Politische Teilhabe

Milieustudie: Auch Migranten wollen beteiligt werden

Carl-Friedrich Höck06. März 2019
Eine Bürgerin betritt ein Abstimmungslokal (hier in Berlin).
Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Migranten möchte in die Entwicklung des eigenen Wohnviertels einbezogen werden. Das zeigt eine neue Studie über Migrantenmilieus. Doch es gibt Hürden.

Der „vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung“ hat in einer Studie untersuchen lassen, wie Migranten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen über die Gesellschaft denken. Die Untersuchung basiert auf dem Konzept der sogenannten Sinus-Milieus: Die Sozialwissenschaft unterteilt die Bevölkerung in Gruppen mit ähnlichen Lebenswelten und Ansichten. Also beispielsweise in Hedonisten (erlebnisorientierte moderne Unterschicht), bürgerliche Mitte (leistungs- und anpassungsbereiter Mainstream) oder Performer (zielstrebige, global denkende und technikaffine Zukunftsoptimisten mit gehobenen Stil- und Konsumansprüchen).

Wissen über Milieus soll Kommunen helfen

„Das neue Milieuwissen kann uns in vielen Handlungsfeldern der Gesellschafts-, Integrations und Stadtentwicklungspolitik weiterbringen“, glauben die Autoren der Studie („vhw-Migrantenmilieu-Survey 2018“). Sie haben unter anderem eine repräsentative Umfrage unter rund 2.000 Menschen mit Migrationshintergrund durchgeführt. Befragt wurden nur Menschen mit geklärtem Aufenthaltsstatus.

Zum Beispiel ging es um die Frage, wie Kommunen die politische Teilhabe der Bürger gewährleisten können. 60 Prozent der Migranten gaben an, sie fänden es wichtig, in Entscheidungen über die Entwicklung ihres Wohnviertels einbezogen zu werden. Und 45 Prozent wollen sich ehrenamtlich für ein gutes Zusammenleben im Wohnviertel einsetzen.

Gebildete Milieus beteiligen sich mehr

Dabei offenbarte sich bei den Migranten dieselbe Schieflage, die viele Kommunalpolitiker auch aus den übrigen Bevölkerungsteilen kennen: Es beteiligen sich vor allem gut gebildete, einkommensstarke Bürger an politischen Prozessen. In der Sprache der Forscher: „Während fast doppelt so viele Personen aus dem kosmopolitisch-intellektuellen Milieu an Bürgerversammlungen teilnehmen oder in Bürgerinitiativen mitwirken als im Mittel aller Befragten, sind es im Prekären Milieu, bei Konsum-Hedonisten oder den Religiös-Verwurzelten nur sehr wenige.“ Die Autoren sehen hier Verbesserungsbedarf. Einige Milieus blieben aus unterschiedlichen Gründen der kommunalen Bürgerbeteiligung fern, obwohl das Interesse an Mitwirkung prinzipiell hoch sei.

Migrantenmilieu-Survey 2018
Cover der Studie Migrantenmilieu-Survey 2018

Überraschend ist, dass Migranten sich nicht häufiger von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen fühlen als andere Bürger. Das legt ein Vergleich mit einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2015 nahe, in der die Gesamtbevölkerung in den Blick genommen wurde. Die Autoren schreiben über die Unterschiede: „So bemängeln nur 24 Prozent der Migranten (gegenüber 35 Prozent der Gesamtbevölkerung) das Fehlen von Informationen darüber, wo und wie man sich beteiligen kann.“ 42 Prozent der befragten Migranten seien der Ansicht, es gebe „kein Interesse“ an ihren persönlichen Anliegen – in der Gesamtbevölkerung dächten das 48 Prozent. Und nur 20 Prozent der Migranten glaubten, sie seien „nicht willkommen“. Auch hier liegt der Wert in der Gesamtbevölkerung mit 28 Prozent deutlich darüber. Allerdings gaben auch 20 Prozent der Migranten an, sie fänden Bürgerbeteiligung zwar wichtig, hätten aber Probleme mit der Sprache.

Das Spektrum an Lebensentwürfen wird größer

Das Migrantenmilieu-Survey hat auch zu den Lebensentwürfen der Migranten zahlreiche Erkenntnisse geliefert. Einige Kernaussagen der Forscher:

  • „Die große Mehrheit betrachtet sich als völlig selbstverständlichen Teil der Gesellschaft – kulturell möchte sie aber so bleiben, wie sie war und ist.“
  • „Das Spektrum von Lebensentwürfen, Welt und Gesellschaftsbildern hat sich in den letzten zehn Jahren verbreitert.“
  • Bei der Kritik an Parteien, gesellschaftlichen Zuständen oder Medien unterscheidet Migranten wenig von der Gesamtgesellschaft. Unterschiede bestehen aber bei Rollen- und Familienbildern sowie Moralvorstellungen.
  • Gesellschaftliche „Abwendungs- und Resignationstendenzen“ sehen die Forscher als Folge von wachsender sozialer Ungleichheit sowie Ausgrenzungen an. Vor allem das „religiös-verwurzelte Milieu“ habe sich in homogene Nachbarschaften oder Quartiere zurückgezogen. Abwehrreaktionen seien aber auch im „prekären Milieu“ zu beobachten.
  • „Ein vor zehn Jahren eher seltenes Muster zeichnet sich deutlicher ab: die Verbindung von selbstbewusstem Aufstiegswillen und gleichzeitigem Festhalten an Herkunft und Traditionen.“

Das Forschungsprojekt ist noch nicht abgeschlossen. Nach einer qualitativen und einer repräsentativen Befragung von Migranten folgte eine dritte Projektphase. Ziel war die „mikrogeografische Übertragung der Milieudaten in den Raum als Grundlage für die operative Nutzung in den Kommunen“. Über die Ergebnisse soll gesondert berichtet werden, kündigen die Autoren der Studie an.

 

Mehr zur Studie
vhw.de

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