Interview mit Torsten Ruban-Zeh

OB von Hoyerswerda: „Man muss seine Vergangenheit akzeptieren”

Carl-Friedrich Höck05. November 2021
Torsten Ruban-Zeh, Oberbürgermeister von Hoyerswerda
Im September 1991 erschütterten rassistische Ausschreitungen in Hoyerswerda die Republik. 30 Jahre später ist die Stadt für den sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. OB Ruban-Zeh erklärt, wie Hoyerswerda eine Trendwende gelungen ist.

DEMO: Was verbinden Sie persönlich mit den Ausschreitungen vom September 1991?

Torsten Ruban-Zeh: Ich bin selbst erst im Jahr 2000 nach Hoyerswerda gekommen. 1991 habe ich in Halle an der Saale gelebt und die Ereignisse natürlich mitbekommen. Wie viele andere Menschen hatte ich damals Probleme, wieder Fuß zu finden und habe mich beruflich neu orientiert. Die Nachrichten aus Hoyerswerda, aber auch Rostock und anderen ostdeutschen Städten haben mich erschüttert. Es war erschreckend zu sehen, zu was Menschen fähig sind, die kurz vorher noch friedlich miteinander gelebt haben.

Ich habe einige Zeit in Russland gelebt und kenne viele Probleme auch aus dem ehemaligen Vielvölkerstaat Sowjetunion. Als der auseinandergefallen ist, haben sich auch hier plötzlich Menschen bekriegt, die vorher in den Städten friedlich zusammengelebt haben. Es gab sogar Morde. Daran sieht man: Wenn das Miteinander nur funktioniert, weil es staatlich verordnet ist, wirkt das nicht auf Dauer. Irgendwann entlädt sich die Anspannung. Als schlimm habe ich auch empfunden, dass bei den Ausschreitungen in Hoyerswerda eine große Menschenmenge nur zugeschaut hat und nicht eingeschritten ist.

Das hat uns dazu bewegt, bei den Gedenkfeierlichkeiten in diesem Jahr nicht als Stadt selbst zu sprechen. Sondern wir haben die Opfer eingeladen und sie sprechen lassen. Und wir haben andere Orte miteinbezogen, die eine ähnliche Geschichte haben: Der Bürgermeister von Mölln war da, die Ausländerbeauftragten von Solingen und Rostock. Das hat eine neue Dimension geschaffen.

Wie geht Hoyerswerda mit der Erinnerung an 1991 um?

Ich vertrete die Meinung: Man muss seine Vergangenheit akzeptieren. Ich bin selbst hier auf viele Menschen getroffen, die sagen: Von den Ausschreitungen habe ich nichts mitbekommen. Das akzeptiere ich sogar – wenn jemand in einer ganz anderen Ecke der Stadt gelebt hat, ist es denkbar, dass er die Ereignisse in Neustadt nicht unmittelbar wahrgenommen hat. Aber es hat jeder wie ich Fernsehen geguckt. Und spätestens da muss man es mitbekommen haben. Das ist ein Teil der Geschichte unserer Stadt, dazu müssen wir stehen und das müssen wir verarbeiten. Wenn ich meine Geschichte verleugne, kann ich keine Zukunft gestalten.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung schreibt: „Inzwischen setzen sich Zivilgesellschaft und Stadt kritisch mit den Ereignissen auseinander.“ Was genau bedeutet das?

Schon damals gab es gleich nach den Ereignissen Reaktionen aus der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel wurde ein christliches Gymnasium, das Johanneum, gegründet. Es hat sich eine Initiative „Zivilcourage Hoyerswerda“ gebildet. Und es wurde ein Verein gegründet, der Mosambikanern geholfen hat, die zum Beispiel ausreisen mussten. Wir haben also viele zivilgesellschaftliche Prozesse erlebt. Der damalige Bürgermeister Horst-Dieter Brähmig hat das auch begleitet.

Dann hat man aber seitens der Stadtverwaltung versucht, nicht mehr über das Thema zu reden. Das ist für mich der falsche Weg. Mit meinem Amtsantritt haben wir das vollkommen geändert. Auch ich als Oberhaupt der Stadt muss dazu stehen, dass die Ausschreitungen Teil unserer Geschichte sind. Wir haben das Gespräch gesucht mit den bestehenden Gruppen. Initiativen wie „Hoyerswerda 1991“ wurden von der Stadt lange Zeit nicht wahrgenommen und die von ihnen benannten Probleme nicht gesehen. Das haben wir geändert. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber die Stadt ist entschlossen, das Kapitel unserer Geschichte gemeinsam zu bewältigen.

Im Zuge der großen Zuwanderung 2015/16 kam es in vielen Orten Deutschlands zu Solidaritätsaktionen, aber auch zu Angriffen und Anfeindungen gegen Geflüchtete und Unterkünfte. Wie haben Sie diese Zeit in Hoyerswerda erlebt?

Bei uns hat die erste Asyleinrichtung 2014 wieder eröffnet. Es hat einen langen Vorbereitungsprozess gegeben mit der Ausländerbehörde, Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die das begleiten wollten. Doch dann mussten wir feststellen, dass der Träger der Unterkunft nur ein Interesse hatte: Er wollte Geld verdienen. Er hat das Heim abgeschottet vor den Menschen, die dort helfen wollten. Das hat zu Konflikten geführt.

