Waldwirtschaft

„Der ökologische Aspekt steht an erster Stelle“

Karin Billanitsch11. Oktober 2021
Der saarländische Umweltminister Reinhold Jost.
Die Saarländer waren vor 30 Jahren die ersten, die in Deutschland mit naturnaher Bewirtschaftung der Wälder begonnen haben. Ein klimastabiler Wald verkraftet Plagen wie den Borkenkäfer besser, so Umweltminister Reinhold Jost im DEMO-Gespräch. Sein Ministerium berät kommunale Waldbesitzer und fördert sie finanziell.

Die vergangenen Jahre haben Spuren im deutschen Wald hinterlassen. Hitze und Borkenkäferplage sind Beispiele dafür. Welche Wälder im Saarland hat es besonders getroffen?

Das ist richtig, es hat das Saarland dem Grunde nach ebenso getroffen wie andere, allerdings nicht ganz so stark. Wir haben auch Probleme mit dem Klimawandel. Mit Blick auf einzelne Baumarten hat es vor allem die Fichte getroffen, die aus unserer Sicht die große Verliererin des Klimawandels sein wird. Es gibt aber im Saarland den großen Vorteil, dass der Anteil der Fichten bundesweit gesehen am geringsten ist. Wir haben mit 75 Prozent den höchsten Laubwaldanteil aller Bundesländer. Hier sind 52 verschiedene Baumarten heimisch, das heißt, der Mix der Bäume hält dem Klimawandel besser stand. Ich sage immer etwas salopp: Wir haben die Wälder, die andere sich wünschen. 

Uns hilft dabei auch, dass 70 Prozent des Waldes in staatlicher Hand – also Kommunalwald und Landeswald – sind. Die anderen 30 Prozent, die Privaten, sind sehr stark zersplittert in mehr als 35.000 Eigentümer, mit Kleinstparzellen. Deshalb gibt es bei uns seit 30 Jahren eine sehr engagierte Privatwaldberatung, die kostenlos ist und verlässlich hilft. 

Heißt das, man kann im Saarland sozusagen die Hände in den Schoß legen? Welche Folgeschäden gibt es, und was passiert in diesen Regionen?

Im Saarland sind durch die Zusammensetzung der Wälder deutlich geringere Anteile Waldfläche als anderswo ausgefallen. Auf Bundesebene waren es zwei bis drei Prozent, die kahl gefallen sind, bei uns waren es 1,2 bis 1,3 Prozent. Wir sind dazu verpflichtet, diese Flächen wieder zu bewalden. Wir werden dort ausdrücklich die Chance nutzen, den Waldumbau weiter voranzutreiben. Was die frisch vom Borkenkäfer befallenen Bestände angeht, räumen wir die Flächen, damit er sich nicht weiter ausbreitet. Das unterstützen wir auch finanziell aus Mitteln des Bundes und des Landes. Nicht nur das Beseitigen, sondern auch das Wiederaufforsten wird gefördert. 

 Ist das mit naturnaher Waldbewirtschaftung in Einklang zu bringen?

Wir waren im Saarland vor 30 Jahren die ersten, die mit naturnaher Bewirtschaftung unserer Wälder begonnen haben, und das zahlt sich jetzt aus. Natürlich wollen wir zuallererst eine naturnahe Verjüngung, das heißt eine natürlich einsetzende Wiederbewaldung. Es gibt aber Bereiche, wo man – aufgrund von zu hohen Wildbeständen - mit Gattern geschützt eine Nachpflanzung händisch angeht. Ich bin sehr froh, dass uns im Rahmen der Waldhilfe Saarland eine ganze Reihe Privatpersonen bis hin zu Firmen finanziell oder mit Arbeitseinsätzen unterstützen. Wer will, kann sich gern engagieren.

Sie haben die Fichte als Verliererin des Klimawandels bezeichnet. Ist der Wald umso klimastabiler, umso gemischter er ist?

