Umfrage der Bertelsmann-Stiftung

Reichen die Mittel für den Kita-Ausbau nicht?

Carl-Friedrich Höck28. Mai 2018
Franziska Giffey in Kita
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (links) besucht im März 2018 die Kita „Abenteuerland” in Berlin-Marzahn.
Mehr als 15 Milliarden Euro zusätzlich müsste der Staat in die Hand nehmen, um die Kita-Qualität zu verbessern und die Beiträge abzuschaffen. Das rechnet die Bertelsmann-Stiftung in einer neuen Studie vor und behauptet: Sogar arme Familien wären bereit, mehr für Qualität zu bezahlen. Der Städtetag spricht von einem politischen „Zielkonflikt“. Die Studie hat jedoch Schwächen.

Es ist eines der ersten und wichtigsten Projekte der neuen Bundesfamilienministerin. Franziska Giffey (SPD) hat vor wenigen Wochen ein „Gute-Kita-Gesetz“ auf den Weg gebracht. Der Bund will die Länder und Kommunen dabei unterstützen, die Qualität der Kitas zu erhöhen. Dafür sind bis zum Jahr 2021 zusätzliche Ausgaben von insgesamt 3,5 Milliarden Euro eingeplant – eine halbe Milliarde im Jahr 2019 und jeweils eine Milliarde in 2020 und 2021.

Mehr, besser, günstiger

Wofür das Geld gedacht ist, steht im Koalitionsvertrag. Demnach unterstützt der Bund „Länder und Kommunen weiterhin beim Ausbau des Angebots und bei der Steigerung der Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen und dem Angebot an Kindertagespflege sowie zusätzlich bei der Entlastung von Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfreiheit.“

Doch mit den geplanten Ausgaben wird der Bund nicht weit kommen. Das zumindest legt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung nahe. Denn allein der angestrebte Qualitätsausbau – also der Aufbau ausreichender und „kindgerechter” Plätze – würde zusätzliche acht Millionen Euro pro Jahr kosten. Für eine Befreiung aller Eltern von den Kita-Beiträgen müsse der Staat weitere 5,7 Milliarden einplanen, so die Bertelsmann-Stiftung. Und dann kämen noch Zusatzgebühren von 1,6 Milliarden Euro dazu, etwa für Bastelmaterialien oder Ausflüge – diese belasteten die Eltern mit rund 45 Euro pro Monat, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen.

In der Summe, so die Bertelsmann-Stiftung, ergäbe das einen zusätzlichen Aufwand von 15,3 Milliarden Euro pro Jahr. Deutlich mehr also als die vom Bund angedachten Mehrausgaben. Wobei anzumerken ist, dass das Kita-Programm auch nur die Länder und Kommunen bei ihren eigenen Anstrengungen unterstützen soll.

Wollen arme Eltern mehr zahlen?

In einem zweiten Teil der Studie wurden Kita-Eltern von infratest dimap befragt. 59 Prozent gaben an, sie seien bereit für eine bessere Qualität auch höhere Kita-Beiträge zu zahlen. Sogar 53 Prozent der Eltern unterhalb der Armutsgrenze waren angeblich dieser Meinung.

Dabei werden arme Eltern bereits jetzt überproportional belastet, obwohl die Kita-Beiträge vielerorts sozial gestaffelt sind. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls die Autoren der Studie: Eltern, die über weniger als 60 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens verfügen, zahlen im Schnitt 118 Euro und damit zehn Prozent ihres Einkommens für den Kita-Besuch ihres Kindes. Oberhalb der Armutsgrenze beträgt die Belastung im Durchschnitt fünf Prozent des Einkommens, nämlich 178 Euro. Je nach Bundesland unterscheiden sich diese Werte allerdings stark voneinander.

Zudem werfen einige Ergebnisse Fragen auf. So gaben in Berlin laut der Studie 58 Prozent der Eltern an, dass sie einen Kita-Beitrag zahlen. Dabei sind in dem Bundesland die letzten fünf Kita-Jahre beitragsfrei gestellt; nur für einen Verpflegungsanteil müssen die Eltern aufkommen. Wahrscheinlich ist die Auswahl der Befragten also entweder nicht so repräsentativ, wie von den Autoren behauptet, oder missverständliche Angaben verzerren das Gesamtergebnis.

Beitragsfreiheit für alle?

