Bericht der Migrationsbeauftragten

Özoguz: „Haben aus Fehlern der 1990er gelernt“

Carl-Friedrich Höck09. Dezember 2016
Aydan Özoguz
Aydan Özoguz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Archivbild)
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration hat ihren neuen Bericht vorgestellt. Grundsätzlich sieht sie die Integration der Zuwanderer auf einem guten Weg. Eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge bewertet sie kritisch.

Es ist der erste Bericht der Migrationsbeauftragten seit Beginn des Flüchtlingszuzugs. 737 Seiten umfasst das Dokument, gefüllt mit Fakten, Zahlen und Daten, die der Arbeitsstab von Aydan Özoguz akribisch zusammengetragen hat. Als die Staatssekretärin den Bericht am Freitag präsentiert, stellt sie zunächst eines klar: „Die Zuwanderung nach Deutschland bestand auch im vergangenen Jahr fast zur Hälfte aus EU-Bürgern.“ Das sei in der öffentlichen Debatte etwas untergegangen, meint Özoguz.

Fortschritte, aber noch kein Durchbruch

Der Bericht untersucht, wie erfolgreich die Integration verläuft, und soll alle gesellschaftlich relevanten Bereiche darstellen. Özoguz zieht ein positives Fazit, etwa bei der Bildung: „Kinder mit familiären Einwanderungsgeschichten profitieren heute deutlich häufiger von einem Kita-Besuch, Jugendliche mit Migrationshintergrund erreichen höhere Schulabschlüsse als noch vor fünf Jahren.“ So besuchten mittlerweile 90 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen eine Kita.

Dennoch hänge der Bildungserfolg der Kinder noch immer stark von der sozialen Herkunft des Elternhauses ab, führt Özoguz aus. Und das Armutsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund sei mit knapp 28 Prozent immer noch doppelt so hoch wie bei Personen ohne Einwanderungsgeschichte. Der Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen sei hierauf die richtige Antwort. Davon erhofft sich die Staatssekretärin auch Fortschritte bei der Sprache. Mehr als 60 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kita-Kinder mit Migrationshintergrund sprechen zuhause mehrheitlich nicht deutsch, konstatiert der Bericht.

Özoguz kritisiert Wohnsitzauflage

Einen positiven Effekt haben laut Özoguz auch neue Gesetze und Verordnungen: „Wir haben die Strukturen der Aufnahme von Schutzsuchenden verbessert, die Asylverfahren beschleunigt, Länder und Kommunen finanziell entlastet und für die Integration von Asylsuchenden mit guter Bleibeperspektive gesorgt.“ Ein wichtiger Baustein sei etwa, dass junge Menschen nicht mehr in der Angst leben müssten, während oder sofort nach der Ausbildung abgeschoben zu werden.

„Wir haben aus den Fehlern der 1990er Jahre gelernt“, resümiert die Migrationsbeauftragte. Mit einer Einschränkung: Ausgerechnet beim Thema Wohnsitzauflage ist sie aufgrund der historischen Erfahrungen skeptisch: „Bei den Spätaussiedlern gab es so eine Regelung schon einmal. Die hat teilweise dazu geführt, dass die Leute keine Arbeit finden konnten.“ Auch müssten die Menschen zu ihren Familien ziehen können. „Wir wollen ja keine Integrationsverhinderung“, warnt Özoguz. Die Wohnsitzauflage wird unter anderem vom Deutschen Landkreistag eingefordert. Auch der Deutsche Städtetag hat sich für die Wohnsitzauflage ausgesprochen. Flüchtlinge könnten angemessen auf Stadt und Land verteilt werden können und Integration leichter steuerbar werden, hieß es. Die Bundesregierung hat sie ermöglicht, bisher wurde sie aber nur in wenigen Bundesländern umgesetzt.

Stimmung im Land ist angespannt

Aydan Özoguz in der Bundespressekonferenz
Aydan Özoguz am Freitag vor der Presse in Berlin

Unabhängig von den statistischen Daten treibt Özoguz das gesellschaftliche Klima um: „Wir haben eine rauere Stimmung im Land, wir haben eine angespanntere Atmosphäre.“ Verantwortlich für den Stimmungswandel seien „bestimmte Kreise, die sich daraus politisches Kapital erhofft haben.“ Menschenfeindliche Straftaten seien massiv angestiegen; Kommunalpolitiker und Helfer, die sich für Integration einsetzen, würden massiv bedroht. Politik und Zivilgesellschaft müssten solchen Anfeindungen klar entgegentreten. „Ich setze hier auf einen Konsens aller Demokraten, auch im Wahlkampf.“

Die Bundesregierung stelle sich jeder kritischen Diskussion, beteuerte Özoguz. Diese müsse aber auf der Grundlage von Fakten und nicht von Unwahrheiten geführt werden. So gebe es bei der Kriminalität eine große Kluft zwischen der gefühlten und der tatsächlichen Entwicklung. Wie ihr Bericht feststellt, ist zwar der „Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen“ laut polizeilicher Kriminalstatistkik 2015 gestiegen – von 27,7 Prozent im Vorjahr auf 38,5 Prozent. Das sei aber zum einen auf die insgesamt höheren Flüchtlingszahlen zurückzuführen und zum anderen auf „ausländerspezifische Delikte“, also etwa Verstöße gegen Einreise- oder Aufenthaltsbestimmungen. Und „gerade unter syrischen Flüchtlingen haben wir so gut wie keine Kriminalität“, unterstreicht die Migrationsbeauftragte.

Bericht der Beauftragten für Migration

Der Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung wird alle zwei Jahre vorgelegt. Er untersucht die Teilhabechancen von Menschen mit Migrationshintergrund, etwa in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, Medien, Ehrenamt oder Sport.

Der 11. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration beleuchet den Zeitraum von Sommer 2014 bis Sommer 2016. Soweit möglich, wurden auch neuere Entwicklungen mit berücksichtigt.

Das 737-seitige Dokument kann hier als PDF heruntergeladen werden: www.integrationsbeauftragte.de