Interview mit Bürgermeister Gert Hager

Pforzheim verzichtet auf Rechtsmittel gegen Privatisierung des ÖPNV

Karin Billanitsch12. Februar 2016
In Zukunft fährt Südwestbus in Pforzheim.
In Zukunft fährt Südwestbus in Pforzheim.
Der Busverkehr in Pforzheim wird ab 2017 komplett von ­einem Privatunternehmen betrieben. Das hat das Regierungspräsidium Karlsruhe am 13. Januar entschieden. Die Stadt wird gegen diese Entscheidung keine Rechtsmittel einlegen. Warum, erklärt Bürgermeister Gert Hager im Interview.

DEMO: Warum legt die Stadt Pforzheim keinen Widerspruch gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums ein?

Oberbürgermeister Gert Hager: Nach genauester Prüfung müssen wir zu dem Ergebnis kommen, das nur ganz geringe Erfolgschancen bestehen. Selbst im äußerst ungewissen Erfolgsfalle würden wir dem Unternehmen SVP und den dortigen Beschäftigten sehr wahrscheinlich keine sichere Zukunftsperspektive geben können. Zudem würden die für eine sozialverträgliche Abfederung im Unternehmen zur Verfügung stehenden Mittel deutlich verringert, vielleicht sogar entfallen. Ein weiterer Punkt ist die reibungslose Durchführung des Stadtlinienverkehrs bis zum und nach dem 10. Dezember 2016; der könnte möglichweise aufgrund der bestehenden rechtlichen Unsicherheiten nicht gewährleistet werden.

Warum hatte die Stadt kein Mitentscheidungsrecht?

Die Ursachen liegen im neuen Personenbeförderungsgesetz begründet. Das eigentliche Vergabeverfahren war noch nicht gestartet und sollte im September 2015 beginnen. Durch die gesetzlich vorgeschriebene und zeitlich klar definierte Vorabbekanntmachung im Mai 2015 wurde die Frist für Anträge von Verkehrsunternehmen zur eigenwirtschaftlichen Erbringung des ÖPNV der Stadt Pforzheim in Gang gesetzt.

Hat die Verwaltung Fristen versäumt?

Nein! Mit der Vorabbekanntmachung hatten Verkehrsunternehmen bis zum 3. August 2015 Zeit, einen eigenen Eigenwirtschaftlichen Antrag an das Regierungspräsidium Karlsruhe abzugeben. An diesem Tag reichte die RVS Regionalbusverkehr Südwest, eine Tochter der Deutschen Bahn, einen Antrag auf eigenwirtschaftliche (ohne kommunale Zuschüsse) Erbringung der Verkehrsleistungen ein. Die Entscheidung darüber trifft allein das Regierungspräsidium Karlsruhe.

Gibt es eine Rechtslücke, die geschlossen werden muss, damit so etwas nicht passiert?

Der Gemeinderat der Stadt Pforzheim fordert den Bundesgesetzgeber zur baldmöglichsten Änderung des Personenbeförderungsgesetzes auf. Der dort geregelte uneingeschränkte Vorrang eigenwirtschaftlicher Angebote vor kommunalen Verkehrsangeboten muss gestrichen werden. Er hat in Pforzheim dazu geführt, das der kommunale Nahverkehr in Pforzheim nach 105 Jahren vor dem Aus steht. Die Stadt verliert faktisch auf Dauer die Möglichkeit, den Stadtverkehr in kommunaler Hand zu organisieren. Dieser Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit untergräbt die Entscheidung des Gemeinderates der Stadt Pforzheim, den Stadtverkehr auch künftig von einem Betrieb mit kommunaler Beteiligung auf Basis vertraglicher Regelungen erbringen zu lassen.

Hintergrund: Der Pforzheimer Bus-Streit

Über die Privatisierung des Busverkehrs in Pforzheim hat die DEMO in der Ausgabe 01/02 2016 mit der folgenden Meldung berichtet:

Der Busverkehr in Pforzheim wird ab 2017 komplett von ­einem Privatunternehmen betrieben. Das hat das Regierungspräsidium Karlsruhe am 13. Januar entschieden und damit in Pforzheim selbst für Aufregung gesorgt. Denn eigentlich wollte die Stadt den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) selbst betreiben, gemeinsam mit einem strategischen Partner. „Europäische Normen und Regelungen in Verbindung mit dem Bundesrecht verhindern das jetzt“, reagierte die Stadt in einer Presseerklärung enttäuscht.

Das war passiert: Die Stadt wollte für die Jahre 2017 bis 2026 einen privaten Partner für den Stadtverkehr Pforzheim (SVP) finden. Deshalb musste sie europaweit vorab bekanntmachen, dass sie den Stadtlinienverkehr in einem wettbewerblichen Verfahren ausschreiben und vergeben wird – was sie im Mai 2015 auch getan hat. Daraufhin hat das Unternehmen Regionalbusverkehr Südwest (RVS) einen Antrag eingereicht, den Pforzheimer Stadtlinienverkehr künftig allein und eigenwirtschaftlich betreiben zu dürfen. Eigenwirtschaftlich bedeutet, dass ein Unternehmen sein Angebot aus eigenen Einnahmen finanziert und weitgehend ohne öffentliche Zuschüsse auskommt. Gegen den Willen der Stadt genehmigte das Regierungspräsidium den Antrag.

Der Grund: Nach dem Personenbeförderungsrecht haben eigenwirtschaftliche Anträge Vorrang vor gemeinwirtschaftlichen (also von der öffentlichen Hand vergebenen) Verkehren. „100 Jahre kommunaler Busbetrieb gehen zu Ende“, bedauert Oberbürgermeister Gert Hager die Entscheidung.

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