Der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung Jörg Dräger erneuert dennoch seine Forderung, auf die Beitragsfreiheit für alle zu verzichten. Dies würde „den politischen Handlungsspielraum für den Qualitätsausbau unnötig verengen“, kritisiert er. Dräger plädiert stattdessen dafür, Kita-Beiträge bundesweit einheitlich zu bemessen, etwa prozentual am Äquivalenzeinkommen. Dabei solle nur der Teil des Einkommens in die Berechnung einfließen, der überhalb der Armutsrisikogrenze liegt.

Die Familienministerin selbst spricht im Kontext ihres Kita-Gesetzes ohnehin nur von einem „Einstieg in die Beitragsfreiheit“. Damit soll eine Zugangshürde für Eltern beseitigt werden. Franziska Giffey betont: „Auch das ist Qualität: Es darf nicht passieren, dass sich Eltern fragen müssen, ob sie es sich überhaupt leisten können, ihre Kinder in die Tagesbetreuung zu geben.“

Gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern

Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) ergänzt auf Nachfrage, dass auch für den Bund die „stärkere Entlastung von Bezieherinnen und Beziehern von Sozialleistungen“ Priorität habe. Ein Viertel von ihnen nehme die Entlastung, die ihnen eigentlich zustehe, nicht in Anspruch.

„Bund und Länder haben sich erstmalig und gemeinsam auf Qualitätskriterien geeinigt, die nun auch in das Gute-Kita-Gesetz einfließen“, so der Sprecher des BMFSFJ. Das Gesetz enthalte neun verschiedene Instrumente, um die Länder in dieser Hinsicht zu unterstützen – vom Betreuungsschlüssel über die Sprachförderung bis hin zur Gebührenbefreiung. „Fast alle Bundesländer gewähren aktuell schon Beitragsbefreiungen oder Zuschüsse für bestimmte Jahrgänge oder Betreuungsumfänge oder sie haben entsprechende Schritte angekündigt.“

Städtetag: „Spielraum für Entlastungen ist begrenzt“

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Helmut Dedy spricht von einem „Zielkonflikt“: Die Städte wollten die bereitgestellten Gelder von Bund, Ländern und Kommunen einerseits in eine bessere Qualität investieren und andererseits die Zahl der Angebote ausbauen. „Weil bereits die Verfolgung dieser beiden Ziele viel Geld kostet, erscheint den Städten der Spielraum für eine Entlastung der Eltern begrenzt.“ Entscheidend sei daher die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die Bundesmittel, die für eine Befreiung von Gebühren eingesetzt werden, nicht an anderer Stelle fehlen.

Dedy verweist auch darauf, dass die Städte zwar in den vergangenen Jahren viele neue Kitaplätze geschaffen haben, der Bedarf aber noch schneller steige als das Angebot. Das liege auch an fehlenden Immobilien, am Mangel an Arbeitskräften sowie an der ausgelasteten Baubranche, was wiederum zu steigenden Kosten führe.

Um dem Erziehermangel zu begegnen, hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey bereits eine „Fachkräfteoffensive“ angekündigt. Der Bund wolle die Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher verbessern, Die Qualifizierung und Umschulung von Quereinsteigern fördern und helfen, den Krankenstand zu verringern.

 

Mehr Informationen zur Studie: bertelsmann-stiftung.de

Die Bertelsmann-Stiftung

Die Bertelsmann-Stiftung wurde 1977 von dem Unternehmer Reinhard Mohn errichtet. Laut Bundesverband Deutscher Stiftungen hat sie ein Eigenkapital von knapp 1,2 Milliarden Euro (Buchwert). Damit gehört sie zu den größten privatrechtlichen Stiftungen Deutschlands. Sie ist als gemeinnützig anerkannt.

Die Stiftung hält die Mehrheit der Anteile am Bertelsmann-Konzern und finanziert sich zu großen Teilen aus dessen Dividenden. Auf der Internetseite der Stiftung heißt es: „Die Programme der Bertelsmann Stiftung sind (…) darauf ausgerichtet, Menschen zu fördern, die Gesellschaft zu stärken und dafür die Systeme weiterzuentwickeln.“ Teilhabe setze im Verständnis der Stiftung handlungsfähige Menschen und eine Gesellschaft voraus, die allen gleiche Chancen eröffne.

Kritiker werfen der Stiftung vor, gemeinnützige und kommerzielle Interessen zu vermengen. Die Organisation „Lobby Control“ schreibt in ihrer „Lobbypedia“: „Die Bertelsmann Stiftung gehört zu den einflussreichsten neoliberalen Denkfabriken im Land. Wirkmächtig propagiert sie die Privatisierung von staatlichen Bereichen und fördert den Wettbewerb auf allen Ebenen.“

weiterführender Artikel