Marzahn-Hellersdorf

Wie eine mutmaßliche Reichsbürgerin sich bei der SPD vorstellte

Carl-Friedrich Höck09. Dezember 2022
Birgit Malsack-Winkemann während ihrer Zeit als Abgeordnete. Screenshot: Deutscher Bundestag Parlamentsfernsehen
Wegen Terrorverdachts sitzt Birgit Malsack-Winkemann in Haft. Vor einem Jahr wollte sie noch Ordnungsamt-Stadträtin eines Berliner Bezirks werden. SPD-Fraktionschef Günther Krug erinnert sich an eine merkwürdige Begegnung.

Die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann wurde am Mittwoch verhaftet: Sie steht unter Terrorverdacht und soll mit anderen sogenannten Reichsbürger*innen einen Umsturz geplant haben (tagesschau.de). Vor einem Jahr wollte die AfD sie zur Ordnungs-Stadträtin im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf machen. Günther Krug, SPD-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), erzählt, wie er sie erlebt hat.

DEMO: Wie kam es, dass sich Birgit Malsack-Winkemann in der SPD-Fraktion vorgestellt hat?

Günther Krug ist SPD-Fraktionsvorsitzender in der BVV Berlin Marzahn-Hellersdorf. Foto: SPD-Fraktion MaHe

Günther Krug: Am 4. November 2021 stand eine Sondersitzung der BVV an, auf der wir unser Bezirksamt wählen wollten. Vorher haben die Fraktionen getagt. Dort haben sich die Kandidatinnen und Kandidaten der verschiedenen Parteien vorgestellt. Das machen wir immer so. Die AfD hatte es aber versäumt, mit uns einen Termin abzusprechen. Frau Malsack-Winkemann saß dann ganz einsam im Foyer und wusste gar nicht, wie das alles abläuft. Ich sagte: Kommen Sie doch mit in unseren Fraktionsraum, dann setzen wir uns zusammen und wir stellen Ihnen unsere Fragen.

Dazu muss man wissen: In Berlin entscheidet das Wahlergebnis darüber, welche Fraktion wie viele Stadträt*innen – also Dezernent*innen – ins Bezirksamt entsenden kann. Wie war die Ausgangslage in Marzahn-Hellersdorf?

Die SPD hat bei der Wahl mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommen und konnte dank Koaliton und Zählgemeinschaft den Bezirksbürgbermeister und eine Stadträtin stellen, zwei Stadtratsposten gingen an die CDU. Die Linke stellt eine Stadträtin und ein Sitz im Bezirksamt wurde der AfD zugesprochen.

Die AfD hat Birgit Malsack-Winkemann als Ordnungsamt-Stadträtin vorgeschlagen. Wie haben Sie sie im Gespräch erlebt und was hat sie erzählt?

Das war eine ganz merkwürdige Begegnung. Es war Pandemie, wir saßen alle mit Masken da. Sie kam ohne an. Also haben wir sie gefragt, wie sie zu dem Thema steht. Sie meinte, die Maskenpflicht erkenne sie nicht an. Wir haben eine junge Ärztin bei uns, die hat sie dann natürlich etwas schärfer befragt. Ansonsten hat Frau Malsack-Winkemann erst einmal erzählt, wie wichtig sie im Bundestag gewesen sei und dass sie gut mit Statistiken umgehen könne.

Ich wollte aber wissen: „Wie stehen Sie zur AfD, insbesondere zu den Rechtsextremen um Björn Höcke und Andreas Kalbitz?“ Sie behauptete, dass sie  mit denen nicht überein komme. „Ich will Sacharbeit machen“, sagte sie. Wir haben deshalb nachgehakt, warum sie überhaupt in der AfD ist. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, aber sinngemäß antwortete sie: Sie glaube an das Gute im Menschen und dass alles veränderbar sei. Wir sollten den Eindruck gewinnen, dass sie mit den Rechtsextremen nichts zu tun habe.

Wir haben sie eine halbe Stunde lang befragt. Dann habe ich sie herausbegleitet. Sie hat sich bedankt und sagte, das Gespräch sei offen und interessant gewesen.

Warum wurde sie nicht ins Amt gewählt?

Weil sie letztendlich gar nicht angetreten ist. Vielleicht hat sie eine bessere Vorstellung davon bekommen, dass wir mit  Allgemeinplätzen nicht abzuspeisen sind. Dabei war es eine sachliche Atmosphäre, ich habe ihr auch einen Kaffee angeboten. Als dann aber die Wahl des Bezirksamtes in der BVV anstand, kam kurzfristig die Information: Die AfD hat gar keine Kandidatin mehr. Das war alles unprofessionell und merkwürdig.

