Rechte Demonstrationen

Oberbürgermeister Hauschild: Den Rechten zeigen, wer in Köthen zu Hause ist

Kai Doering14. September 2018
Der Köthener Oberbürgermeister Bernd Hauschild
Vor einer Woche starb in Köthen ein Mann nach einer Auseinandersetzung auf einem Spielplatz. Rechte Kreise mobilisierten daraufhin für einen „Trauermarsch“. Dass Köthen nicht zu einem zweiten Chemnitz wurde, lag vor allem an Oberbürgermeister Bernd Hauschild (SPD). Im Interview erklärt er sein Vorgehen.
Nach dem Tod eines 22-Jährigen und einer anschließenden Neonazi-Demo steht Köthen seit dem vergangenen Wochenende bundesweit im Fokus. Sie sind sehr für Ihre Umsicht gelobt worden, die „ein zweites Chemnitz“ verhindert hätte. Was haben Sie gemacht?

Sonntag Vormittag wollte ich gerade anfangen am Haus zu mauern als ich eine WhatsApp-Nachricht einer Stadträtin bekam. Darin war die Botschaft eines Rechten, der zu einer Demo in Köthen aufrief, weil Ausländer jemanden umgebracht hätten. Daraufhin habe ich den Zementsack zur Seite gestellt, mich auf mein Fahrrad gesetzt und bin zum Polizeirevier gefahren. Dort hat mir der Leiter des Reviers erklärt, dass in der Nacht auf einem Spielplatz ein Mann gestorben ist. Bei einem Telefonat mit dem Landrat haben wir entschieden, um 13 Uhr am Ort des Geschehens Blumen niederzulegen. Auch den Pfarrer und einige Kommunalpolitiker – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – habe ich angerufen und gebeten, mit dabei zu sein. Mir war wichtig, gleich einen breiten Schulterschluss hinzubekommen.

Wieviele Menschen sind Ihrem Aufruf gefolgt?

Trotz der kurzen Zeit standen wir mit etwa 60 Personen um 13 Uhr am Ort des Geschehens. Wir haben gemeinsam Blumen niedergelegt und der Pfarrer hat ein Gebet gesprochen. Als alle schon wieder gehen wollten, haben der Pfarrer und ich die Anwesenden für 16 Uhr zu einem Friedensgebet in die Jakobskirche eingeladen. Das hatten wir uns vorher so überlegt.

Zu der Zeit ging der Aufruf zur Neonazi-Demo bereits durchs Internet. War das gar kein Thema?

Doch. Ich habe das beim Blumenniederlegen auch direkt angesprochen und die Anwesenden für halb drei zu einem Gespräch ins Rathaus eingeladen, um gemeinsam zu beraten, wie wir darauf reagieren. Zu dem Treffen kamen dann auch 30 bis 35 Leute und wir haben ganz offen diskutiert, wie wir mit dem rechten Aufmarsch umgehen sollen. Es war ein guter Durchschnitt der Köthener Bevölkerung vertreten und so gab es ganz unterschiedliche Meinungen. Am Ende sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es das Beste ist, nichts zu machen.

Das müssen Sie erklären.

Letztlich ging es um die Frage, ob wir Menschen in Gefahr bringen wollen oder nicht. Während des Gesprächs hatte ich einen Anruf von der Polizei bekommen, die mir mitteilte, dass die Rechten, die nach Köthen kommen wollten, zum gewaltbereiten Spektrum gehören. Deshalb haben wir entschieden, nur um 16 Uhr das Friedensgebet zu veranstalten und danach nach Hause zu gehen. Wir sind aber mit der Vereinbarung auseinandergegangen, uns um 21 Uhr wieder im Rathaus zu treffen, um den Tag auszuwerten und das weitere Vorgehen zu beraten.

 Und dazwischen ist nichts passiert?

Doch, natürlich. Nach dem Treffen habe ich in verschiedenen Köthener Facebook-Gruppen darum gebeten, sich nicht an der Demo der Rechten zu beteiligen. Leider haben das etliche falsch aufgefasst und so verstanden, als wollte ich ihnen den Mund verbieten. Darum ging es natürlich gar nicht. Leider hatte ich bei meinen Posts nicht klar genug gemacht, warum ich diese Bitte hatte: Ich hatte einfach Angst, dass meinen Köthenern etwas passiert. Später habe ich das auch noch klargestellt.

Wie ging es dann um 21 Uhr weiter?

