Planungssicherstellungsgesetz

Özdemir zu Online-Beteiligung: „Wir schaffen Stabilität und Rechtssicherheit”

Carl-Friedrich Höck27. Februar 2021
Mahmut Özdemir
Öffentlichkeitsbeteiligung auch in Pandemiezeiten ermöglichen – zu diesem Zweck gibt es seit Mai 2020 ein Planungssicherstellungsgesetz. Am Donnerstag hat der Bundestag die Geltungsdauer bis Ende 2022 verlängert. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir erklärt im Interview, worum es geht.

DEMO: Herr Özdemir, der Bundestag sich am Donnerstag mit dem Planungssicherstellungsgesetz befasst. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Mahmut Özdemir: Der Anwendungsbereich ist groß, es geht zum Beispiel um Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, Netzausbau, Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen. Diese Bereiche sind mit Wertschöpfung verbunden, da hängen auch Arbeitsplätze dran. Wir wollen, dass diese Verfahren auch während der Pandemie weitergeführt werden können. Deshalb schaffen wir mit dem Gesetz Stabilität und Rechtssicherheit. Das betrifft insbesondere den Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung.

Wir führen eine Kann-Regelungen ein, die das Auslegen von Dokumenten im Internet ermöglicht. Daneben soll aber auch die bisher übliche Öffentlichkeitsbeteiligung beibehalten werden. In der Corona-Pandemie können nicht 20 oder 30 Leute gleichzeitig in einen Lesesaal kommen um sich dort ausgelegte Unterlagen anzusehen. Deshalb kann man sich diese nun ergänzend auch bequem am Rechner angucken.

Das betrifft zum Beispiel Bebauungsplanverfahren in den Kommunen. Wie muss man sich die Online-Beteiligung konkret vorstellen?

Wie das konkret ausgestaltet wird, ist der Kommune vor Ort belassen. Dafür wurden wir von der Wirtschaft und den kommunalen Spitzenverbänden auch gelobt. Grundsätzlich funktioniert es so: Dokumente werden im Internet verfügbar gemacht und es wird amtsüblich bekanntgemacht, was online veröffentlicht ist. Wer keinen Internetzugang hat oder nutzt, kann sich die Unterlagen weiterhin vor Ort ansehen oder in Ausnahmefällen auch zugeschickt bekommen. Wichtig ist, dass die Einsichtnahme der Betroffenen sichergestellt wird.

Das Gesetz ist nicht mehr ganz neu. Der Bundestag hat lediglich den Zeitraum verlängert, in dem das Gesetz angewendet werden kann. Aufgrund der anhaltenden Pandemiesituation könnte man denken: Das ist nur eine Formalität. Trotzdem wurde das Gesetz nochmal ausführlich diskutiert. Wozu gab es Gesprächsbedarf?

Wir haben die Geltungsdauer bis zum 31.12.2022 verlängert. Das hat zu Unmut geführt, weil einige gesagt haben: Wenn es ein Covid-19-Auswirkungsgesetz ist, muss es an die pandemische Lage gekoppelt sein und darf nicht länger gelten als andere Gesetze, die mit Covid-19 zusammenhängen.

Der Hintergrund für die lange Laufzeit ist, dass Planfeststellungsverfahren und ähnliche Prozesse ziemlich lange dauern. Wir brauchen auf der Zeitschiene ein solides Verfahren. Wenn sich die Kommune auf ein Vorgehen verständigt hat – wie Internetauslegung in Kombination mit einer Notfallauslegung im Leseraum – sollte man es dann auch so umsetzen können. Wenn die pandemische Lage nächsten Monat wieder vom Bundestag gelockert oder verschärft wird, kann man nicht täglich im Planfeststellungsverfahren drin herumfingern.

Ein weiterer umstrittener Punkt: Einige Unternehmen haben kritisiert, dass im Internet ja quasi alles unbegrenzt verfügbar sei, auch Informationen über Konkurrenten. Da würden Geschäftsgeheimnisse offengelegt und aufbewahrt, und das wollten die Unternehmen nicht.

Mich hat das aber nicht überzeugt. Wir können den Häuslebauer nicht anders behandeln als den Anlagenbauer. Das Know-how und der Wissensvorsprung gehen ja nicht dadurch verloren, dass sich ein Vorhabenträger in die Öffentlichkeit begibt und sagt, was er bauen möchte. Und es wäre ein Husarenstück, wenn wir für Unternehmen Sonderregelungen einführen und alle Baupläne verstecken würden. Wenn entschieden wird, wo in einer Halle die Anlage platziert wird, muss die Feuerwehr sagen können, ob sie das im Notfall gelöscht bekommt. Bei einer möglichen Explosions- oder Emmissionsgefahr müssen wir prüfen, welche Anwohner*innen betroffen wären. Das sehe ich nicht als Geschäftsgeheimnis, sondern als Transparenz im Sinne von Recht und Gesetz. Und wo wirklich Geschäftsgeheimnisse betroffen sind, können die Unternehmen Widerspruch einlegen.

Warum ist das Gesetz überhaupt befristet? Derzeit wird viel über E-Government und die Chancen der Digitalisierung gesprochen. Man könnte doch die gemachten Erfahrungen nutzen und Online-Beteiligungsverfahren auch nach der Pandemie ermöglichen.

Dagegen spricht, dass wir derzeit ein Pandemie-Auslegungsgesetz machen und kein Verwaltungsmodernisierungsgesetz. Zweiteres setzt aus meiner Sicht viele weitere Elemente voraus. Zum Beispiel: Wie müssen wir den Schutzstandard für die Geheimhaltung erhöhen, damit bei Bedarf nur Berechtigte digitalen Zugang haben, also unmittelbar Betroffene? Wie gewährleisten wir die digitale Sicherheit vertraulicher Informationen? Wie stellen wir sicher, dass betroffene Anwohner*innen einfach an die nötigen Informationen kommen – unabhängig von den Dienstzeiten einer Amtsstube, aber auch barrierefrei? Das muss man alles würdigen. Das kann man nicht innerhalb von zwei, drei Monaten mit einem befristeten Gesetz, das wir schnell brauchen. Aber ich bin gerne dazu bereit, heute ein Pandemieauslegungsgesetz zu machen und morgen ein Öffentlichkeitsbeteiligungsmodernisierungsgesetz.

Mahmut Özdemir gehört der SPD-Bundestagsfraktion an und ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat sowie im Sportausschuss. Seinen Redebeitrag zum Planungssicherstellungsgesetz im Bundestag können Sie sich hier ansehen:

Mehr Informationen zum Gesetz und der parlamentarischen Debatte: bundestag.de

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