Vorsitzender der Bundes-SGK

Michael Ebling: „Der Doppelwumms hilft auch den Kommunen”

Carl-Friedrich Höck06. Oktober 2022
Michael Ebling ist Oberbürgermeister von Mainz, Vorsitzender der Bundes-SGK und VKU-Vorsitzender
Im Interview erklärt der Bundes-SGK-Vorsitzende Michael Ebling, warum die Kommunen in Schwierigkeiten geraten, wenn Bürger*innen ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können. Bei der Gaspreisbremse wirbt er für einen einfachen Mechanismus – den perfekten Weg werde es nicht geben.

DEMO: Kanzler Scholz verspricht einen „Doppelwumms“ gegen hohe Energiekosten: Mit 200 Milliarden Euro will die Ampel-Koalition einen Abwehrschirm spannen. Was bedeutet das Paket für die Kommunen und ihre Stadtwerke?

Michael Ebling: Das ist ein echter Wumms und hilft auch den Kommunen. Wir sorgen uns, dass die Menschen in den Städten und Gemeinden sich Gas und Strom nicht mehr leisten können. Es ist wichtig, dass sie jetzt die Ansage bekommen: „Auch wenn die Preise exorbitant steigen, kommt nicht alles bei dir an.“ Bundeskanzler Scholz hat versprochen: „You´ll never walk alone“. Das wird jetzt mit einem konkreten Paket unterlegt, das mit 200 Milliarden Euro ausgestattet wird und eine Preisbremse für Strom und Gas vorsieht.

Diese Zusage ist auch für die kommunalen Unternehmen wichtig. Die kommunalen Energieversorger mussten befürchten, dass viele Kundinnen und Kunden ihre Rechnungen nicht werden bezahlen können. Die Versorger kennen Zahlungsausfälle in einer Größenordnung von einem Prozent. Und sie haben schon befürchtet, dass es jetzt 10 bis 15 Prozent sein werden. Zahlungsausfälle in dieser Dimension können für Unternehmen schnell zu einer sehr ernsten Situation führen. Dank des angekündigten „Doppelwumms“ ist diese Sorge nicht mehr so groß wie vorher.

Wie die Gaspreisbremse konkret aussehen kann, wird noch in einer Kommission diskutiert. Haben Sie einen Vorschlag?

Ich werbe für einen Mechanismus, der unkompliziert und auch für die Unternehmen praktizierbar ist. Die Menschen, um die es geht, brauchen die Sicherheit, dass die Unterstützung auch bei ihnen ankommt.

Die Kommunen und ihre Unternehmen können den Bedarf nicht – wie manche glauben – individuell und auf die Person genau berechnen. Wir wissen nicht, ob in den Haushalten ein oder zwei Personen wohnen. Wir wissen auch nicht, ob besondere familiäre Situationen Besonderes erfordern. Ob zum Beispiel jemand seinen pflegebedürftigen Angehörigen aufgenommen hat – der kann dann nicht mehr Energie sparen, sonst friert der Angehörige. Es gibt so viele Konstellationen, dass es schwierig wird, für alle den perfekten Weg zu finden. Deshalb wird es den auch nicht geben. Am Ende muss man mit einer Art von Pauschalierung leben. Auch, wenn das dazu führt, das Menschen die Entlastung bekommen, über die man gerne sagt: Die brauchen das doch gar nicht. Trotzdem plädiere ich für einen einfachen Weg. Gerade nach dem Murks mit der Gasumlage ist das wichtig.

Trotz der Entlastungspakete sorgen sich viele Bürgerinnen und Bürger, ob sie sich die gestiegenen Preise für Energie und Lebenshaltungskosten noch leisten können. Was können Kommunen jetzt tun, um Solidarität und Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken?

Sie können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein Beispiel aus der Praxis: Wir haben in Mainz 2.100 Geflüchtete aus der Ukraine. An ihrem Beispiel wird vor Ort konkret deutlich, wie notwendig unmittelbare Solidarität ist. Putins Angriff richtet sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen unserer Werteorientierung, unsere Demokratie, Freiheit und unser Kulturleben. Die Gaspreisentwicklung, die ja auch den Strompreis beeinflusst, ist kein Zufall und kein Naturereignis, sondern durch die Verknappung und den Stopp von Gaslieferungen eine bewusste strategische Entscheidung Russlands. Putin will Unsicherheit erzeugen, damit unsere Gesellschaft den Kitt verliert. Wir Kommunalen müssen diesen Zusammenhang den Bürgerinnen und Bürgern erklären und deutlich machen, dass wir in einer solchen Situation nicht dem russischen Drehbuch folgen sollten. Wir dürfen uns also gerade nicht auseinanderdividieren lassen, sondern müssen zusammenstehen. Dazu gehört auch zu erklären, warum Energiesparen jetzt notwendig ist. Das kann man zum Beispiel mit Informationskampagnen begleiten. Am Ende braucht es eine kraftvolle Antwort von uns als Gesellschaft, um nicht nach Putins Pfeife zu tanzen.

