Zukunft des Gesundheitswesens

Projekt „MeDiKuS“ weist in die Zukunft

Maicke Mackerodt14. Dezember 2020
„MeDiKuS“ ist ein Modellprojekt der Stadt Sundern, hier das Rathaus.
Um Ärztemangel zu begegnen, versuchen Kommunen, Ressourcen besser zu nutzen.

Ärztemangel ist zu einem geflügelten Wort geworden. Vor allem in ländlichen Gegenden oder kleinen und mittleren Städten  sorgt man sich, dass irgendwann keine Mediziner mehr zuziehen wollen. Viele scheuen den Aufwand einer eigenen Praxis mit viel Arbeit und wenig Freizeit. Zudem wollen Hausärzte gerade in ländlicheren Räumen nicht alleine eigen­verantwortlich tätig sein. Die Kommunen suchen nun Wege, um die ärztliche Versorgung zukunftsfest zu machen.

Zum Beispiel in Sundern am Sorpesee, einer Stadt mit rund 29.000 Einwohnern im Sauerland. Mit dem Digitalisierungspotenzial der medizinischen Versorgung in der Stadt haben sich mehr als ein Jahr lang Mitglieder des Forschungskollegs der Uni Siegen (FoKos) beschäftigt.

Zur Chefsache gemacht

Medizin, Digitalisierung, Kompetenz und Sicherheit – diese Kriterien stehen hinter dem Kürzel der abgeschlossenen Studie „MeDiKuS“. Für das Modellprojekt hatte sich der noch amtierende SPD-Bürgermeister Ralph Brodel stark gemacht. Der frühere TV-Journalist wollte wissen, „wie medizinische Leistungen durch digitale Lösungen unterstützt und optimiert werden können“. Als sich bei einer Umfrage im Jahr 2016 herausstellte, dass in zehn bis 15 Jahren von den verbliebenen 25.000 Einwohnern in Sundern etwa zehn Prozent älter als 80 Jahre sein werden“, machte der gelernte Versicherungskaufmann Ralph Brodel das Projekt zur Chefsache.

Die digitalen Technologien sollen helfen, die Kommunikation zwischen den Akteuren des Gesundheitswesens zu unterstützen. Keinesfalls ersetzt werden soll der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient. Sundern könnte zum Leuchtturmprojekt werden, nicht zuletzt, weil Netzwerke zwischen Politik, Gesellschaft, Apotheken, Patienten, Angehörigen und niedergelassenen Ärzten gebildet wurden. „Fast alle Ärzte in Sundern begrüßen die Vernetzung und Digitalisierung der medizinischen Kompetenzen, denn es schont nicht nur ihre zeitlichen ­Ressourcen“, so Ralph Brodel.

Für das dreijährige Folgeprojekt ­„MeDiKuS 2.0“ im Rahmen der „Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck“ sollen weitere datenmedizinische Ansätze in Sundern erprobt werden. Es geht etwa um ein Angebot eines Gesundheits­monitorings der Bürger. Grundlage ist ­eine digitale Patientenakte.

Dabei bleibt der einzelne Mensch aber Herr über seine Patientendaten: Jedes Mal braucht es eine Einwilligung, damit die jeweiligen Ärzte, Apotheker oder Pflege­dienste zugreifen dürfen. Während einer Veranstaltung, auf der die Stadtverwaltung über „MeDiKuS“ informierte, wurde deutlich, worum es geht: Auf der Grundlage der Patientendaten kann eine Software etwa Befunde einordnen – daraus können behandelnde Ärzte ­Präventionsmaßnahmen ableiten. Diese Prozesse können und sollen langfristig zur Entlastung der Ärzteschaft führen, so die Hoffnung laut eines Medienberichts. Die Patienten selbst würden stärker aktiv mit einbezogen, weil sie besser über ihre ­Gesundheit informiert werden. Auf längere Sicht könnten die Daten für telemedizinische Kontakte zwischen Arzt und Patient genutzt werden, hieß es.

Brodel erläutert seine Vision: „Es wird ein komplettes geschlossenes Gesundheitssystem Sundern geben. Zusätzlich ist eine zentrale Disposition für die sechs Pflegedienste geplant, damit nicht jeder Dienstleister einzeln die weiten Wege fährt.“ Aber da gibt es noch hohe Hürden, weiß der Bürgermeister. Bei den Kommunalwahlen in ­Nordrhein-Westfalen hat Brodel sein Amt nicht halten können. „Es hat nicht gereicht, so ist Demokratie und das ist auch gut so, denn davon lebt Demokratie“, sagte Brodel nach der Wahl. Aber er hofft, dass sein Nachfolger das Projekt weiterverfolgen wird. Denn: „Wenn wir das Forschungsprojekt für drei Jahre durchbekommen, können wir die Pflege verbessern, das könnte für alle ländlichen Kommunen eine wichtige Marke werden“, weiß Ralph Brodel.

Hoffnungsträger MVZ

Ortswechsel: Große Hoffnungen setzen viele Kommunen auch auf sogenannte „Medizinische Versorgungszentren“. Diese MVZ könnten ein Weg sein, den Ärztemangel auf dem Land zu beheben. In Neuenrade startete zum Jahresbeginn die erste kommunale Hausarztpraxis in NRW als Pilotprojekt. Mittlerweile betreuen zwei Ärztinnen und ein Arzt in der Kleinstadt im Sauerland gut 1.400 Patientinnen und Patienten. Die drei teilen sich die Dienste. Abgerechnet wird über die Kassenärztliche Vereinigung (KV), woher auch das Stammkapital von 50.000 Euro fürs erste Jahr kam. Der Unterschied zu einer normalen ­Praxis: Alle drei sind Angestellte der Stadt Neuenrade.

Ein solches Hausarztmodell ist gesetzlich seit zwei Jahren erlaubt. Für den alten und neuen Bürgermeister Antonius ­Wiesemann (CDU) war es die einzige Möglichkeit, die medizinische Versorgung in Neuenrade langfristig zu sichern. Selbst eine Prämie von 10.000 Euro hatte bisher keine zukünftigen Hausärzte nach ­Neuenrade gelockt. Was auf den ersten Blick nach einer Win-win-Situation klingt, sieht die SPD der Hönnestadt zwiespältig: Mitfraktionsvorsitzender Thomas Wette ist zwar erfreut, dass „die frühzeitigen Initiativen der SPD-Fraktion für ein MVZ von der Politik vor Ort aufgegriffen wurde“. Er kritisiert aber die Umsetzung. „Entstanden ist leider nur eine städtische Arztpraxis mit dem Titel MVZ.” Für Wette sollte eine moderne MVZ-Immobilie „Möglichkeiten für bauliche und organisatorische Erweiterungen bieten“, also behindertengerecht und barrierefrei sein. „Das wurde nicht berücksichtigt.“ Insgesamt eine vertane Chance, ärgert sich Wette.