Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stoppt Erweiterungspläne

Nachbarkommunen weisen Einkaufszentrum in Schranken

Uwe Roth25. Juli 2022
Einkaufszentren galten als Garant für Konsumfreude. Nun stehen sie in der Kritik. In Baden-Württemberg hat der Verwaltungsgerichtshof die Erweiterung einer Mall in Ludwigsburg gestoppt. In Unna wurde im Juli trotz Kritik das Einkaufscenter „Neue Mühle“ eröffnet.

In der Fußgängerzone der nordrhein-westfälischen Stadt Unna (59.000 Einwohner) leidet der Einzelhandel unter einem wachsenden Leerstand. So berichten es die lokalen Medien. Ende Juli wird eine C&A-Filiale schließen. Eine bekannte Schuh- sowie eine Parfümerie-Kette haben sich bereits zurückgezogen. Der schleichende Rückzug bekannter Filialisten aus dem Präsenzhandel in deutschen Städten hat Investoren nicht davon abgehalten, für 25 Millionen Euro eine ehemalige Großmühle in ein innerstädtisches Einkaufszentrum umwandeln zu lassen.

Am 7. Juli war Eröffnung. Statt des erhofften Elektronikmarkts ist auf 1200 Quadratmetern ein Fitnesscenter eingezogen. In der Kommunalpolitik machte sich Ernüchterung breit: SPD-Ratsmitglied Ralph Bürger, der das Projekt anfänglich voll unterstützt hat, bekennt sich inzwischen „zu gewissen Bauchschmerzen“, wie auf dem Onlineportal rundblick-unna.de zu lesen steht. „Wir haben bereits 16 Fitnesscenter in Unna, da habe ich doch gelinde Zweifel…“

In Stuttgart werden Einkaufsflächen einer Mall zu Büros

Die Eröffnungszeremonie in Unna dürfte eine der letzten für eine Shoppingmall in Deutschland gewesen sein. Das Konzept, viele Geschäfte unter einem Dach mit ein paar bekannten Namen als Ankermieter, galt und gilt zum Teil immer noch als ein Bollwerk gegen den zunehmenden Onlinehandel. Doch die Erwartung erfüllt sich zunehmende weniger. In Stuttgart sind im vergangenen Jahrzehnt gleich zwei Malls der Superlative entstanden. In beiden kam es sehr bald zu auffälligen Ladenschließungen. In einem der beiden wandelten die Betreiber aus der Not heraus die Ladenflächen in Büroräume um. Aktuell entsteht ein Hotel.

Gegner solcher Einkaufszentren fühlen sich bestätigt. In der Stadt Ludwigsburg (Baden-Württemberg) ist das Breuningerland bereits 50 Jahre alt. Die Einkaufsmöglichkeit (einstmals auf der grünen Wiese) ist nie frei von Kritik geblieben. Argwöhnisch beobachtete die Kommunalpolitik nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in den umliegenden Städten und Gemeinden über die Jahre hinweg die Entwicklung der Besucherfrequenz in dem Komplex mit 120 Läden und 3000 kostenlosen Parkplätzen. Denn, so die permanente Befürchtung, wer zum Breuningerland hinausfährt, kauft nicht in der Innenstadt ein.

Verwaltungsgericht rügt fehlende Beschränkung des Sortiments

Die jüngsten Erweiterungspläne des Betreibers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gestoppt. Von der Stadt Ludwigsburg waren diese abgesegnet gewesen, nachdem sie sich mit dem Eigner darauf verständigt hatte, auf der Erweiterungsfläche nur Gastronomie und Dienstleistungen zuzulassen. Untersagt war der klassische Einzelhandel, der in Konkurrenz zu den Innenstädten stehen könnte. Dennoch klagten zwei Städte in der Nachbarschaft, die keinen so starken Einzelhandel haben, wie dies in Ludwigsburg (93.000 Einwohner) noch der Fall ist. Bietigheim-Bissingen (43.000 Einwohner) sei nicht ausreichend in die Planungen einbezogen gewesen, lautete die Klagebegründung von Oberbürgermeister Jürgen Kessing (SPD). Und die Verwaltungsrichter gaben seinen Argumenten recht. Der Bebauungsplan ist für ungültig erklärt worden.

In der Begründung zum Urteil vom 5. Juli heißt es, die Stadt Ludwigsburg habe es versäumt, „im Bebauungsplan Sortimentsbeschränkungen festzusetzen“. Daher könne nicht ausgeschlossen werden, dass „die Nachbarkommunen in ihren Rechten verletzt sein könnten“. Dem VGH erscheint es als möglich, „dass durch den (weiteren) Kaufkraftabfluss ihre zentralen Versorgungsbereiche in Mitleidenschaft gerieten“. Zusammenfassend machte das Gericht der Stadt Ludwigsburg zum Vorwurf, den Bebauungsplan ausschließlich nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet zu haben, obwohl die Nachbarkommunen sogar stärker von den geplanten Veränderungen betroffen gewesen wären als die eigene Innenstadt. Das gelte auch für den Verkehrsfluss zum Einkaufszentrum.

Nachbarkommunen wollen bei der Erweiterung mitbestimmen

Die siegreichen Städte wollen nun mit ihrer Kreisstadt neu verhandeln. OB Kessing stellt klar: „Eine Erweiterung des Breuningerlands wird weiterhin sehr kritisch gesehen. Jede Attraktivitätssteigerung, die dazu führt, die Aufenthaltsdauer im Breuningerland zu erhöhen, geht zu Lasten der Nachbarkommunen.“ Aus seiner Sicht sind Beschränkungen des Sortiments „für zentren- und nahversorgungsrelevante Sortimente festzulegen“. Mit Hilfe eines Gutachtens könnte ermittelt werden, welche Sortimente und Flächengrößen verträglich seien, „um negative Auswirkungen auf die Zentren der Nachbarkommen zu vermeiden“. Geplante Erweiterungen in den Bereichen Dienstleistung und Gastronomie sollten nur in geringem Umfang möglich sein.

Urteilsbegründung des VGH Baden-Württemberg

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