Momentan wird diskutiert, wie ein Nachfolger für das 9-Euro-Ticket aussehen könnte. Sie haben kürzlich gewarnt: Wenn die Daseinsvorsorge in Deutschland ins Schlingern kommt, brauchen wir über Fahrpreise nicht reden, weil dann keine Busse und Bahnen mehr fahren. Setzen wir in der Debatte die falschen Schwerpunkte?

Manchmal werden die Zusammenhänge übersehen. Der Öffentliche Nahverkehr wird im Lokalen und oft auch Regionalen über den Querverbund finanziert. Das bedeutet, dass ein kommunales Energieversorgungsunternehmen mit seinen Gewinnen in der Lage ist, ein Verkehrsunternehmen mitzufinanzieren, das Minus macht. Die ÖPNV-Betriebe können sich aufgrund der zu erbringenden Leistung wirtschaftlich oft nicht selbst tragen. Die Querfinanzierung ist in fast allen Städten die gängige Lösung, teilweise auch in ländlichen Räumen.

Im Moment kommen Stadtwerke aber in eine Art Sandwich-Position: Einerseits befürchten sie erhebliche Ausfälle, weil die Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen können, da die Preise so hoch sind. Auf der anderen Seite müssen die Stadtwerke für die Beschaffung von Strom und Gas am Markt aber ein Vielfaches von dem bezahlen, was bisher üblich war – teilweise reden wir über den Faktor 10. Dann kann das Stadtwerk und letztlich die Daseinsvorsorge schnell ins Wanken kommen. Deshalb brauchen wir einen Schutzschirm für die Stadtwerke, um ihre Liquidität abzusichern.

Und ich bin immer wieder überrascht, dass man diese Zusammenhänge den politischen Entscheiderinnen und Entscheidern so drastisch erklären muss. Oma Erna, die mir beim Gassigehen mit ihrem Dackel begegnet, muss nicht unbedingt wissen, wie sich der Preis im ÖPNV zusammensetzt. Aber im Bundeswirtschaftsministerium sollte man schon sehen, wenn die Stadtwerke auf ein ernsthaftes Problem zusteuern. Wir sprechen davon, dass mittelgroße Stadtwerke über Nacht ein Zehnfaches an Millionenbeträgen mobilisieren müssen, um ihre Leistung aufrechtzuerhalten. Das kann nicht jedes Unternehmen und auch nicht jeder kommunale Eigentümer leisten.

Alleine aus der Ukraine sind in diesem Jahr eine Million Menschen zu uns gekommen. Trotzdem ist das Thema in den Medien kaum präsent. Wie meistern die Kommunen die Aufnahme und Integration bisher und wo liegen die größten Herausforderungen?

Es stimmt: Das Thema ist auch noch da und sehr aktuell. Wir haben nicht nur den erhöhten Zuzug von Ukrainerinnen und Ukrainern. Die Flüchtlingszahlen steigen insgesamt wieder in Deutschland. Und die Kommunen wollen vor Ort Schutz geben.

Bei den Menschen aus der Ukraine haben wir eine große Ungewissheit: Wie wirkt sich der Krieg kurzfristig noch auf Fluchtbewegungen aus? Wir kommen in eine Jahreszeit, in der es bitterkalt wird, auch das kann Fluchtbewegungen freisetzen. Und wir haben jenseits der Ukraine wieder steigende Zahlen von Menschen, die über die bekannten Routen in Deutschland Schutz suchen. Die Kommunen sind jetzt dabei, die bestehenden Kapazitäten zu erweitern. Sie suchen auf dem Markt nach Möglichkeiten, einfache Wohnungen anzumieten oder kleinere Pensionen dauerhaft zu belegen, oder bestehende Einrichtungen in Leichtbauweise zu erweitern und aufzustocken. Das bindet einen erheblichen Einsatz an Mitteln. Und es ist schwieriger geworden. Der Markt für Unterkünfte in Leichtbauweise ist abgegrast. Leider kann ich nicht ausschließen, dass wir ab und zu auch wieder Turnhallen belegen müssen – in Mainz ist das bereits so. Das will niemand, weder die Geflüchteten noch die Kommunen. Aber es nimmt zu, weil es kaum noch andere Möglichkeiten vor Ort gibt.

Zur Person

Michael Ebling, geboren 1967, ist seit 2012 Oberbürgermeister von Mainz. Auf Bundesebene gilt er als starke Stimme für kommunale Belange. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender der „Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland”, kurz Bundes-SGK. Außerdem ist Ebling Präsident des „Verbandes kommunaler Unternehmen” (VKU). Dieser vertritt die Interessen der kommunalen Versorgungs- und Entsorgungswirtschaft.

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