Interview mit Dirk Messner

Das Planungsziel heißt: Null Emissionen!

Karin NinkUlf Buschmann08. November 2022
UBA-Chef Dirk Messner sucht mit „Umlandstadt” nach klimafreundlichen Lösungen für Kommunen.
Städte und Gemeinden sind beim Klimaschutz besonders gefordert und brauchen mehr Unterstützung vom Bund, sagt Dirk Messner. Der Präsident des Umweltbundes­amtes (UBA) ist überzeugt, dass die Anpassung an den Klimawandel so gelingen kann.

Sie haben im vorigen Jahr eine Verankerung des Umgangs mit dem Klimawandel im Grundgesetz gefordert. Was würde das insbesondere für Kommunen bringen?

Ich habe das damals angesprochen, weil ich denke, das hätte vor allem symbolischen Charakter und weniger direkte rechtliche Konsequenzen. Aber wir reden ja darüber, dass wir uns in ein neues Zeitalter bewegen, das Zeitalter des Anthropozän, das Zeitalter des Erdsystemwandels durch den von Menschen angeschobenen Klimawandel. Diese neue Weltlage ist in unserer Verfassung noch nicht angesprochen. Gleichzeitig können gesetzliche Regelungen das Klimaschutzhandeln in Kommunen deutlich stärken.

Die Energie- und Mobilitätswende soll zum Klimaschutz beitragen. ­Haben die Kommunen bisher genug getan?

Wir haben alle noch nicht genügend getan. Auch die Kommunen müssen noch sehr viel tun. Wir haben jetzt ein sehr klares Zielsystem. Es gibt einerseits die Pariser Übereinkünfte: Die sagen, wir müssen die Emissionen pro Dekade halbieren. Das gilt global und damit auch bei uns in Deutschland und in Europa. Darüber ­hinaus haben wir das deutsche Klimaschutzgesetz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch mal überarbeitet – mit seinen sehr anspruchsvollen Zielen. Der aktuelle UBA-Bericht „Klimaschutzpotenziale in Kommunen“ zeigt die enorme Bedeutung der Kommunen und dass sie im Klimaschutz besonders gefordert sind. Gleichzeitig können Kommunen auch nur im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten handeln – entscheidend ist, dass alle politischen Ebenen ineinandergreifen.

Die Probleme im ländlichen Raum sind andere als die in den größeren Städten. Wo kann man gemeinsam vorgehen? Wo muss man unterschiedliche Konzepte haben?

Die Herausforderungen insgesamt sind ziemlich ähnlich. Es geht um Mobilitätssysteme, um Energiesysteme und darum, Gebäude treibhausgasneutral zu gestalten. Wenn wir die Entwicklung klimagerecht vorantreiben, können wir viele Dinge in den Städten leichter lösen, weil damit zum Beispiel unser Nahverkehrssystem besser ausgebaut wäre. Im ländlichen Raum brauchen wir angepasste, attraktive und integrierte ÖPNV-Lösungen. Denn nur so haben wir auf dem Land die Möglichkeit, auch ohne Auto mobil zu sein.

Beim UBA läuft ein großes Forschungs- und Beratungsvorhaben namens „Umlandstadt“. Darin stellen wir das Umland ins Zentrum und versuchen, Lösungen zu entwickeln für kleinere Städte und ländliche Räume, um Klimaschutz voran­zubringen.

Ein großes Thema ist für Sie die ­Klima-Risikoanalyse. Wie können Kommunen davon profitieren?

Wir haben im vorigen Jahr eine solche Analyse vorgelegt. Daran haben 60 Behörden und Forschungseinrichtungen teilgenommen. Wir haben alle Dimensionen, die wir für die Klimaanpassung und für mehr Infrastruktur brauchen, Element für Element angeschaut und Lösungen entwickelt. Das betrifft z. B. das Gesundheitssystem, das Energiesystem oder die Frage, was wird aus unseren Ökosystemen.

Auf diese Weise konnten wir zeigen, dass wir auch bei beschleunigtem Klimawandel durch entsprechende Anpassungsmaßnahmen die Situation zumindest managebar machen können. Aber wenn wir nicht schnell handeln, laufen wir überall in Katastrophensituationen ­hinein. Denn wir sind noch immer auf dem 3-Grad-Pfad und nicht auf dem notwendigen unter-2-Grad-Pfad.