2015 und 2016 wurden die nächsten zwei Objekte eröffnet. Ich war damals Geschäftsführer der AWO Lausitz und habe mich kurzentschlossen mit der AWO Berlin in Verbindung gesetzt. Wir haben uns darum beworben, das Heim zu betreiben, und haben den Zuschlag bekommen. Wir haben anders gearbeitet und vom ersten Tag an hatte die „Initative Zivilcourage“ bei uns ein Büro. Ich bin wahnsinnig dankbar für die Unterstützung. Laut den Richtlinien bekommen Sie als Betreiber einen Sozialarbeiter für 100 zu betreuende Menschen. Wenn Sie da alles darauf ausrichten Gewinn zu erzielen, funktioniert das nicht. Die AWO hat mehr Mitarbeiter reingesteckt und Freiwilligendienste genutzt. Das hat zum Erfolg geführt.

Natürlich gibt es Konflikte, wenn 400 Menschen aus 23 Nationen in einer Einrichtung untergebracht sind. Ich sage immer: Sie können ja mal Fußballfans aller 18 Bundesligisten in einen Block packen und schauen was passiert. Da wäre es nicht anders. Aber man kann auf die Konflikte einwirken mit Sozialarbeit und ähnlichem. In benachbarten Kommunen wie Bautzen oder Cottbus gab es unschöne Szenen. Bei uns in Hoyerswerda hatten wir aber auch viele Erfolgserlebnisse.

Hoyerswerda will eine Stadt für alle sein, ohne Ausgrenzung und Rassismus. Was unternimmt die Stadt, um dieses Ziel umzusetzen?

Das ist unser Ziel, dazu stehen wir und daran müssen wir täglich arbeiten. Dazu gehört, schon bei ersten Anzeichen für Rassismus einzuschreiten und sich dagegenzustellen. Oder in Schulen aktiv zu sein. Wir hatten David Macau als Zeitzeugen an Schulen, ein Mosambikaner, der 1991 in Hoyerswerda gelebt hat. So etwas müssen wir fortführen, ohne dafür blind zu sein, dass solche Dinge immer wieder passieren können. Gerade in Phasen wie jetzt mit Corona, wo sich viel Unzufriedenheit und Unverständnis aufstaut.

Seit 30 Jahren wird in Hoyerswerda gestritten: Dürfen wir es Pogrom nennen, was in Hoyerswerda passiert ist? Man hat sich irgendwann auf „pogromähnliche Ausschreitungen“ geeinigt. Ich denke, wir können ruhig sagen, dass es ein Pogrom war. Das ist ein russisches Wort für laut sein, schreien, zerstören. Es kommt von der damaligen Judenverfolgung. In Deutschland ist das Wort massiv besetzt. Trotzdem: Wenn man offensiv an die Sache herangeht, hat man mehr Erfolg, eine Stadt in eine gute Richtung zu entwickeln, als wenn man nur damit beschäftigt ist zu sagen „Sag doch bitte nicht Pogrom!“.

Welche Rolle kann ein Oberbürgermeister in so einem Prozess spielen?

Als Oberbürgermeister ist man der erste Bürger der Stadt und für alle Bürgerinnen und Bürger da – auch diejenigen, die mich nicht gewählt haben. Ich bin gebürtiger Dresdener, aber ich fühle mich in Hoyerswerda wohl und möchte der Stadt etwas zurückgeben. Damit ist die Geschichte der Stadt auch meine Geschichte. Also muss ich mich damit auseinandersetzen. Als OB muss ich vorangehen, mahnen und als Erster einschreiten, wenn irgendwo ein zartes Rassismus-Pflänzchen wächst.

Die Stadt hat sich nicht selbst für den Demokratie-Preis nominiert, sondern wurde vorgeschlagen. Wissen Sie eigentlich, woher die Nominierung für Hoyerswerda kam?

Macou und Ruban-Zeh während des Gedenkwochenendes. Foto: Stadt Hoyerswerda

Nein. Ich vermute, das resultiert aus dem Gedenkwochenende, das eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Stadt stellt sich dem Problem. Ich bin mit David Macao zu dem Denkmal gegangen, das in Erinnerung an die Ausschreitungen geschaffen wurde. Wir haben uns die Hand gegeben. Als OB habe ich mich auch offiziell entschuldigt für das, was passiert ist. Das hatte bisher niemand getan. Seitdem bekomme ich viele Zuschriften, auch von Mosambikanern, die sich dafür bedanken. Daran sieht man: Es ist den Mosambikanern, die damals in der Stadt lebten und heute in Mosambik sind, sehr wichtig gewesen, dass ein Repräsentant der Stadt auch mal sagt: Was damals passiert ist war nicht in Ordnung.

Hunderte Menschen beteiligten sich zwischen dem 17. und dem 23. September 1991 in Hoyerswerda an rassistisch motivierten Ausschreitungen. Dabei wurden die Bewohnerinnen und Bewohner eines Vertragsarbeiterwohnheims und einer Unterkunft für Geflüchtete angegriffen. Mehr Informationen gibt es hier.

Torsten Ruban-Zeh (SPD) ist seit November 2020 Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Hoyerswerda. Im September 2021 erinnerten die Stadt und Initiativen mit einem Gedenkwochenende an die Ereignisse vor 30 Jahren. Die Kommune wurde wegen ihres Einsatzes gegen Ausgrenzung und Rassismus für den sächsischen Demokratie-Förderpreis nominiert.

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