Wir wissen, je mehr Baumarten in der Fläche vertreten sind, desto stabiler reagiert das Ökosystem Wald. Wir haben auch Erfahrungen gemacht, nachdem in den 1990er Jahren eine Reihe von Orkanen, darunter Vivien und Wiebke, große Flächen verwüstete. Hier haben wir gesehen, dass sich eine natürliche Waldverjüngung sehr gut einstellt. Wir haben Referenzflächen im östlichen Saarland, wo damals viele Flächen kahl gefallen waren. Mittlerweile ist das ein stabiler Laub- beziehungsweise Mischwald geworden. 

Wo wir keine natürliche Verjüngung erwarten können, haben wir Vorgaben gemacht, was wir wollen und auch fördern – oder eben nicht. Es gibt dazu einen Katalog, in dem sehr viele Baumarten aufgeführt sind, dazu ein Merkblatt „Förderung von Maßnahmen zur Bewältigung der Extremwetterereignisse im Wald“. Darin fließen Erfahrungen aus Jahrzehnten ein, was geht und was nicht geht.

Ein Stück weit ist es aber auch ein Experimentieren. In der Waldwirtschaft sieht man Ergebnisse, anders als in der Landwirtschaft, nicht nach einem Jahr, sondern teilweise erst in Jahrzehnten. Da kann etwas, das 50 Jahre lang funktioniert hat, im sechzigsten Jahr schon nicht mehr funktionieren und sich als Irrtum herausstellen. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel: Die Esche war über viele Jahre ein Baum, auf den wir viele Hoffnungen gesetzt haben. Das Eschentriebsterben, das vor rund fünf Jahren im Saarland aufgetreten ist, hat uns völlig überrascht. Es ist durch einen Pilz hervorgerufen worden, der den Baum dazu bringt, seine Äste abzuwerfen. Wir mussten den gesamten Bestand entnehmen, weil die Verkehrssicherung nicht mehr gewährleistet war. 

Wie werden die Förderprogramme nachgefragt, und wie hoch ist deren finanzielles Volumen? 

Unsere Förderprogramme werden sehr gut nachgefragt. Es vergeht keine Woche, in der wirnicht an private, aber vor allem auch kommunale Waldbesitzer Zusagen, finanzielle Förderung, aber auch inhaltliche Beratung geben. Rund 600.000 Euro hatten wir als Budget. Für die reguläre GAK und das Sonderförderprogramm Extremwetter standen in 2021 1,6 MioEuro zur Verfügung; bislang wurden knapp 600.000 Euro ausgezahlt; 350.000 sind für das 1. Quartal 2022 zur Auszahlung noch auf das Haushaltsjahr 2021 bereits festgelegt. Wir haben im Saarland den besonderen Vorteil, dass – bis auf einige wenige Gemeinden –, alle Städte und Gemeinden auch Kommunalwaldbesitzer sind. Wir beraten und fördern aber ebenso Forstbetriebsgemeinschaften, also Zusammenschlüsse von Privatwaldbesitzern, sowie Gehöferschaften. Dieses Instrument stammt aus den vergangenen Jahrhunderten und ist mit einer genossenschaftlichen Vereinigung vergleichbar. 

Unsere Förderung geht über das Anpflanzen hinaus – wir fördern etwa das Entnehmen von Schadholz und auch Flächen, um beispielsweise das Schadholz zu lagern. Wir haben uns sogar mit verschiedenen Anbietern zusammengetan, um in die Vermarktung und Verwertung gemeinsam einzusteigen. 

Im Saarland gibt es als Unterstützung auch eine „mobile Waldbauernschule“. Was steckt dahinter?

Darauf sind wir besonders stolz. Das ist eine mobile Ausbildungseinheit, die sich die Themen Unfallverhütung im Wald zur Aufgabe gemacht hat, aber auch Wissensvermittlung im Umgang mit dem Forst bietet. Hier arbeiten wir mit anderen zusammen, wie dem Städte- und Gemeindetag, mit der Berufsgenossenschaft, die uns in diesem Zusammenhang auch finanziell unterstützt, sowie auch Mitarbeitern des Saarforstes. 