Um 21 Uhr war das Rathaus proppenvoll. Zu Anfang habe ich einen kurzen Lagebericht gegeben, damit erst gar keine Gerüchte aufkommen. Ich habe eins zu eins weitergegeben, was ich über die Vorfälle wusste, damit wir auf dieser Grundlage das weitere Vorgehen gemeinsam beraten können und ich dann die richtigen Entscheidungen treffen kann. Mir war wichtig, dass der tragische Tod des jungen Mannes nicht mit einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der großen Politik vermischt wird. Deshalb habe ich gefragt, ob es für die Anwesenden in Ordnung ist, wenn ich die Mitteilung herausgebe, dass niemand von außerhalb zum Demonstrieren nach Köthen kommen soll.

Wie war die Reaktion?

Es gab ein lautes Klopfen auf den Tischen und wir sind so auseinandergegangen.

Ist die Taktik aufgegangen?

Ja und Nein. Die AfD, die für den folgenden Montag bereits eine Demo angemeldet hatte, hat sich daran gehalten. Bei der sogenannten Köthener Montagsdemo, die ein Mann seit vielen Jahren jede Woche veranstaltet und zu der manchmal nur er selbst erscheint, waren dagegen mit einem Mal 300 bis 400 Nazis dabei.

Köthen war zu dem Zeitpunkt schon bundesweit in den Medien. Wie hat sich die Landesregierung verhalten?

Sehr positiv. Montagvormittag hat mich der Ministerpräsident angerufen und mir seine Hilfe angeboten. Ich habe ihn daraufhin zum Friedensgebet am Nachmittag eingeladen, für das er sofort zugesagt hat. Seine Botschaft war: Wenn Sie mich in Köthen brauchen, bin ich da. Allerdings war ihm wichtig, einen Medienrummel zu vermeiden. Deshalb haben wir seinen Besuch nicht angekündigt. Am Montag hat mich auch der Innenminister angerufen und gefragt, ob ich mit dem Verhalten der Polizei zufrieden bin und ob ich noch weitere Unterstützung brauche. Am Dienstag hat er sich dann auch selbst einen Eindruck vor Ort verschafft und wir haben gemeinsam mit der Polizei über das weitere Vorgehen beraten. Zu diesem Gespräch war auch der Präsident der Hochschule mit dabei, da wir ja sehr viele ausländische Studenten in Köthen haben, die möglicherweise gefährdet sein könnten.

Für Sonntag hat die rechte Gruppierung „Zukunft Heimat“ aus Cottbus zu einer erneuten Demo in Köthen aufgerufen. Wie gehen Sie damit um?

Darüber habe ich am Donnerstag mit allen Interessierten aus der Bürgerschaft gesprochen. Wir haben uns entschieden, gegen die Demo selbst nicht vorzugehen, sondern einen Tag vorher, also am Samstag, eine Aktion auf dem Marktplatz zu machen.

Entwürfe für die Friedens-Malerei auf dem Köthener Marktplatz
Entwürfe für die Friedens-Malerei auf dem Köthener Marktplatz

Wie sieht die aus?

Wir werden in Gedenken des Friedens mit Kreide auf den Köthener Marktplatz eine brennende Kerze und daneben lauter Friedenssymbole malen. Auf das Ende der Demo-Strecke werden wir Friedenstauben, das Peace-Zeichen und ähnliche Symbole malen, über die die Rechten am Sonntag dann hinweg marschieren müssen. Damit wollen wir zeigen, wer hier zuhause ist. Wir hoffen natürlich auch, dass die Medien vor allem darüber berichten werden und wir so zeigen, dass nicht der Sonntag interessant ist, sondern der Samstag.

Das klingt alles sehr harmonisch. Ist jeder in Köthen mit diesem Kurs einverstanden?

Nein, das wäre wohl auch zu viel erwartet. Die Jusos z.B. können gar nicht verstehen, dass ich mich – aus ihrer Sicht – den Nazis nicht entgegenstelle, wenn sie durch Köthen marschieren. Deshalb meinen sie, das selbst übernehmen zu müssen. Ich finde das nicht gut, kann sie aber natürlich auch nicht davon abhalten. Letztlich müssen sie das selbst verantworten.

Zusammenfassend: Könnte ihr Weg zu einem Beispiel im Umgang mit Neonazi-Demos werden, zu einer Art Köthener Modell?

Das weiß ich nicht. Ich kann nicht sagen, wie lange wir Köthener das durchhalten und ob unsere Stadt von den Rechten zu einer Art neuer Hochburg auserkoren worden ist. Aber im Moment gehen wir gemeinsam diesen Weg. Dafür bin ich den Menschen in Köthen sehr dankbar.

Der Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwaerts.de.

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