Hasskommentare im Netz

Sally Lisa Starken: Müssen digitale Gewalt gegen Frauen sichtbarer machen

Vera Rosigkeit 08. März 2021
Sally Lisa Starken ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF)
Ein Großteil der Hasskommentare im Netz richtet sich gegen Frauen. Sally Lisa Starken, Vize-Vorsitzende der ASF, hat damit eigene Erfahrungen gemacht. Im Interview erklärt sie, was gegen Hater im Netz zu tun ist.

Studien zufolge sind Frauen, vor allem junge Frauen, besonders von digitaler Gewalt betroffen. Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?

83 Prozent der Hasskommentare richten sich gegen Frauen. Mehr als die Hälfte der befragten Mädchen und Frauen einer Studie haben schon einmal Belästigung im Internet erlebt. Digitale Gewalt ist meiner Erfahrung nach sehr facettenreich. Auch ich werde in den sozialen Medien als junge Frau angegangen. Richtig gemerkt habe ich das in meinem Europawahlkampf, wo ich natürlich auch politische Meinungen vertreten habe. Ich habe oft sogenannte „Dickpics“ bekommen. Und das nimmt auch nicht ab, wenn man längere Zeit in den sozialen Medien aktiv ist. Die größten Trigger sind dabei Themen im Bereich Feminismus. Gerade bei der Debatte um §§ 218, 219a StGB zum Schwangerschaftsabbruch habe ich Hass im Netz sehr stark gemerkt. Sobald solche Wörter auftauchen, ist mein Postfach meist voll mit entsprechenden Bildern und Beleidigungen.

Ist diese Art sexualisierter Gewalt mit Scham verbunden?

Ja. Aber die Frage muss doch sein, für wen? Mich hat es schockiert, was im Netz passieren kann und wie hartnäckig manche Hater sind, die penetrant ihre Genitalien versenden, ungefragt. Es ist etwas, was du nicht sehen willst. Und es ist ein großes Machtinstrument für Menschen mit Penis - das denken sie zumindest. Denn tatsächlich ist es eine große Schwäche, die damit offenbart wird: Angst vor Machtverlust und Angst, dass die eigene Männlichkeit gefährdet ist.

Haben Sie Angst vor Gewalt im Netz?

In dieser Art und Weise macht es mir persönlich keine Angst. Das liegt aber auch daran, dass ich im politischen Kontext unterwegs bin und weiß, dass wir etwas dagegen unternehmen können: Solche Inhalte anzeigen, etwa über Plattformen wie HateAid. Wäre das nicht der Fall und ich vielleicht auch jünger, hätte es möglicherweise eine andere Wirkung.

Damit kann von Geschlechtergleichheit in den sozialen Medien aber nicht die Rede sein?

Für mich zeigt sich die Ungleichheit vor allem darin, wie sehr Männer sich den Raum nehmen können, Frauen zu diskreditieren. Es scheint in unserer Gesellschaft noch nicht zur Normalität zu gehören, dass gerade junge Frauen eine eigene Meinung vertreten. Für Männer scheint darin ein Bedrohungsszenario zu liegen. Es ist vor allem die ältere und konservative Generation und natürlich die rechte Bubble, die darauf reagiert. Sie fühlen sich in ihrer Weltanschauung in Frage gestellt. Es geht in der großen Debatte um Gleichberechtigung ja darum, dass Männer etwas vom Kuchen abgeben müssen.

Nun haben die sozialen Medien aber auch Vorteile. Sie sagen, Ihre #stattblumen-Kampagne sei nur digital möglich gewesen?

Cordelia Röders-Arnold und ich haben #stattblumen initiiert, obwohl wir uns vorher tatsächlich noch nie gesehen haben. Trotzdem ist eine digitale Freundschaft entstanden. Die Digitalisierung macht es möglich, sich sehr leicht zu vernetzen, voneinander zu lernen und sich zu bestärken. Männer nutzen dieses Netzwerken, was im politischen Kontext unfassbar wichtig ist, ganz selbstverständlich. Und auch für Frauen liegt darin eine große Chance. Mit den älteren Medien wären wir gar nicht dazu gekommen, dass uns Frauen erzählen, was sie eigentlich, anstelle von Blumen, fordern. So aber konnten wir Themen von Frauen aufgreifen, die durch Homeoffice und Homeschooling oder auch mit Existenzängsten kämpfend einfach gerade nicht über die Zeit verfügten, sich zu äußern. Ohne soziale Medien hätten wir keine so große Verbreitung gehabt.

Wenn die sozialen Kanäle immer wichtiger für das Netzwerken werden, Frauen aber besonders angegangen werden, ist das ein Dilemma. Wie kann man Frauen besser unterstützen?

Aufklärung für und Solidarität mit Betroffenen ist wichtig. Zu wissen, was ich dagegen tun kann, wo ich Ansprechpartner*innen finde, hilft mir ja schon mal enorm. Da bieten Plattformen wie HateAid große Unterstützung. Auch muss klar sein: Ich bin hier im Recht und habe nichts falsch gemacht. Es ist das Gegenüber, das sich nicht richtig verhält und das muss auch geahndet werden. Katharina Barley hat mal gesagt, dass nicht einmal ein Drittel der Personen, die dich im Internet beleidigen, dir das auch persönlich sagen würden. Im Internet kann man sich anonym viel mehr rausnehmen als in der Realität. Das sollte man sich immer wieder vor Augen führen. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich Hasskommentare unter meinen Tweets gar nicht mehr lese, vor allem wenn sie von irgendwelchen rechten Seiten geschrieben wurden. Das war auch bei #stattblumen der Fall.

Was sollte politisch passieren, damit Frauen es schlichtweg einfacher haben?

Ich erinnere mich an „Joko und Klaas gegen ProSieben“ und ihre „Männerausstellung“ als Statement gegen sexuelle Belästigung im Netz. Von der Dickpic-Galerie waren viele schockiert. Die wichtige Funktion dieser Aktion war, Öffentlichkeit herzustellen. So etwas sichtbarer zu machen gehört für mich auch zur politischen Verantwortung dazu. Wichtig ist mir aber auch ein präventiver Ansatz, schon in der schulischen Bildung. Frauen zu stärken, ihnen die Kompetenzen zu vermitteln, um mit diesen, leider erwartbaren Problemen umzugehen, kann den Unterschied machen. Dabei hilft natürlich Solidarität von anderen Frauen, gegen die Hater im Netz vorzugehen, ihre Kommentare zu kommentieren. Das stützt das Empowerment von Frauen trotz aller Schwierigkeiten ihre Stimme zu erheben. In der Influencer*innen-Bubble funktioniert das schon recht gut, was ich sehr positiv finde. Aber für die Gesellschaft als Ganzes haben wir noch viel Arbeit vor uns.

 

Dieses Interview ist zuerst auf vorwärts.de erschienen.

 

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