Wir haben im vorigen Jahr im Ahrtal gesehen, dass Klimawandel auch Zerstörung mitten in Europa produziert und nicht nur weit entfernt.

Angesichts der Hitzewellen und der Flutkatastrophe, die wir jetzt auch schon in unseren Breitengraden erleben, reicht es da noch, wenn die Kommunen mit einer kommunalen Wärmeplanung bis spätestens 2040 keine Treibhausemissionen mehr verursachen wollen?

Ja, das hilft. Die Wärmeplanung ist ein großes Thema. Bisher ist ein großer Teil unserer Heizanlagen öl- oder gasbetrieben. Hier muss dekarbonisiert werden. Das können wir mit Wärmepumpen oder Wärmenetzen. Diese Lösungen müssen jetzt systematisch angesteuert werden.

Bei der Frage des Zieljahres müssen wir bedenken, dass die Erneuerung der kommunalen Infrastrukturen Zeit braucht. Deshalb müssen wir Kommunen bei einer möglichst zügigen Umsetzung unterstützen. Zu kurzfristig angesetzte Ziele können aber kaum realisiert werden.

Kommunen müssen ihre Planung jetzt konsequent und von Anfang an auf Treibhausgasneutralität ausrichten. Gasnetze für neue Quartiere sind von Vorgestern, auch wenn dies noch in vielen Planungsköpfen steckt. Das komplette Denken und Planen muss jetzt Richtung emissionsfreie Wärme ausgerichtet sein.

Bei der kommunalen Wärmeplanung geht es also nicht nur um öffentliche Gebäude?

Nein, keineswegs. Es geht um die Kommunen in ihrer Gesamtheit. Es müssen ­alle Gebäude – sei es Wärme- oder Stromversorgung – mit dem Ziel Treibhausgasneutralität betrachtet werden. Null Emissionen heißt null Emissionen.

Den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern macht weniger fehlende Akzeptanz Sorge, die gibt es mittlerweile, sondern die Tatsache, dass an so vielen Stellen gleichzeitig gearbeitet werden muss. Hier brauchen die Kommunen auch eine stärkere Unterstützung durch den Bund.

Finanziell?

Ja, da geht es um eine finanzielle Dimension. Viele Kommunen mussten in den vergangenen Jahren sehr viel einsparen. Dadurch wurden auch Planungs- und Umsetzungseinheiten in den Kommunalverwaltungen geschwächt. Die brauchen wir aber jetzt für den treibhausgasneutralen Umbau.

Die Bundesregierung ihrerseits hat jüngst nachgebessert, weil die CO2-Emissionen gerade im Gebäude- und Verkehrssektor noch viel zu hoch sind. Auch die öffentlichen Gebäude sollen energetisch saniert werden. Jenseits der finanziellen Unterstützung, was kann man noch tun, um den Kommunen das zu erleichtern?

Es gibt notwendige Anfangsinvestitionen, wenn wir die Mobilitätssysteme im öffentlichen Bereich weiterentwickeln wollen. Andererseits sehen wir – auch durch die Kriegssituation verstärkt – dass die benötigten erneuerbaren Lösungen auf Dauer auch die kostengünstigeren sind. Wir haben Handlungsdruck, in kurzer Zeit viele Dinge zu ändern, aber die gute Nachricht ist, dass die Erneuerbaren jetzt auch dank hoher staatlicher Subventionen wettbewerbsfähig geworden sind.

Nun ist die Herausforderung, die Erneuerbaren so schnell wie möglich ­auszubauen. Fachkräftemangel ist da ein Thema, sowohl bei den ausführenden ­Unternehmen, als auch in den Kommunalverwaltungen. Aber auch andere Aspekte sind entscheidend: Beispielsweise stoßen Kommunen bei Sanierungen an Möglichkeitsgrenzen durch den Denkmalschutz. Die Schutzgüter Klima- und Denkmalschutz müssen besser miteinander vereint werden. Auch können Kommunen bisher kaum auf den Gebäudebestand zugreifen. Und wenn sie in der Lage sind, Ordnungsrecht anzuwenden, besteht oft Rechtsunsicherheit. Hier müssen wir systematisch stärken, um die Potenziale der Wärmeplanung auszuschöpfen.

