Studie „Von Umbrüchen und Aufbrüchen“

Sind ostdeutsche Kommunen krisenfester?

Carl-Friedrich Höck06. Oktober 2021
Diese ausgesuchten Kommunen hat die Studie untersucht.
Die ostdeutschen Kommunen mussten in den vergangenen 30 Jahren gewaltige Umbrüche meistern. Vorbilder dafür gab es nicht. Eine Studie hat untersucht, wie sie mit den Herausforderungen umgehen – und was sich daraus lernen lässt.

„Wir sind Kummer gewohnt.“ Sätze wie diesen haben Susanne Dähner und Catherina Hinz bei ihren Interviews häufiger gehört. Für die Studie „Von Umbrüchen und Aufbrüchen“ haben sie sich in zwölf ausgewählten ostdeutschen Kommunen umgehört, haben Bürgermeister*innen und Gemeinderatsmitglieder befragt, aber auch Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen.

Gewaltige Veränderungen

Sie wollten herausfinden, welche Herangehensweisen die Kommunen gefunden haben, um die großen Strukturbrüche nach der Deutschen Einheit zu bewältigen. Die Herausforderungen waren enorm: Viele Arbeitsplätze sind weggefallen. Vor allem jüngere und gut gebildete Menschen sind abgewandert. Ohne große Wirtschaftsunternehmen waren auch die kommunalen Steuereinnahmen gering. Die Verwaltungen mussten sich überlegen, was sie mit leerstehenden Wohnungen machen und wie sie die nötige Infrastruktur für eine älter werdende Bevölkerung schaffen und erhalten wollen. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, kamen immer neue Krisen hinzu, die das mühsam Aufgebaute gefährdeten. Sei es ein Hochwasser oder eine weltweite Pandemie.

Abgeschlossen ist der Strukturwandel auch heute nicht. Die Energiewende führt dazu, dass Braunkohlereviere umgestaltet werden – gleichzeitig bietet der Ausbau Erneuerbarer Energien auch im Osten neue Chancen. Die ostdeutschen Flächenländer haben seit 1990 2,3 Millionen Menschen verloren. Wachstum gibt es dagegen in Großstädten und im Umland von Berlin.

Wettbewerb nicht nur zwischen Ost und West

In der sogenannten Wissensgesellschaft profitieren Regionen, die gute Hochschulen und innovative Unternehmen ansiedeln konnten. Abseits der Großstädte nützt die Entwicklung den Gemeinden kaum. Eine Chance biete die Digitalisierung, konstatieren die Autorinnen der Studie. Sie könne auch im ländlichen Raum neue Arbeitsplätze entstehen lassen – vorausgesetzt, die Datenleitungen sind schnell genug.

Solche Trends sind heute auch in den alten Bundesländern zu beobachten. Susanne Dähner beobachtet, dass es zunehmend zu einem Wettbewerb zwischen strukturstarken und -schwachen Regionen kommt, nicht nur zwischen Ost und West.

Was sich vom Osten lernen lässt

Die ostdeutschen Kommunen könnten dabei sogar einen Vorteil haben. Denn sie mussten lernen, innovativ und flexibel auf große Umbrüche zu reagieren. Sind sie deshalb besonders krisenfest? Und was lässt sich aus ihren Erfahrungen lernen? Dem wollten die Autorinnen der Studie auf den Grund gehen. Durchgeführt wurde sie vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer hat die Untersuchung gefördert.

Allerdings kommen die Autorinnen zu dem Schluss: „Die erlebten Herausforderungen allein machen ostdeutsche Gemeinden nicht krisenfest.“ Wie zukunftsfähig eine Kommune sei, hänge stark von den handelnden Personen ab. Also von den Bürgermeister*innen und ihren Mitstreiter*innen, aber auch von Personen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dennoch sind die Autorinnen in ihren Interviews auf einige Faktoren gestoßen, die bei der Suche nach Lösungen helfen können – im Osten wie im Westen.

Es helfen Strategien, Engagement und Netzwerke

So seien langfristige Strategien erfolgreich – wenn also die Entwicklung einem Leitbild folgt. Die sächsische Gemeinde Nebelschütz zum Beispiel hat sich auf die Fahnen geschrieben, „enkeltauglich“ zu werden. Bürgermeister Thomas Zschornak erklärt es so: „Wir haben immer diese weite Sicht: Was würden unsere Enkel denken, wenn wir heute diese Entscheidung treffen?“ Das könne heißen, dass man die Kinder einer Kita selbst fragt, was sie sich für ihre Außenanlage wünschen. Aber auch, dass die Gemeinde sich die Ressourcen organisiert, die sie für zukünftige Entwicklungen benötigt. „Wenn man einen Ökolandwirt ansiedeln möchte, braucht man die Wiese“, so Zschornak.

Ein wichtiger Faktor ist bürgerschaftliches Engagement. Gerade in ländlichen und abgelegenen Gemeinden sei es ein Schlüssel, um eine Gemeinschaft zu erhalten und Entwicklungen positiv zu beeinflussen, erklärt Susanne Dähner. Sie zitiert dazu die Stadtoberhäupter von Nordhausen und Wittenberge. Fazit: Wenn Einwohner*innen sich ehrenamtlich einbringen, könnten Angebote erhalten werden, die eine Kommune sonst nicht mehr stemmen könnte. Dazu müsse die Kommune die Menschen aber aktiv ins Boot holen und das direkte Gespräch suchen. Die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement sei „in den letzten Jahren auch zwischen Rügen und Erzgebirge kontinuierlich gestiegen“, ist in der Studie zu lesen.

Abgucken erlaubt

Ein weiterer Tipp der Autorinnen lautet: abschauen und nachmachen. Alle Befragten hätten erkannt, dass sie Probleme nicht alleine lösen könnten, und sich deshalb nach innovativen Ansätzen in anderen Gemeinden umgesehen. Deshalb seien gute Netzwerke und Kooperationen – zum Beispiel mit Hochschulen – hilfreich bei der Krisenbewältigung.

Auch das Geld spielt eine wichtige Rolle – die Steuereinnahmen im Osten sind nach wie vor unterdurchschnittlich. Mancherorts besteht Hoffnung, dass lokale Energiewende-Projekte oder ein Zuzug durch die wachsende „Landlust“ neues Geld in die Kassen spülen könnte. Dennoch machten viele Befragte deutlich, dass die Abhängigkeit von Zuweisungen und Fördergeldern ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Vor allem kleinen Kommunen fehlt häufig die Zeit und das Personal, um die bestehenden Programme anzuzapfen. „Man hat im Moment so viele Fördertöpfe, auf die man kaum zugreifen kann“, sagt auch Zschornak, der Bürgermeister von Nebelschütz. Er plädiert dafür, den Kommunen das Geld über Schlüsselzuweisungen direkt zur Verfügung zu stellen.

Infos zur Studie
Susanne Dähner, Sabine Sütterlin, Lilian Beck, Catherina Hinz:
Von Umbrüchen und Aufbrüchen.
Wie ostdeutsche Kommunen steten Wandel meistern
Abrufbar unter berlin-institut.org

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