Wie geht die SPD im Bezirk grundsätzlich mit dem Anspruch der AfD auf einen Stadtratsposten um?

Die AfD hat später mit Dr. Michael Adam einen anderen Kandidaten aufgestellt. Ich habe in einer Rede in der BVV  klargestellt: Wir bestreiten nicht das Recht von gewählten Parteien, entsprechend ihrem Wahlergebnis Vorschläge für das Bezirksamt und die Ausschüsse zu machen und diese Posten auch durch Wahlen zu besetzen. Aber: Die vorgeschlagenen  Personen müssen  auch das Vertrauen einer Mehrheit in  der BVV haben. Jede*r  gewählte Verordnete hat das Recht, selbst zu entscheiden, wer gewählt werden sollte.

Die AfD wollte Herrn Dr. Adam zum ersten Mal am 18. November 2021 mit Dringlichkeit aufbieten, das  gelang nicht. Im Dezember stellte er sich dann mit  einem termingemäßen Antrag zur Wahl. Die BVV war und ist aber mit großer Mehrheit der Überzeugung, dass er nicht der Richtige ist. Trotzdem versucht die AfD  immer wieder, ihn wählen zu lassen. Auch die jüngste Entscheidung der BVV im November 2022 war wieder ein klares Nein der Mehrheit der Bezirksverordneten.

Es ist übrigens nicht so, dass die BVV generell keine AfD-Mitglieder in Ämter wählt. Die AfD hat den Vorsitz im Ausschuss für Eingaben und Rechnungslegung und ist auch im Vorstand von zwei weiteren Ausschüssen vertreten. Auch eine Bürgerdeputierte, die Verordnete in der vergangenen Wahlperiode war, wurde bestätigt.

Was haben Sie gedacht, als sie erfahren haben, dass Malsack-Winkemann unter Terrorverdacht steht und verhaftet wurde?

Dass es so erschreckend, beunruhigend und unberechenbar ist. Es belastet mich und meine Fraktion sehr. Uns hat Frau Malsack-Winkemann damals nicht überzeugt, weil ihre Antworten nicht glaubwürdig waren und sie offensichtlich auch keine Erfahrung mit kommunalpolitischer Arbeit hatte. Als Stadträtin muss man Ämter leiten können und die Situation vor Ort kennen.

Ich lese gerade ein Buch über den Populismus rechter Parteien. Da geht es darum, welche Auswirkungen es auf Menschen hat, wenn sie ständig mit Halbwahrheiten, Lügen und Hass konfrontiert werden. Das Beispiel der mutmaßlichen Terror-Gruppe zeigt, wohin das führt. Für uns heißt das: Augen und Ohren auf! Noch konsequenter und im breiten Bündnis mit allen demokratischen Kräften gegen rechte Kräfte, rechte  Netzwerke und deren auf den unterschiedlichsten Ebenen wirkenden Propagandisten anzugehen, Flagge zu zeigen. In Berlin müssen die Wahlen des letzten Jahres nun im Februar 2023  wiederholt werden. Wie wir jetzt sehen: Es geht wirklich um sehr viel, es geht um unsere Demokratie. Die ungeheuerlichen Aktivitäten der ehemaligen AfD-Kandidatin Malsack-Winkemann mahnen uns alle, die großen Gefahren nicht zu unterschätzen.

Ist Malsack-Winkemann ein Einzelfall oder hat die SPD mit anderen AfD-Leuten in Marzahn-Hellersdorf ähnliche Erfahrungen gemacht?

Das kann kein Einzelfall sein, das Bild von der sichtbaren Spitze eines gefährlichen Eisbergs ist da besser. Denn auch in der BVV selbst melden sich die AfD-Mitglieder in den Debatten weniger zu Wort. Aber man bekommt ja mit, wie ihre Kampagnen funktionieren: Sie versuchen  immer wieder, uns als undemokratisch hinzustellen und sich als Verfechter der Demokratie zu inszenieren. Wenn man sich diese Gedankengebäude der AfD anschaut, das auch das ständige Gerede von einer angeblichen Lügenpresse einschließt, dann sieht man klar: Frau Malsack-Winkemann ist kein Einzelfall, sie ist das sichtbare Ergebnis einer gefährlichen Radikalisierung am rechten Rand.

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