Interview mit Rechtsextremismusforscherin Britta Schellenberg

„Den radikalen Rechten wird zum Teil zu weit Platz eingeräumt“

Carl-Friedrich Höck20. Oktober 2016
Die große Mehrheit der Deutschen, die hinter der Demokratie steht, ist nicht immer leise: Sie äußert ihre Meinung auf Demonstrationen. Wie hier bei einer Anti-Pegida-Demonstration in Dresden.
Die Einheitsfeier in Dresden wurde von Pegida-Anhängern gestört, Freital und Heidenau sorgen für Schlagzeilen. In Sachsen und anderen Bundesländern gibt es massive Probleme bei den staatlichen Akteuren der Inneren Sicherheit im Umgang mit Rechtsextremismus, kritisiert Britta Schellenberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Straftaten, die inmitten oder am Rande von Pegida begangen würden, seien oft nicht geahndet worden. Sie erklärt, was Kommunen aktiv gegen negative Entwicklungen tun können.

DEMO: Die Einheitsfeier in Dresden wurde von Pegida-Anhängern gestört. Manche Politiker nennen sie eine „laute Minderheit“. Trifft das zu?

Schellenberg: Ja, es handelt sich tatsächlich um eine Minderheit, eine sehr kleine bezogen auf ganz Deutschland. Die Mehrheit ist liberaler und weltoffener geworden und steht – trotz verbreiteter Kritik – hinter der Demokratie. Tatsächlich denken immer weniger Menschen rechtsradikal. Allerdings hat sich eine antidemokratisch-autoritäre Minderheit in jüngster Zeit radikalisiert. Sie schreit laut und aggressiv „Wir sind das Volk“. Diese Leute sind übrigens auch in Dresden eine Minderheit. Die Bürger und Bürgerinnen der Stadt haben Ende Mai 2014 einer rot-rot-grüne Mehrheit in den Stadtrat verholfen, die sich ausreichend klar gegen Menschenverachtung, radikale Rechte und Pegida positioniert.

Warum ist die Mehrheit dann leise?

Die Mehrheit schreit ihre Bekenntnisse nicht laut und aggressiv heraus. Sie äußert sich bei Wahlen und manchmal auch auf Demonstrationen. In München kamen beispielsweise über 20.000 Menschen, um gegen rund 500 MÜGIDA-Anhänger zu protestieren und sich für Vielfalt und Offenheit auszusprechen. Jedoch wollen diese Menschen – ob in Dresden oder München – nicht jeden Montag ihre Zeit neben Rechtsradikalen auf der Straße verbringen. So kann ein Ungleichgewicht in der öffentlichen Wahrnehmung entstehen, wer Mehrheit und wer Minderheit ist.

In Dresden und Sachsen – allerdings auch in anderen Bundesländern, etwa in Bayern – zeigen sich leider auch massive Probleme bei den staatlichen Akteuren der Inneren Sicherheit im Umgang mit Rechtsextremismus. Straftaten, die inmitten oder am Rande von Pegida begangen werden, sind oft nicht geahndet worden – ob das Volksverhetzung, Verunglimpfung oder tätliche Gewalt ist.

Gerade im Umkreis von Dresden haben im vergangenen Jahr mehrere Orte mit rechtsextremen Ausschreitungen für Schlagzeilen gesorgt, etwa Freital und Heidenau. Sie haben eine Studie über die rassistische Hetzjagd in Mügeln 2007 verfasst, ebenfalls eine Kleinstadt in Sachsen. Was macht diese Orte so anfällig für rechtes Gedankengut?

Es gibt oft vielschichtige Probleme in diesen Gegenden: Zu viele Menschen, die sich abgehängt und heimatlos in der demokratischen und vielfältigen bundesdeutschen Gesellschaft fühlen, die autoritär geprägt sind und unspezifische Aggressionen haben. Rechtsextreme Gruppen haben hier dann leichtes Spiel, wenn staatliche Institutionen versagen und nicht klarstellen, dass verbale Aggressionen nicht akzeptabel und Übergriffe auf Menschen kriminell sind und geahndet werden.

In Sachsen gibt es leider bereits eine längere Tradition der Verharmlosung der Radikalen Rechten. Schon ein klares Statement, dass Rassismus und extrem rechte Gewalt ein Problem darstellen, gelingt nicht oder nur mit Relativierungen. Nach wie vor werden diejenigen, die Rassismus und Rechtsextremismus in Sachsen thematisieren als Feinde Sachsens oder des Staates dargestellt. Probleme werden nicht kritisch aufgearbeitet. So ist ein Kreislauf entstanden, in dem sich die Probleme weiter verschärfen. Radikal rechtes Gedankengut gilt als legitim, Kritik daran als Bedrohung.

Meine Studie zum Umgang mit einem rassistischen und neonazistischen pogromartigen Übergriff zeigt allerdings vielschichtige Bedingungen für die Entwicklung von rechtsradikalen Herrschaftsräumen. Wenn Bürger aus Angst vor rechtsextremen Racheaktionen oder staatlichen Repressionen sich nicht mehr trauen, gegen Rassismus und rechtsextreme Gewalt das Wort zu ergreifen, läuft einiges schief. Den radikalen Rechten wird zum Teil zu weit Platz eingeräumt, so dass sich der Durchschnittsbürger beispielsweise am Montagabend kaum mehr ins Dresdener Stadtzentrum traut. Deswegen werben die Restaurants dort am Wochentag der PEGIDA-Demonstration mit enormen Rabatten. Ihr Geschäft läuft montags schlecht, weil die Leute an diesem Abend nicht mehr in die Stadt kommen.