Droht durch den Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Gaskrise die Energiewende ins Hintertreffen zu geraten, wenn wir die Kohlekraftwerke länger laufen lassen müssen und ggf. auch die Atomkraftwerke?

Ich mache mir bei der Energiewende nicht so viele Sorgen. Denn die Energiesicherheit, die Souveränität im Energiebereich, das Sich-unabhängig-Machen von russischen fossilen Energieträgern und der Klimaschutz führen von der Stoßrichtung her alle zu Erneuerbaren Energien. Wir werden in diesen Bereichen eine Beschleunigung erleben. Denn das ist die Lösung für all diese Punkte, und da ist der Konsens groß. Selbst wenn wir kurzfristig mehr Kohle im System lassen müssen, aber unsere Zielsysteme nicht anfassen und unsere Klimaziele aufrechterhalten, wird uns das gelingen. Wir müssen wieder aus der Kohle raus, wenn wir die Erneuerbaren ausgerollt haben.

Die beiden entscheidenden Parameter sind: Wir müssen energieeffizienter ansetzen. Darüber reden wir gerade viel und tun auch einiges, weil alles so teuer geworden ist. Und wir müssen die Erneuerbaren sehr schnell ausbauen. Das hat die Bundesregierung sich so vorgenommen, und daran müssen wir festhalten.

Wo machen Sie sich Sorgen?

Das sind die Felder, wo wir öffentliche Investitionen brauchen, um Prozesse in Gang zu setzen. Das ist die urbane Entwicklung und die ländliche Entwicklung. Das sind die Verkehrssysteme, die Landwirtschaft und auch die Industrie. Wir haben der Industrie versprochen, sie dabei zu unterstützen in der Wasserstoffwirtschaft voranzukommen. Wir brauchen dafür öffentliche Investitionen, sind aber in einer fiskalpolitisch schwierigen Situation.

Was können die Kommunen für ­eine klimafreundliche, aber auch erschwing­liche Mobilität der ­Bürgerinnen und Bürger tun?

Wir müssen den Nahverkehr attraktiver machen und mehr Platz für Rad- und Fußverkehr schaffen. Kommunen haben hierbei den größten Einfluss – sie können die lokalen Flächen verteilen. Nun müssen wir investieren, um die Effekte für Klimaschutz und Klimavorsorge zu nutzen. Oder schauen Sie auf die Kosten von Bus und Bahn. Autofahren wurde, zumindest bis vor dem Ukraine-Krieg, in den letzten Jahren nur wenig teurer. Die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln hat sich hingegen deutlich verteuert. Das steht dem, was wir eigentlich wollen, konträr entgegen.

Haben Sie ein herausragendes kommunales Beispiel?

Meine Lieblingsstadt ist Utrecht. Wenn Sie dort aus dem Bahnhof kommen, haben sie auf der linken Seite das größte Fahrradparkhaus der Welt. Und wenn Sie dann auf die Straße zugehen, sehen sie eine andere Raumaufteilung: Die Radfahrenden sowie Fußgängerinnen und Fußgänger haben den meisten Platz, dann folgt der öffentliche Verkehr und dann gibt es noch den Autoverkehr. Und Aufstände hat es in Utrecht gegen die neuen Mobilitätsformen auch nicht gegeben. Vielmehr ist es eine grünere und leisere Stadt mit einer höheren Lebensqualität.

Zur Person: Dirk Messner

Professor Dr. Dirk Messner, geboren am 23. April 1962, ist seit Januar 2020 Präsident des Umweltbundesamtes. Er ist Co-Direktor des Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research an der Universität Duisburg-Essen.

Der Ostwestfale war von 2018 bis 2019 Direktor des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS) in Bonn und Vize-Rektor der United Nations University (UNU). Zuvor leitete er von 2003 bis 2018 das Deutsche ­Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Von 1995 bis 2002 war Messner wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg. URO