Gibt es weitere Aspekte – neben den richtigen Baumarten – wenn es um Resilienz gegen künftige Extremwetterereignisse geht?

Es gibt mehrere Aspekte. Wir haben zum Beispiel einen sehr hohen Totholzanteil. Seit vielen Jahren lassen wir alles bis zu zehn Zentimeter Holzdicke liegen. Das wirkt auf viele Leute „unaufgeräumt“, hat aber einen ganz wichtigen Zweck: Das Totholz speichert Wasser und gibt es sukzessive ab. Zehn Prozent der landeseigenen Waldfläche haben wir in einen Urwald oder urwaldähnlichen Zustand überführt. Das ist ein Spitzenreiterplatz in Deutschland. Wir fördern auch eine Wegeführung und Entwässerung in Versickerungsmulden, die dazu führt, dass Wasser möglichst lange im Wald bleibt und dort dem Grundwasser wieder zugeführt werden kann. Das führt automatisch zu moorähnlichen Strukturen im Saarland und sorgt dafür, dass das Waldinnenklima sich nicht weiter erhitzt. 
Ein weiteres Thema ist die Versauerung des Bodens – in den 70iger und 80iger Jahren bekannt als das Problem des sauren Regens und Waldsterbens. Die Säurebelastung baut sich in den Böden noch immer nur langsam ab. Deswegen sind wir seit vielen Jahren unterwegs und kalken unsere Wälder, wodurch sich das Bodenklima ein Stück weit verbessert. Wir merken aber auch, dass es noch viele Jahre brauchen wird, bis sich der Boden wieder erholt hat. 

Welche Rolle spielt die Holzwirtschaft?

Obwohl wir uns zum Wirtschaftswald bekennen, also Holz als Rohstoff nutzen, steht bei uns der ökologische Aspekt immer an erster Stelle. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben wir es geschafft, dass sich sowohl die Holzvorräte als auch die Fläche, auf der Wald steht, deutlich vergrößert haben: Anfang der 90iger waren es 88.000 Hektar, jetzt sind wir bei 93.000 Hektar Wald im Saarland. Die Holzvorräte pro Hektar haben wir fast verdoppelt, von 200 Vorratsfestmeter auf rund 400. Das soll dazu führen, dass auch in Zukunft Holz genutzt wird, aber deutlich weniger, als jedes Jahr nachwächst, und dass gleichzeitig das Waldinnenklima stabil bleibt. 

Welche Grundsätze wären zu einer nachhaltigen Waldnutzung angepassten Jagd zu befolgen? Was sind die Herausforderungen für eine angepasste Jagd?

Es gibt nicht DIE eine Lösung. Dort, wo es bei Pflanzungen oder in Naturverjüngungengrößere Probleme mit Verbissschäden gibt, denkt man über Wildgatter nach. Dort, wo wir feststellen, dass der Wildbestand tatsächlich zu hoch ist, redet man darüber, wie man damit umgeht. Vor einem halben Jahr haben wir einen sehr erfolgreichen Prozess angestoßen, einen runden Tisch zum „Wald-Wild-Konflikt“. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, im Rahmen seiner Verantwortlichkeiten etwas dazu beizutragen. Am Ende des Prozesses wurde uns von allen – vom Präsidenten des Jagdverbandes bis hin zum Präsidenten der Landnutzer – der Erfolg bestätigt. 
Nachdem ich 2014 ins Amt kam, habe ich erreicht, dass Jagdfriede eingekehrt ist. Unsere Jagddurchführungsverordnung wurde nicht nur von der Jägerschaft, sondern einstimmig auch vom NABU und BUND verabschiedet. Wenn mich andere fragen, wie das möglich ist, sage ich: Man redet konstruktiv miteinander, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. Wir wissen, dass es nur gemeinsam geht und dass Landnutzung nicht im Widerspruch zu Natur und Artenschutz stehen muss. 
Im Übrigen sieht man das auch an einer anderen Erfolgsgeschichte: Ökolandbau. Es gibt kein Bundesland, das einen höheren Anteil an Ökolandbau hat, als das Saarland. Wir sind jetzt bei knapp 20 Prozent. Wenn ein Land wie das Saarland, das Haushaltsnotlageland ist, in der Lage ist, so viel Geld für Wald und Ökolandbau zu aktivieren, dann gibt es auch für andere Länder, die wesentlich mehr Geld haben, keine Ausreden mehr. Deswegen ist das auch eine sozialdemokratische Erfolgsgeschichte, auf die wir stolz sind. 