Sehen Sie einen Zusammenhang zu den Ereignissen während der Einheitsfeier in Dresden?

Die Bilder von Rechtsradikalen, die den höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland zur Feier der Deutschen Einheit „Volksverräter“ zugrölen, haben mich zutiefst erschüttert. Nach all dem was die letzten Monate und Jahre in Sachsen passiert ist – und was bereits zuvor im Internet sich zusammenbraute, frage ich mich: Wie kann diese Feier so schlecht vorbereitet gewesen sein? Diese Blamage vor und für Deutschland hätte nicht passieren müssen.

Warum dürfen die Pegidisten im Stadtzentrum demonstrieren, alternative Protestierende müssen außerhalb des Stadtzentrums zusammenkommen und den Volksvertretern wird – aus Sicherheitsgründen – nicht gestattet durch die Innenstadt zu laufen. Leider zeigt das, dass nicht alleine die sächsischen Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden angesichts des aktuellen Rechtsextremismus versagen, sondern auch, dass den Akteuren der Inneren Sicherheit im Bund immer noch kein realitätsnahes Lagebild zum Rechtsextremismus in Deutschland und kein zielführender Umgang gelingt.

Was können Kommunen konkret unternehmen, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen? Welche Strategien versprechen Erfolg? Gibt es typische Fehler, die Kommunalpolitiker häufig im Umgang mit Rechtsextremismus machen?

Hier in Bayern fühlen sich Kommunen in der Bekämpfung des Rechtsextremismus häufig von der Landesregierung, von Polizei und Verfassungsschutz alleine gelassen und bei der Förderung gesellschaftlichen Engagements für Demokratie und Vielfalt vom Land nicht genügend unterstützt. Viele Kommunen haben sich deshalb kürzlich zusammengetan und einen offenen Brief verfasst. Auch dadurch ist eine Debatte über verbesserte Strategien gegen Rechtsextremismus in Bayern in Gang gesetzt worden. Eine solche Gesamtstrategie ist nötig. Allerdings können Kommunen darüber hinaus auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, ob NGOs, Kirchen, Gewerkschaften oder Firmen, robuste Bündnisse schaffen. Größere Kommunen können Fachstellen einrichten, um informiert zu sein und aktiv negativen Entwicklungen entgegenzuwirken. Wichtig ist, eine gute Zusammenarbeit der Kommunen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und mit guten Anwälten ebenso wie mit der Polizei.

Viele Bürgermeister werden laut einer Umfrage wegen ihres Einsatzes für Geflüchtete bedroht, mehrere sind deshalb bereits zurückgetreten. Auch freiwillige Helfer berichten von Anfeindungen. Was kann man tun, damit nicht die Angst ehrenamtliches Engagement zum Erliegen bringt?

Zum einen ist es wichtig, dass die Politik auf unterschiedlichen Ebenen und und in der Öffentlichkeit auf diese Probleme aufmerksam gemacht wird, etwa durch entsprechende Pressemeldungen und Berichte. Hilfreich ist auch, dass es menschenrechtliche Initiativen gibt, die die Vorfälle dokumentieren und große Tanker wie Caritas, die Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbünde, die Konsequenzen einfordern. Die Angegriffenen müssen Strafanzeigen stellen und idealerweise von kompetenten Menschen dabei unterstützt werden. Ich wünsche mir zudem eine klare öffentliche Positionierung und ein rigoroses internes Wirken des Bundesinnenministers. Er ist Zuständig für die Innere Sicherheit in Deutschland und muss gegenüber Polizei und Verfassungsschutz eindeutige Ansagen machen. 

Die rechtspopulistische AfD ist nicht nur in mehrere Landtage eingezogen, sondern zunehmend auch in den kommunalen Parlamenten vertreten – auch in westlichen Bundesländern. Was bedeutet das für den Kampf gegen Rechts in den betroffenen Städten und Gemeinden?

Das Einstellungspotential für einen Erfolg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland ist in den vergangenen Jahren nicht größer, sondern geringer geworden. Jedoch gelingt es heute besser, dieses Potential in Wählerstimmen umzusetzen. Die AfD, die inzwischen klar rechtspopulistisch ist, ist seit 2014 meist mit gut zehn Prozent der Wählerstimmen in Landesparlamente eingezogen, in Hamburg und Bremen mit weniger (fünf bis sechs Prozent ), in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit deutlich mehr (20 - 24 Prozent). In den Parlamenten fallen ihre Abgeordneten bisher damit auf, dass sie alle Sachthemen möglichst öffentlichkeitswirksam auf ihre Kernthemen „Überfremdung“, „Flüchtlingskriminalität“ und Bedrohungsszenarien für „das deutsche Volk“ hin verengen.

Es ist im Prinzip nichts Schlimmes, dass wir uns in Deutschland nun offen mit unseren Normen und Werten auseinandersetzen. Allerdings kann das keine Dauerbeschäftigung sein. Eine kurze Verständigung reicht, es müssen dann – ob mit oder ohne AfD – Sachthemen bearbeitet werden -  damit die Stadt oder Gemeinde funktionstüchtig bleibt. Die AfD ist wirtschaftlich neoliberal und nicht sozial engagiert, darüber hinaus ist sie für den Ausbau von Polizei und Sicherheitsbehörden. Wie sie für eine lebendige Gesellschaft und Wohlstand sorgen will, ist unklar. Das sind Aspekte, die zu wenig öffentlich diskutiert werden und zumindest einem Teil der aktuellen Wählerinnen der AfD auch nicht gefallen dürften.

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