Klimaschutz in den Kommunen

Der Rüsdorfer Kamp wird grün

Susanne Dohrn 10. Juli 2020
Der 20 Hektar umfassende Rüsdorfer Kamp soll zu einem Leuchtturmbeispiel für ein energieeffizientes Stadtquartier werden.
Im schleswig-holsteinischen Heide soll ein Stadtteil komplett mit erneuerbaren Energien versorgt werden.

Auf den ersten Blick ist der Rüsdorfer Kamp ein ganz normales Stadtquartier: 20 Hektar groß, mit mehr als hundert Jahre alten Wohnungsbauten und Nachkriegsgebäuden, dazu einige Gewerbebetriebe. Gleichzeitig ist er eines von sechs Leuchtturmprojekten der 2016 gestarteten bundesweiten „Förderinitiative Solares Bauen/Energie­effiziente Stadt“. „Im besten Fall können wir hier zeigen, wie vorhandene Stadtquartiere klimafreundlich versorgt werden können“, sagt Bürgermeister ­Oliver Schmidt-Gutzat (SPD).

Bessere Rahmenbedingungen fordert Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat SPD). Foto: Stadt Heide

24 Millionen für das „Quarree 100“

Zwei Bundesministerien – Wirtschaft und Energie sowie Bildung und Forschung – fördern das Heider Forschungsprojekt „Quarree 100“ mit 24 Millionen Euro. Es läuft bis zum 31. Oktober 2022 und vereint 20 Projektpartner von der Region Heide, über Unternehmen bis zu Forschungseinrichtungen und Universitäten. Schmidt-Gutzat: „Die Bearbeitung eines großen Forschungsprojekts ist eine Riesenchance für die Energiewende und Herausforderung zugleich.“

Die Stadt Heide mit ihren 22.000 Einwohnern liegt in einer stark von Windenergie geprägten Region. Seit Jahren erzeugt Schleswig-Holstein mehr Strom aus erneuerbaren Energien als es verbraucht, das meiste davon Windstrom. Tausende Anlagen drehen sich an Land und auf dem Meer. Die Kehrseite zeigt sich an windreichen Tagen. Dann stehen viele Windräder still, weil ihr Strom das Netz überlasten würde. Sie sind „abgeriegelt“. 3750 Gigawattstunden waren es 2019, die dafür von den Verbrauchern zu tragenden Entschädigungszahlungen betrugen 380 Millionen Euro. Nachhaltig ist das nicht.

Im Zentrum steht die Wärmeversorgung

Das Forschungsprojekt soll die Frage beantworten, wie man ein Energiesystem so gestaltet, dass es zu 100 Prozent regenerativ ist. „Wenn viel Wind weht, soll das ‚Quarree 100‘ wie ein Schwamm überschüssige Windenergie aufnehmen und so das Gesamtsystem entlasten“, sagt Torben Stührmann, einer der wissenschaftlichen Sprecher des Projekts. Im Zentrum steht die Wärmeversorgung des Stadtteils, weil mit 56 Prozent der größte Teil des CO2-Ausstoßes im Quartier dieser Quelle entstammt. Weitere 25 Prozent sind auf den Faktor Mobilität und knapp 20 Prozent auf die Stromversorgung ­zurückzuführen.

Geplant sind ein zentraler Batteriespeicher, Luft-Wärmepumpen, ein Wärmespeicher und eine Elektrolyseeinheit für grünen Wasserstoff, bei der auch die Abwärme genutzt werden soll, sowie ein eigenes Wärmenetz. Photovoltaikanlagen auf den privaten Hausdächern sollen zusätzlich regenerativen Strom aus dem Quartier liefern, alles in allem ein für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktives Gesamtsystem. Das umzusetzen klingt einfacher, als es ist: Erstens ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz kompliziert. Zweitens ändern sich Rahmenbedingungen, z.B. Einspeisevergütungen für Energie.

Kritik an Netzentgelten

Hinzu kommt: Für die Einspeisung des Solarstroms müssen Netzentgelte gezahlt werden, selbst wenn er für das eigene Netz genutzt werden soll. „Dies erschwert die Anwendung klimafreundlicher und effizienter Lösungen nach wie vor deutlich“, kritisiert der Bürgermeister. Für ihn ist die Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens entscheidend dafür, ob die Energiewende im Bestandsquartier gelingt.

Vielfältiges Spannungsfeld

Und so bewegt sich das Forschungsprojekt in einem vielfältigen Spannungsfeld zwischen der Weiterentwicklung des Stadtteils, den Interessen eines zukünftigen lokalen Energieanbieters, energiepolitischen Entscheidungen auf landes-, bundes- und europapolitischer Ebene und den Erwartungen der Bewohnerinnen und Bewohner, die zuweilen nur einfach wissen wollen, ob es sich jetzt noch lohnt, die Heizung auszutauschen. Deshalb sind sie in dem Forschungsprojekt zentral. Sie sollen möglichst zahlreich freiwillig mitmachen, damit „Quarree 100“ Vorbild auch für andere Kommunen werden kann.

Regelmäßig finden Informationsveranstaltungen statt – vom Bürgerstammtisch über Experten- und Zukunftsgespräche, Stadtspaziergänge bis hin zu Exkursionen in andere energieoptimierte Quartiere sowie einer individuellen Energieberatung. Bürgermeister Schmidt-Gutzat bringt es so auf den Punkt: „Die Energiewende muss sich lohnen, damit sie vor Ort gelingt.“ Wo die technischen Anlagen stehen sollen, steht inzwischen fest: in der Nähe der Bahn, wo sie möglichst wenig stören und die Stadt Flächen besitzt. Den B-Plan dafür hat der Bauausschuss schon aufgestellt. Ende 2022 sollen die baulichen Maßnahmen abgeschlossen sein.