Studie im Auftrag des VdK

Wie Pflegebedürftige und Angehörige unter der Corona-Pandemie leiden

Carl-Friedrich Höck24. August 2021
Viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen haben in der Corona-Pandemie das Haus kaum noch verlassen. (Symbolfoto)
80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Doch sie und ihre Angehörigen seien von der Politik vernachlässigt worden, kritisiert der Sozialverband VdK. Eine Studie zeigt: Die Corona-Pandemie hat Angst und Isolation gefördert.

Es sind Geschichten wie die von Edeltraud Geister. Die 67-Jährige pflegt zu Hause ihren demenzkranken Mann. Zu Beginn der Corona-Pandemie sei dieser noch relativ selbständig gewesen, berichtet Frau Geister. Doch dann fielen die sozialen Kontakte weg, ebenso die Spaziergänge oder der Einkaufsbummel. Auch die Ergotherapie wurde gestrichen. Die Angst vor einer Ansteckung prägte den Alltag. Der Haushaltshilfe hat das Paar abgesagt – denn diese hat kleine Kinder, das Infektionsrisiko erschien zu hoch. „Der Zustand hat sich bei meinem Mann ziemlich verschlechtert, er wurde misstrauisch und verwirrter“, schildert die Rentnerin die neue Situation. Auch sie selbst litt zunehmend daran, erkrankte schließlich an einer Depression. Ihr Mann musste im März 2021 in einer Klinik behandelt werden, heute lebt er in einem Pflegeheim.

Pandemie war zusätzliche Belastung

Es ist ein Beispiel von vielen. In Deutschland werden 3,3 Millionen Menschen zu Hause gepflegt. Der Sozialverband VdK hat am Montag eine Studie vorgestellt, die von der Hochschule Osnabrück durchgeführt wurde. 16.000 Gepflegte und Angehörige wurden befragt. 78 Prozent der Pflegebedürftigen gaben an, dass sie die Zeit der Pandemie als belastend empfanden. Bei den pflegenden Angehörigen waren es sogar 84 Prozent.

Da ist zum einen die Angst vor Corona. Drei Viertel der Pflegebedürftigen fürchteten sich vor einer Infektion und möglichen Spätfolgen. Auch die Angehörigen sorgten sich, sie könnten sich und die Pflegebedürftigen anstecken. In der Folge isolierten sich die Betroffenen: 81 Prozent der Pflegebedürftigen mieden den Kontakt zu Dritten außerhalb des Haushaltes und sogar 87 Prozent der pflegenden Angehörigen versuchten, anderen aus dem Weg zu gehen. Mehr als ein Drittel von ihnen hat das Haus oder die Wohnung möglichst gar nicht mehr verlassen.

Treffpunkt für Pflegebedürftige und Angehörige waren zu

Hinzu kam, dass viele Entlastungen im Alltag weggefallen sind. Tagespflege fiel aus, Demenzcafés oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung mussten schließen. Laut der Umfrage nahmen 37 Prozent der Pflegehaushalte keine Unterstützungsangebote mehr in Anspruch. Meistens, weil es schlicht gar keine mehr gab. Manche Haushalte verzichteten aber auch selbst auf die Hilfe, aus Angst vor einer Ansteckung. Viele Betroffene gehören einer Hochrisikogruppe an.

Einige pflegende Angehörige mussten nebenher auch noch ihr Berufsleben meistern. 37 Prozent von ihnen gaben laut Studie an, dass ihre Erwerbstätigkeit schwieriger geworden ist. 15 Prozent konnten im Homeoffice arbeiten, zehn Prozent haben die Arbeitszeit reduziert. Für 43 Prozent der Befragten spielte das Thema keine Rolle, da sie zum Beispiel schon in Rente sind.

Trotz alledem sei die Situation der Gepflegten zu Hause deutlich besser gewesen als im Pflegeheim, urteilt der VdK. Nur zwölf Prozent fühlten sich laut Umfrage hilflos und alleingelassen. 74 Prozent waren dankbar für die Hilfen – durch Angehörige, aber auch professionelle Betreuungs- und Pflegedienste.

Pflege zu Hause – wird das Thema vergessen?

