Ehrenamt in den Kommunen

Nicht ohne die Beherzten

Karin Billanitsch28. Oktober 2019
Im Caritas-Regionalzentrum in Anklam laufen die Fäden zusammen, wenn es um die Koordination von Ehrenamtlichen geht.
Ehrenamtliche Arbeit kann vor Ort viel bewirken. In Anklam steuert die regionale Caritas den Einsatz von Freiwilligen.

Bürgerfest auf Schloss Bellevue: Bundespräsident Frank Walter Steinmeier begrüßt bei strahlendem Augustwetter seine Gäste: Ehrenamtler aus ganz Deutschland. Bellevue hat sich an diesem Tag das Motto „Lust auf Zukunft“ auf die Fahnen geschrieben. Trotz Brexit, Klimakrise, gefährlichen Spannungen und Konflikten weltweit und auch viel Populismus und Frust hier in Deutschland? „Ja, all das beschäftigt die Deutschen“, räumt Steinmeier in seiner Rede ein. Doch dann kommt das Aber: „Gerade wenn die Fliehkräfte an unserer Gesellschaft zerren, dann müssen wir zusammenkommen aus Ost und West und Nord und Süd. Gerade wenn wir zu verzagen drohen, dann kommt’s auf die Beherzten an.“

16 Millionen Ehrenamtliche in Deutschland

Die Beherzten, damit meint der Bundespräsident jene, die sich um ihre Nachbarn kümmern, Jugendmannschaften trainieren, Feuerwehren in den Dörfern organisieren, Brauchtum pflegen, Feste und Kulturereignisse planen und sich für freundschaftlichen Austausch mit anderen Ländern einsetzen. Und – nicht zuletzt – ehrenamtlich in die Kommunalpolitik gehen und Verantwortung als Bürgermeister oder Räte übernehmen. Laut Statistik haben 16 Millionen Menschen ein Ehrenamt in Deutschland.

Wie viel spontaner Einsatz vor Ort bewirken kann, zeigte sich zum Beispiel 2015, als ehrenamtliche Flüchtlingshilfe-Organisationen aus dem Boden schossen. „Für die stark beanspruchten Kommunen war diese breite Unterstützung eine unverzichtbare Hilfe“, stellte das Institut für Demoskopie Allensbach damals fest. Es hatte kommunale Leitungskräfte befragt. „Vielerorts wurden die Angebote zur Betreuung und zur Integration vor allem von Ehrenamtlichen getragen“, lautete ein Ergebnis. Mehr als 90 Prozent der Befragten beschrieben das Engagement in ihrer Kommune als „beträchtlich“ und schilderten zudem eine sehr gute Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen.

Vor Ort in Anklam

In der Anklamer Südstadt, einem Viertel mit viel renoviertem Plattenbau, leben Menschen aus verschiedenen Nationen, darunter sind auch viele Zuwanderer und Flüchtlinge. Die Stadt mit rund 12.000 Einwohnern liegt 30 Kilometer vor der Ostseeküste im Landkreis Vorpommern-Greifswald. In zwei Projekträumen, die der kommunalen Grundstücks- und Wohnungswirtschaft gehören, können Flüchtlinge und Asylbewerber unter anderem mit computergestützten Programmen Deutsch lernen. Freiwillige Mentorinnen und Mentoren betreuen die Lernenden. Es sind Frauen wie die pensionierten ­Pä­dagoginnen Gudrun Schwarz und ­Brigitte Grau-Günther, die den neu Angekommenen Deutsch beibringen, sie aber auch unterstützen, wenn es um Behördengänge, das Ausfüllen von Anträgen oder die Wohnungssuche geht.

Doch „die Sprachkurse sind das Herzstück unserer Arbeit“, sagt Gudrun Schwarz. Erst kürzlich freute sie sich über die Ehrennadel der Stadt Anklam, mit der die Stadt sie für ihre Integra­tionsarbeit auszeichnete. Eingebettet ist das Sprachprojekt in die Aktivitäten des Freiwilligenzentrums Anklam (FZA) des Caritas-Regionalzentrums Anklam. Anette ­Brozsat koordiniert seit 2013 die freiwilligen Helfer in Anklam: Wer sich engagieren möchte, kommt zuerst zu ihr. Die Vereine, Einrichtungen und Initiativen der 12.000-Einwohner-Stadt suchen immer freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeiter – sie vermittelt die Richtigen. „Ob Deutschkurs, Nähtreff, das Café International, Lesungen oder gemeinsames Singen: Vor­urteile bauen sich durch das Kennenlernen ab“, sagt Anette Brozsat. 58 Ehrenamtler betreut sie im FZA. Auch ein Umsonstladen für Kleidung und Haushaltswaren für einkommensschwache Haushalte wird in ehrenamtlicher Regie im Caritas-Haus betrieben.

Intensive Öffentlichkeitsarbeit

„Ohne diese professionelle Koordination geht es nicht“, sagt Ulrich Höckner, Leiter des Caritas-Regionalzentrums Anklam, das zum Caritasverband für das Erzbistum Berlin gehört. Anette Broszat erweitert und betreut das Netzwerk: „Man kann das nicht ausschliesslich mit Ehrenamtlichen laufen lassen“, so Höckner. Auch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit sei nötig. Nicht nur im Anklamer Amtsblatt, sondern auch in Kirchenblättern und in der Lokalzeitung wird für Engagement getrommelt und über Veranstaltungen berichtet. Übrigens unterstützt die Stadt Anklam über die städtische Fördermittelrichtlinie „Aktiv in Anklam“ Vereine und Verbände.

Das Leben in der Peene-Stadt wird indes überschattet durch eine starke rechte Szene. Die NPD hat hier zwei Sitze im Gemeinderat, die AfD ist zweitstärkste Kraft. Höckner, der vor Jahren aus Berlin zugezogen ist, bekennt sich klar gegen rechts: Das Caritas-Regionalzentrum ist Mitglied im Präventionsrat der Stadt und in weiteren Bündnissen gegen rechts. Höckner gehört auch zu jenen, die den „DemokratieLaden“ in der Anklamer Innenstadt geschaffen haben – ein Treffpunkt zum Austausch von Ideen für die Entwicklung demokratischen Kultur in Vorpommern.