Strukturwandel

Wie das Rheinische Revier den Kohleausstieg bewältigt

Petra Kappe08. November 2022
So sehen die Pläne für das Innovationsquartier Düren aus.
Das Rheinische Revier hat sich auf den Weg gemacht: Trotz Kohleausstiegs soll es Industrieregion bleiben. Das geht nur mit mehr Klimaschutz.

Nach dem vorgezogenen Aus für die Braunkohle im Rheinischen Revier fordern die Anrainerkommunen mehr Klarheit, mehr Tempo, mehr Unterstützung von Bund und Land. Da, wo der Ausstieg bis 2030 konkret gestemmt werden muss, drängt die Politik auf Perspektiven. Die aktuelle Energiekrise erschwert den Strukturwandel, der Zeit, Geld und verlässliche Bedingungen braucht.

Garzweiler Tagebau: ein Bild aus vergangenen Zeiten. Bild: Roland Abel

Tausende Arbeitsplätze fallen acht Jahre früher weg als geplant; ein Vielfaches an Arbeitsplätzen in anderen Branchen ist gefährdet. Die betroffenen Städte und Gemeinden haben sich längst auf den Weg gemacht. Sie haben Projekte entwickelt, Initiativen angestoßen, Zukunftspläne entworfen. Doch sie stoßen auf Hürden. „Die Projekte scheitern vielfach an den bürokratischen Strukturen“, sagt Bedburgs Bürgermeister Sascha Solbach. Er nennt komplizierte Förderverfahren ebenso wie ein veraltetes Planungsrecht und stellt fest: „Wenig bis nichts ist in diesem Prozess auf eine solch dynamische und umfassende Umwälzung einer Region, eines kompletten Arbeitsmarktes, ausgelegt.“

Ideen sind da – es hapert woanders

Bislang habe der Strukturwandel kaum etwas erbracht, „mit dem sich künftig für viele Menschen angemessen Geld verdienen lässt“, sagt Solbach. Seine Bitterkeit ist hörbar, wenn er sagt: „Ideen sind da, Unternehmen sind da, aber es fehlt an kurzen Wegen, am politischen Mut.“ Die Energiekrise werfe den gesamten Prozess zurück, beklagt der Sozialdemokrat. Bei der Verkündigung des vorzeitigen Kohleausstiegs sei die notwendige Strukturstärkung in der Region „mit keinem Wort“ erwähnt worden. Solbach fordert die Zusage einer sicheren Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen, eine Sonderplanungszone sowie eine räumlich und zeitlich begrenzte Sonderwirtschaftszone. Die energie­intensive Industrie in den Bereichen Papier, Metall und Chemie sei mit rund 51.000 Beschäftigten wesentlich für den erwirtschafteten Wohlstand. „Diese Betriebe kämpfen um ihre Existenz, wenn wir sie nicht ­berücksichtigen.“

Auf die Standortsicherung der energieintensiven Industrie im Revier legt auch Thomas Hissel großen Wert. Der Erste Beigeordnete der Stadt Düren, der als einer von drei gewählten Sprechern die Interessen der 20 direkt betroffenen Anrainerkommunen vertritt, spricht den Grundkonflikt an. „Was für die Erfüllung der Klimaziele sicher gut ist, stellt Menschen, Unternehmen, Städte und Gemeinden im Rheinischen Revier heute mehr denn je vor immense Herausforderungen.“ Im Kernrevier fallen die größten Anpassungslasten des Braunkohleausstiegs an. „Hier wird es darauf ankommen, rund 22.000 Arbeitsplätze und 500 Millionen Euro Wertschöpfung pro Jahr qualitativ, quantitativ und zeitnah zu kompensieren und dazu neue Wertschöpfungsketten zu knüpfen,“ so Hissel.

Papierherstellung frisst viel Energie

Hinzu kommt eine Aufgabe, die sich mit der Energiekrise verschärft hat: die Standortsicherung der energieintensiven Industrie. In der „Papierstadt Düren“ und Umgebung arbeiten rund 10.000 Menschen in dieser traditionellen Industrie. Die Stadt und die Unternehmen wollen, dass das so bleibt. Eines der wichtigsten Ziele müsse sein, sagt Hissel, dass diese Industrie „über den Tag hinaus wettbewerbsfähig bleibt und nicht gleich zusammen mit der Braunkohle abgewickelt wird.“ Auch das sei letztlich eine Frage des globalen Klimaschutzes. „Der Braunkohleausstieg im kleinen Deutschland wird nur dann einen echten, globalen Klimaeffekt haben, wenn er ein Exportschlager wird, also wenn er an vielen Stellen in der Welt nachgemacht wird.“ Dazu werde es aber nicht kommen, meint Hissel, „wenn die Reviere danach deindustrialisierte und wirtschaftlich abgehängte Landstriche sind.“

Den Schlüssel zur Sicherung der energieintensiven Industrie sehen alle Beteiligten in der Innovation, erklärt der Sozialdemokrat. „Mithilfe von disruptiven Innovationen muss es uns gelingen die, Industrien, die wir haben, weniger energieintensiv und viel klimafreundlicher zu machen. Genau darin liegt auch das Ziel der Modellfabrik Papier.“

Wohlstand soll gehalten werden

Diese Modellfabrik Papier ist nicht nur ein zukünftiges Forschungsgebäude, das die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt (WIN.DN GmbH) mit den Strukturfördermitteln in einem neuen Innovationsquartier rund um den Bahnhof entwickelt und baut. Es handelt sich dabei auch um den Namen eines Industrie­konsortiums von 20 Unternehmen der Papierindustrie, die sich gemeinsam mit der TU Darmstadt, der RWTH Aachen, der FH Aachen, dem Forschungszentrum Jülich und der Papiertechnischen Stiftung in Heidenau unter dem Dach einer gemeinnützigen GmbH zusammengefunden haben, um die Papierproduktion zu revolutionieren. Ziel ist es, bis 2045 den CO2-Ausstoß der Industrie mit dem derzeit fünfthöchsten industriellen Energiebedarf um 80 Prozent zu reduzieren. „Unseren Wohlstand werden wir im Kernrevier nur halten können, wenn wir auch nach dem Strukturwandel Indus­trieregion bleiben, nur eben klimafreundliche Industrieregion“, meint Hissel.

Auch Sascha Solbach spricht von Innovationen. „Wir engagieren uns als Kommune in sichtbaren Projekten wie der Ressourcenschutzsiedlung, die als eins von zwei SmartQuart-Quartieren bundesweit ein Leuchtturmprojekt für ökonomisches und ökologisches Wohnen der Zukunft ist. Wir bauen den Windpark aus, an dem die Stadt beteiligt ist, wollen dort mit grünem Wasserstoff weitergehen.“ Der Bürgermeister unterstreicht: „Wir arbeiten gemeinsam an der Zukunft des Reviers.“ Er fügt jedoch hinzu: „Wir sind am Limit unserer Möglichkeiten. Wir brauchen mehr denn je konkrete Unterstützung von Bund und Land.” Sonst könne der Struktur­wandel für viele Menschen zu einer Bruch­landung werden.