Wenn Sie auf die klimatischen Veränderungen blicken, auf die wir alle uns einstellen müssen, welche Folgen hat das auf den Entwicklungsplan für den ländlichen Raum?
Die Diskussionen hinsichtlich der Frage, was kann/darf/soll man mit welchen Flächen noch anfangen, werden an Schärfe zunehmen. Wir erleben das im Saarland als eines der am dicht besiedeltsten, aber auch dicht bewaldetsten Bundesländer sehr häufig. Da geht es um die Frage, kann man Teile eines direkt an einer bebauten Fläche liegenden Waldes für eine neue Bebauung beanspruchen, für Wohnraum oder Gewerbe? Hier ist das hart geregelt: Das, was an einer Stelle an Wald entnommen wird, muss an anderer Stelle mindestens eins zu eins aufgeforstet werden. 

Diskussionen über solche Zielkonflikte gibt es auch an anderer Stelle: Jeder erwartet, dass in seinem eigenen Ort Baugrundstücke zur Verfügung stehen. Da gibt es drei Möglichkeiten: Entweder nimmt man die Flächen, die schon erschlossen sind, aber seit Jahr und Tag nicht bebaut werden. Oder man macht eine Verdichtung innerhalb des Gebiets, auf einem Wiesen- oder Waldstück. Oder aber man geht an die Ortsränder und nimmt wieder einmal Wald- oder Landwirtschaftsflächen in Anspruch. 
Wir sind ein dicht besiedeltes Bundesland. Ich bin der Ansicht, wir dürfen uns nichts vormachen und meinen, dass diese Zielkonflikte sich einfach so erledigen werden. Sondern wir müssen führen. Deswegen sind wir im Moment auch dabei, einen neuen Landesentwicklungsplan auf den Weg zu bringen. Das eine mit dem anderen zu verbinden, das wird die Kunst sein. Die Baugebiete der Zukunft werden nicht mehr die sein, wie wir sie kennen. Sie müssen einhergehen mit einer möglichst hohen ökologischen Wertigkeit in der Bebauung und in der Funktionalität. 

Forderungen an eine künftige Bundesregierung?

Ich will das auf drei Punkte bringen. Man kann nicht Ökosystemleistungen der Wälder als wichtig ansehen, ohne sie aber finanziell zu vergüten. Das ist verlogen. Deshalb bin ich froh, dass wir Länderminister gemeinsam Druck gemacht haben und letztlich erfolgreich waren. Bundesministerin Klöckner, die dieses Thema noch vor zwei Jahren abgelehnt hat, ist nun eine glühende Befürworterin, hat aber nichts dazu geliefert. 
Das zweite ist, dass wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das Thema der naturnahen Waldbewirtschaftung zum Ziel setzen, das heißt: Wir müssen uns auch weiterhin zur Bewirtschaftung und zur Nutzung des Rohstoffes Holz bekennen. So können wir zum Beispiel erreichen, dass weniger Beton als Baustoff eingesetzt wird und dafür mehr Holz. Es gibt gute Beispiele für Holz als Baustoff, was auch der Nachhaltigkeit Rechnung trägt. 
Das dritte ist eine relativ technische Forderung, was uns aber als Länder sehr helfen würde: Wir wollen mehr Flexibilität beim Bundesanteil der GAK-Förderung, indem das starre Jährlichkeitsprinzip durchbrochen wird. Eine Übertragbarkeit der Bundesmittel ins folgende Jahr würde vollkommen reichen, damit wir uns nicht immer am Jahresende noch schnell überlegen müssen, was wir machen, damit wir das Geld nicht zurückgeben