Nach Meinung des Sozialverbandes richtet die Politik jedoch zu wenig Aufmerksamkeit auf die ambulante Pflege. Dabei würden 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Die nun vorgestellte Studie trägt den Titel „Die Vergessenen der Pandemie“. VdK-Präsidentin Verena Bentele kündigt an: „Die nächste Bundesregierung wird diese Studie von uns zu lesen bekommen.“

Für Unmut sorgt beim Sozialverband, dass die geplante Erhöhung des Pflegegeldes ausgeblieben ist. Ursprünglich hatte die Bundesregierung angekündigt, alle Pflegeleistungen zu erhöhen, um den Wertverlust der vergangenen Jahre auszugleichen. Die dafür eingeplanten 1,8 Milliarden Euro würden nun von Gesundheitsminister Jens Spahn zweckentfremdet, um die Eigenanteile in der stationären Pflege zu bezuschussen, kritisiert der VdK. Die einkassierte Erhöhung des Pflegegeldes will der VdK jetzt einklagen und notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen.

Darüber hinaus fordert der VdK ein Gesamtbudget, von dem pflegende Angehörige Entlastungsangebote bezahlen können. „Das wirre Nebeneinander von Kurzzeit- und Verhinderungspflege muss ein Ende haben“, sagt Bentele. Pflegende Angehörige sollen eine Lohnersatzleistung erhalten sowie den Anspruch, von der Arbeit freigestellt zu werden und anschließend wieder in den Job zurückkehren zu können. Weitere Forderungen sind Rentenpunkte für pflegende Angehörige sowie Pandemie- und Katastrophenpläne, um die Pflege zu Hause auch in Krisenzeiten sicherzustellen.

SPD: Forderungen zur Pflege mit Union nicht umsetzbar

Die Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Heike Baehrens ist mit Bentele in vielen Punkten einer Meinung. Die SPD wolle pflegende Angehörige noch besser entlasten, sagt sie. „Deswegen haben wir uns stets für die Ausweitung und regelmäßige Erhöhung von Leistungen der Pflegeversicherung stark gemacht, die dazu beitragen. Gleichzeitig haben wir ein jährliches Entlastungsbudget gefordert, das die Pflegeversicherungsleistungen der Tagespflege, Verhinderungspflege und den Entlastungsbetrag bündelt und flexibel und individuell in Anspruch genommen werden kann.“

Beide Forderungen seien mit dem derzeitigen Koalitionspartner leider nicht umsetzbar gewesen, bedauert Baehrens. Die Vorstellungen der SPD zur Entlastung pflegender Angehörige gingen jedoch noch weiter. „Wir wollen Beratungsangebote verbessern, die Familienpflegezeit durch einen 15-monatigen Lohnersatz ausbauen und die Sorgezeit rentenrechtlich aufwerten.“

Kommunen sollen pandemiekonforme Treffpunkte schaffen

Doch auch die Kommunen können helfen, die Situation der Gepflegten und ihrer Angehörigen zu verbessern. VdK-Präsidentin Bentele verweist darauf, dass ihr Verband sogenannte Pflegebegleiter*innen ausbilde. Sie arbeiten ehrenamtlich, unterstützen die Betroffenen und weisen sie auf bestehende Angebote hin – wie Gruppen, wo sich Angehörige austauschen können. Um solche Treffen trotz Pandemie zu ermöglichen, „braucht es von den Kommunen jetzt wirklich kreative Konzepte und Ideen“, fordert Bentele. Der Verband selbst arbeite vermehrt mit Online-Treffen, diese könnten aber den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.

Madeleine Viol, VdK-Referentin für Pflege, sieht auf kommunaler Ebene Nachholbedarf. Viele Städte und Gemeinden wüssten nicht einmal, wie viele Pflegebedürftige es bei ihnen im Dorf oder der Stadt gibt. Das sei aber wichtig, um daraus Angebote abzuleiten. „Häufig verlassen sich die Kommunen immer noch auf professionelle Anbieter, nach dem Motto: Der Markt wird´s schon richten“, kritisiert Viol. Der Markt richte sich aber nur danach, wo es Geld gebe. Pflegende Angehörige bräuchten sehr viele niedrigschwellige Angebote, die eben keinen Profit abwerfen. Hier müssten die Kommunen Daseinsvorsorge leisten.

 

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Weitere Infos zur Studie stehen auf der Website des VdK.

„Mir ist wichtig, dass die anspruchsvolle Arbeit von Pflegekräften auch ordentlich bezahlt wird“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Um die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Pflegebranche zu verbessern, hat die Bundesregierung die „Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen. Am vergangenen Freitag hat sie einen aktuellen Umsetzungsbericht zur Aktion vorgestellt. Eine Zusammenfassung aus Regierungsperspektive lesen Sie hier:
bundesgesundheitsministerium.de