Corona-Pandemie

Wie Obdachlose an die Booster-Impfung kommen

Carl-Friedrich Höck23. November 2021
Obdachloser in Berlin: Mit Beginn der kalten Jahreszeit steigt auch für wohnungslose Menschen die Ansteckungsgefahr.
An Obdachlose wurde häufig der Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson verabreicht. Der schützt aber nur eingeschränkt gegen das Delta-Virus, die Stiko hält eine zweite Impfung für notwendig.

„Wir bleiben zuhause“ – dieser Spruch war während der bisherigen Corona-Wellen häufiger zu hören. Er soll ausdrücken, dass man Kontakte reduziert, um sich und andere vor einer Ansteckung zu schützen. Obdachlose Menschen können nicht zuhause bleiben. Umso wichtiger ist es, dass sie gegen Covid-19 geimpft werden.

Impfaktion an Tagesaufenthaltsstätte

Anschreiben kann man sie nicht. Eine Impfkampagne für Menschen ohne festen Wohnsitz ist daher eine besondere Herausforderung. In vielen Kommunen haben die Verantwortlichen das Thema im Blick. Die Hamburger Sozialbehörde teilt auf Anfrage mit: Seit Mitte des Jahres biete man eine Impfaktion gezielt für obdachlose Menschen an, „die wir im Rahmen unseres umfassenden Hilfesystems auf dieses Angebot aufmerksam machen.“ Es finde in einer Tagesaufenthaltsstätte statt, in der den obdachlosen Menschen zugleich eine warme Mahlzeit, Beratungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten angeboten würden.

Dabei kam das Vakzin Janssen der Firma Johnson & Johnson zum Einsatz. „Wir haben den J&J-Impfstoff, der anfangs nur sehr begrenzt verfügbar war, gezielt für die Versorgung obdachloser Menschen eingesetzt, weil es sich dabei um eine sehr mobile Klientel handelt, bei der wir davon ausgehen mussten, dass sie möglicherweise den Termin für eine Zweitimpfung aus individuellen Gründen nicht wahrnehmen würde“, schreibt die Hamburger Sozialbehörde der DEMO. Auch in Berlin wurden bereits im Frühjahr tausende Impfdosen von Johnson & Johnson für Obdachlose bereitgestellt, wie die Senatsverwaltung damals mitteilte. Für die Impfungen wurden mobile Teams eingesetzt, die an Orten der Wohnungslosenhilfe im Einsatz waren.

Einmal-Impfung reicht gegen Delta oft nicht aus

Doch mit dem Impfstoff gibt es ein Problem: Die Wirksamkeit gegen die Delta-Variante des Virus ist niedriger als bei anderen Vakzinen. Die Zulassung basierte noch auf Studien, laut denen das Janssen-Vakzin die Wahrscheinlichkeit, an Corona zu erkranken, um 65 Prozent senkte. Schwere Verläufe konnten sogar zu fast 100 Prozent verhindert werden. Mit der Delta-Variante des Coronavirus ist diese Wahrscheinlichkeit auf 70 Prozent gesunken. Einen so starken Effekt hat die Delta-Variante auf andere Impfstoffe nicht. Auch die Zahl der Impfdurchbrüche sei bei Johnson & Johnson höher als bei anderen Vakzinen, informiert das Robert-Koch-Institut auf seiner Internetseite. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allen, die mit dem Vakzin Janssen geimpft wurden, sich bereits nach vier Wochen eine zusätzliche mRNA-Impfstoffdosis verabreichen zu lassen.

Die Hamburger Sozialbehörde will eine solche „Optimierungsimpfung“ nun gezielt anbieten. Dabei geht sie nach demselben Muster vor wie bei den Erstimpfungen für Obdachlose. Die Behörde nimmt an, dass der Großteil der Menschen damit erneut erreicht werden kann, weil viele von ihnen das Hilfesystem der Stadt wiederkehrend aufsuchen und die Impfaktion ununterbrochen stets Mittwochs zur gleichen Zeit stattfinde. Auch im Rahmen des Winternotprogramms, im Zuge dessen mehr als 1.000 zusätzliche Übernachtungsmöglichkeiten angeboten würden, mache man gezielt auf das Impfangebot aufmerksam. „Dort sind außerdem umfangreiche Hygienekonzepte und reguläre, tägliche Tests vorgesehen“, so die Sozialbehörde.

Corona-Pandemie: „So da wie schlechtes Wetter”

Patricia Holland-Moritz kennt den Alltag obdachloser Menschen. Sie arbeitet ehrenamtlich in einem Tagestreff für Wohnungslose und Bedürftige in Berlin-Lichtenberg. Im Haus gibt es einen Allgemeinarzt, bei dem sich die Gäste auf Wunsch testen lassen können und der die Wohnungs- und Obdachlosen auch über die mobilen Impfangebote informiert. Bisher habe es im Haus keinen Corona-Fall gegeben, der andere in Mitleidenschaft gezogen habe, berichtet Holland-Moritz. Der Großteil der Besucher*innen des Tagestreffs sei geimpft, schätzt sie. Und die allermeisten hätten ein Handy, mit dem sie ihre Impfung bei Bedarf auch nachweisen könnten – selbst wenn sie vielleicht keinen Impfpass bei sich tragen.

Auch wenn sie eher selten in Bars oder Kinos gehen, erfahren Obdachlose die Infektionsschutz-Maßnahmen am eigenen Leib. Zu den Aufgaben von Holland-Moritz gehört es zu kontrollieren, dass sich nicht zu viele Menschen auf einmal im Speisesaal des Tagestreffs aufhalten. Normalerweise bleiben viele Gäste nach dem Essen noch ein paar Stunden, um sich warm zu halten. Nun sollen sie möglichst bald weiterziehen, weil draußen schon die Nächsten in der Kälte warten. In der Regel werden die Corona-Regeln von den Besucher*innen auch akzeptiert. „Da wird nicht gemeckert, da wird nicht diskutiert – das ist so da wie schlechtes Wetter“, beschreibt es Holland-Moritz. Gleichzeitig sei die Pandemie aber auch kein zentraler Bestandteil ihrer Lebenswelt: „Sie haben buchstäblich andere Sorgen.“

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