erarbeitete unter seiner Leitung eine Enquete-Kommission in vierjähriger Arbeit den Bericht „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“, den er kürzlich im Landtag vorstellte.

Ältere Menschen sind schlecht versorgt

Zu den konkreten Maßnahmen, die hierin der Landespolitik geraten werden, gehören bedarfsgerechtere Weiterbildungsangebote in den Kommunen, eine Entbürokratisierung kleinerer bürgerschaftlicher Projekte, eine bessere medizinische Versorgung – sowie zusätzliche Mobilitätsangebote. Denn der Bericht rügt, dass wegen eines stark reduzierten Busnetzes die Versorgung älterer Menschen in Dörfern und Randlagen „teilweise nicht mehr gegeben“ sei.
 
Es gibt bereits jetzt Projekte, mit denen engagierte Bürger diesen Problemen punktuell zu Leibe. So macht im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ein Bürgerbus von sich reden, der einzig durch private Initiative rollt. Träger ist der Verein Törpiner Forum, benannt nach einer 700-Seelen-Gemeinde. Gegründet und geleitet von dem Chemiker und Balneologen Prof. Dr. Dr. Helmut G. Pratzel, profiliert er sich schon seit zehn Jahren mit innovativen Projekten zur Förderung der Jugend- und Altenhilfe. Er betreibt in Törpin ein Vereinshaus mit Bibliothek, Interneträumen und Festsaal und agiert zudem als Zentrum eines Bundesprojektes zur Schulung von Senioren im Umgang mit altengerechten Assistenzsystemen für ein selbstbestimmtes Wohnen.     

Törpiner Forum startet eigenen Bürgerbus 

Schon vor vier Jahren startete das Törpiner Forum überdies als eine „weitere Säule im Nahverkehr“, wie Pratzel es nennt, einen eigenen Bürgerbus. Der rollt inzwischen 20 000 Kilometer im Jahr, kostet den Verein dabei rund 6000 Euro und spielt zugleich 12 000 Euro ein: „Vor allem über Spenden und Unkostenbeiträge“, so der Vereinschef. Neben Senioren, die so zum Arzt, in den Supermarkt oder auch zu Abendveranstaltungen gelangen, steht der inzwischen 21 Jahre Kleinbus T4 maßgeblich auch Schulkindern zur Verfügung.
 
Pratzel sieht dieses Angebot, für das die Nutzer 34 Cent pro Kilometer zahlen, weder in Konkurrenz zu den kommunalen und gewerblichen Trägern, noch wäre man damit „im laufenden Betrieb auf Zuschüsse angewiesen“. Am Steuer sitzen zumeist Bundesfreiwillige, die der Verein auch für andere Tätigkeiten angestellt hat und die er mit dem üblichen monatlichen Taschengeld alimentiert.

Gesellschaftliche Teilhabe vieler Älterer ist beeinträchtigt

Und nun schoben die Törpiner, ermutigt durch diesen Erfolg, ein noch größeres Projekt an: einen Bürgerbus Demminer Land. Denn längst macht man in der gesamten Region eine zunehmend „unbefriedigendere Basisversorgung älterer Menschen“ aus. Aber auch die gesellschaftliche Teilhabe vieler der 7800 Einwohner im Umland von Demmin sei bereits „erheblich beeinträchtigt“, so Pratzel.
 
Um jedoch nicht ins Blaue hinein zu planen, erfolgte zunächst eine Evaluierungsphase, in der an 3800 Haushalte im Amtsbereich Fragebögen gingen. Denn der ÖPNV – ganz gleich, ob kommunal oder privat betrieben – verfüge ja über „keine eigenen Bedarfszahlen“, moniert Pratzel: „Er weiß nur, wer an der Haltestelle steht, nicht aber, wer dort gern stehen würde oder könnte...“ Derzeit werte man nun die Antworten aus, wobei er einräumt, dass eine Rücklaufquote um neun Prozent – von denen nur die Hälfte verwertbar sei – noch nicht wirklich aussagekräftig wäre. Dennoch checken die Vereinsmitglieder nun bereits die Ergebnisse mit den Bürgermeistern im Amtsbereich und setzen sich mit Wissenschaftlern der Uni Rostock sowie Verkehrs-, Senioren- und Behindertenexperten zusammen, um eine reale Umsetzung des Projektes auszuloten. Indes ist der Professor sicher: „Spontane Mobilitätsbedarfe kann die Bürgergesellschaft letztlich nur in eigener Regie lösen.“